[Recherchen] Im Sommer 2012 wurde mir klar: Wenn ich schon von einem größeren Boot träume, dann muss ich diesen Traum auch bald mal in die Tat umsetzen. Also begann ich mich nach Booten vom Typ Fellowship 28 umzusehen, der Bootstyp, den ich im Auge hatte. Dafür bin ich im Februar 2013 sogar nach Amsterdam geflogen – weil es in der Nähe vom Ijsselmeer gleich zwei zu besichtigen gab. Intuitiv war mir sofort klar, dass ich das Boot in Naarden nehmen würde. Es war das billigste Boot von allen fünf, die ich im vergangenen Herbst und Winter insgesamt inspiziert hatte. Die Substanz war gut, und natürlich würde ich in ein gebrauchtes Boot zu investieren haben: Früher oder später neue Segel (vor allem bei Starkwind wird das wichtig), und vor allem in eine moderne Bootselektrik mit Positionsleuchten auf LED-Basis, ebenso eine gute helle Beleuchtung für die Kajüte, dazu ein Radio mit USB-Anschluss und gehörig laute Boxen, zur Versorgung mit frischem Strom Solarpaneele und ein Windgenerator nach dem Flettner-Prinzip, um für mehrere Tage in Bezug auf elektrische Energie autonom zu sein. Vielleicht perspektivisch ein Schlepp-Generator, um beim Ankern im Fluss oder bei sehr langen Törns noch weitere Enegie zu gewinnen. Das alles würde kosten und ich würde es sowieso tun.
[Übergabe] Mit dem Verkäufer wurde ich schnell einig. Er kam mir preislich entgegen. Die Kommunikation verlief per email über den Brooker, und Ende Februar 2013 war der Deal perfekt. Die eigentliche Übergabe erfolgte zu Pfingsten. Zu meiner Überraschung erschien kein älterer Mann, wie ich das nach dem Zustand es Bootes erwartet hätte – nach dem Motto: "Ich bin langsam zu alt für den Segelsport!" -, sondern ein junger Mann Ende zwanzig, der alles sehr locker sah. Nach der Übergabe war das Boot nun meins, und die Liegeplatzpreise im Jachthafen Naarden (bei Amsterdam) machten mir klar, dass es vernünftig war, das Boot so bald wie möglich nach Deutschland zu bringen. Das war ja ein Vermögen, was das kostete.
[Tourplanung] Von Naarden in Holland nach Berlin kam im Grunde nur eine Route (mit einer Variante) in Frage. Über die Nordsee wollte ich nicht. Ich wollte nicht ohne hinreichende Erfahrung auf einem Tidengewässer wie dem Wattenmeer segeln mit einem Boot, das ich noch nicht kannte. Und die Variante auf dem Rhein gegenan Richtung Ruhrgebiet kam auch nicht in Frage, denn gegen einen starken Strom gegenan zu motoren ist eine sehr unerquickliche Sache. Aber da gab es noch die Route über Ter Apel und den Haren-Rütenbrock-Kanal, die von Groningen über Kanäle auf halbem Weg zum Dortmund-Ems-Kanal führte. Von dort aus weiter über den Mittellandkanal und den Havelkanal nach Berlin – das war klar. Dass es am Ende doch der Weg über die Ems wurde, hatte nicht zuletzt mit den positiven Erfahrungen auf dem Maerkermeer zu tun.
Erste Etappe: Naarden - Enkhuizen - Stavoren - Groningen - Dellfzijl - Emsmündung - Ems - Herbrum - DEK - Meppen (5 Tage)
[Entscheidung] Ein neues Boot: Aus prinzipiellen Gründen wollte ich es auf dem Wasserweg in seinen neuen Hafen bringen. Trailern ohne einen eigenen Strassentrailer ist teuer und nicht sexy. Ausserdem erfährt mensch so wenig über das Boot. Also der Wasserweg. Aber auf einem großen Gewässer wie dem Ijsselmeer segeln? Das war, so zeigte sich wenige Tage vor dem Starttermin mit Blick auf die Wetterprognose, vielleicht keine gute Idee mit einem fremden Boot. Die Entscheidung fiel vor Ort. Es waren 4 Beaufort angesagt, mit Spitzen in 5 oder 6, aber gegenan. Und aufkreuzen ist eine mühsame Angelegenheit. Also keine Segel anschlagen sondern motoren, und die Segelerfahrungen verschieben auf die Zeit in Berlin. Mir war auch bald klar, dass es Sinn machen würde, eine Begleitung zu haben. Jutta war schnell zu begeistern und so fuhren wir zusammen mit dem Zug zum Schiff.
[Maerkermeer] Je weiter wir rauskommen von Naarden aufs Maerkermeer, desto höher die Wellen. Der Wind kommt direkt von vorn und wir schaukeln gut bei annähernd 5 Windstärken [1]. Dankbar bin ich, dass wir eine Sprayhood haben, denn ab und an fliegt die Gischt über das Boot und ich muss mich abducken. Scheiße, es regnet rein!, schreit Jutta plötzlich. Ich bekomme einen Schreck, bitte Jutta ans Steuer und gucke mir die Sache persönlich an. Das Vorluk ist undicht und mit jeder heftigen Welle, die über Deck spült, kommt ne kleine Ladung rein. Es ist nicht viel und wir werden nicht sinken. Aber die Liegepolster sind schon klatschnass und am Ende des Tages werde sich sicher drei oder vier Eimer Wasser aus der Bilge holen müssen. Schöne Scheisse. Ich erinnere mich, dass der Eigner was davon gemurmelt hat, dass die Schrauben vom Vorluk nachgezogen werden müssten.
[Enkhuizen] Nach der Schleuse bei Enkhuizen ist Schluß für heute. Die Schleuse für Sportboote ist gar nicht mal die Schleuse in Stadtnähe, wie wir anhand der Karte [2] dachten, sondern die große mit der Bezeichnung Naviduct etwas weiter aussen. Der Hub von 20 cm bereitete keine Probleme und die Schleuse war auch groß genug.
Mir schien es sicherer zu sein, die Marina von Enkhuizen [Compagnieshaven] anzulaufen als den kleinen Stadthafen. Heute, rückblickend betrachtet, würde ich den Stadthafen anlaufen. Wie auch immer, ich traute mich nicht, die vielen Stege des sehr gefüllt wirkenden Hafens abzufahren, ich war noch immer unsicher am Steuer des neuen Bootes. Deshalb war ich heilfroh, noch ganz außen einen Liegeplatz gefunden zu haben. Der Weg zum Hafenbüro war gefühlt einen halben Kilometer lang, der Sportboothafen war einfach riesig. Wir machten eine Stadtbesichtigung und nutzen die Toiletten. Am nächsten Morgen machte ich mich nochmals auf den langen Weg zum Hafenmeister: Für ein paar Brötchen, einmal Klo und zum Zahlen der Liegegebühr. 17 € wurden mir abkassiert. Ich hatte genug Zeit, auf dem langen Weg zurück zum Boot darüber nachzudenken und kam auf die Idee, dass 17 € für eine Nacht Boot anbinden und dreimal Scheißen [3] doch ein bisschen viel sind.
[Ijsselmeer und Sneekermeer] Der Weg über das Ijsselmeer war deutlich einfacher als der Trip am Tag zuvor. Etwas weniger Wind, etwas mehr Sonne, und dazu einige Schiffe, die einen ähnlichen Kurs hatten. Lediglich bei der Frage, wo genau wir Richtung Stavoren abzubiegen hatten, waren Jutta und ich uns uneins. Ausnahmsweise hatte ich mal Glück mit meiner Annahme. Die bevorstehende Schleuse und das große Gedränge verursachten bei mir einige Anspannung, aber mit ganz viel Ruhe gelang uns das Schleusen deutlich besser als den größeren Crews. Die Steueranlage des Bootes ist nicht ganz einfach. Diese Doppelschaltung führt dazu, dass sich mit dem Ein- und Auskuppeln des Vorwärts- und Rückwärtsganges auch der Gashebel bewegt. Deshalb ist der Motor und damit verbunden der Antrieb nicht zu einfach zu kontrollieren und mir fehlte schlichtweg die Übung. Das Steuern unter Motor braucht viel Kraft, und Jutta versuchte es kurz auf den Kanälen hinter Stavoren, und ließ es fortan bleiben.
Segelkameraden erzählten mir, dass in den Niederlanden am Wochenende nicht geschleust würde und wenn, dann wäre recht früh am Nachmittag Feierabend. Auf der Suche nach einem Liegeplatz fuhren wir gegen 19 Uhr an einem Sonntag auf eine Brücke zu und siehe da, sie öffnete sich. Gegen halb acht hatten wir einen ganz hervorragenden Liegeplatz auf einer nahezu leeren neuen Marina auf einer Insel eines Sees nahe Sneek. Das also war geschafft.
[nach Groningen] An die Fahrt nach Groningen habe ich kaum noch Erinnerungen. Ich glaube, es war im wesentlichen Kanalfahrt mit ein paar Brücken. Bei einer Brücke, die nicht öffnen wollte, ermittelten wir die Durchfahrtshöhe bei gelegtem Mast. Das waren keine zwei Meter, also weniger als bei meinem Jollenkreuzer. Stimmt, an diesem Tag hatte ich den Mast gelegt. Die Einfahrt in den Hafen vom Motorjachtclub von Groningen war ein wenig eng, aber wir hatten dann einen guten Liegeplatz. Wir hatten Hunger und mussten auch noch einkaufen, deswegen machten wir einen Ausflug in die Stadt. Das wenige was ich sah, sagte mir, dass ich hier noch mal hinkommen sollte. Gegen 21:00 Uhr fand ich noch einen offenen Supermarkt am innerstädtischen Marktplatz und unser Abendessen bestand aus einer ganz hervorragenden Reis- bzw. Nudelpfanne. Ja, sagte Jutta, die Holländer, die können das!
[nach Ems – wo ist die Flut] Seit Tagen diskutierten Jutta und ich Details unserer Route. Mein Vorschlag war, über Ter Apel und den Haren-Rütenbrock-Kanal zum Dortmund-Ems-Kanal zu fahren. Das war eine sichere Variante, hatte aber den Nachteil, dass unzählige Brücken und nicht weniger Schleusen zu bewältigen waren, dass die Kanäle wenig Tiefgang hätten und unklar wäre, wieviel Zeit wir darauf verbringen würden. Jutta schlug dagegen vor, auf den großen Kanälen ins nahegelegenee Delfzijl fahren, von dort aus über die Emsmündung an Emden vorbei in die Ems zu fahren. Diese Variante war etwas weiter, hatte aber deutlich weniger Schleusen und Brücken. Meine Bedenken bezogen sich auf die Strömung des offenen Tidengewässers und auf die See, die wir antreffen könnten, wenn Wind gegen Strom steht. Aber der Wetterbericht war günstig, nur mäßige Winde. Dies und die Erfahrung, wie gut sich das neue Boot auf dem Maerkermeer bei 5 Beaufort verhielt, ermutigten mich, dem Vorschlag von Jutta zu folgen.
[Gegen den Ebstrom] Laut Ebbe- und Flutkalender aus dem Internet sollte in Delfzijl gegen 14:30 Uhr Ebbe sein, danach – so schlußfolgerte ich - würde der Flutstrom einsetzen. Also fuhren wir Punkt 14:30 Uhr bei Delfzijl auf die Emsmündung und in das Fahrwasser, und danach entlang der Betonnung Richtung Emden. Von einem Strom war nicht viel zu merken. Aber, als wir drei Kilometer vor Emden standen, setzte gegen 16:30 Uhr ein heftiger Ebbstrom, der unser Vorankommen deutlich abbremste. Irgendwas in meinen Überlegungen muss da wohl falsch gewesen sein. Auf jeden Fall kamen wir eine gute Stunde lang nur sehr langsam voran. Erst auf Höhe des Emssperrwerks änderte sich das.
[mit der Flut] Etwa dort, wo die Ems begann, wie ein richtiger Fluß auszusehen, setzte plötzlich die Flut ein und das war heftig. Wir waren schnell unterwegs und rasten von Tonne zu Tonne. Rechts und links am Ufer konnten wir Einfahrten zu kleinen Häfen sehen, in denen die Boote allesamt im Schlick lagen. Häfen, die sich nur bei Flut erreichen ließen. Mit sowas hatte ich gar keine Erfahrung. Warten beim Einlaufen, bis das Wasser hoch genug steht, das ist schon klar. Aber dann: Festbinden und immer weiter Schräglage und im Schlick versinken? Egal, da wollen wir nicht hin und eines Tages würde ich es schon herausfinden, oder auch nicht.
Meine Rechnung war, die erste Schleuse des Dortmund-Ems-Kanals [Schleuse Herbrum] noch zu erwischen und das gelang dann auch. Ich hatte einfach keine Lust auf einen Hafen mit Tidenhub und die Aussicht, zu einer bestimmten Zeit nur auslaufen zu können. Kurz hinter der Schleuse in einem Seitenarm war dann auch ein Festmacher und ein Hotel [Emsblick], wo wir zur Feier des Tages Schnitzel Pommes und Fisch vertilgten. Zu feiern war nicht nur, dass alle schwierigen Abschnitte des Törns jetzt hinter uns lagen, sondern auch der Geburtstag des Skippers.
In Erinnerung blieb mir vor allem die bizarr wirkende Landschaft eines kleinen Flusses mit Tidenhub. Sand neben dem Flußbett, eine in das Land laufende schnelle Strömung, ein aufgeschotterter Rand vom Flussbett und dahinter eine karge grüne Landschaft und gelegentlich richtig fette Frachtkähne. Das war schon eigenartig.
[Meppen] Am nächsten Tag und nach vielen Schleusen war das Etappenziel Meppen erreicht. Die Liegegebühr war hier deutlich niedriger als in Naarden und ein gutes Drittel des Törns lag hinter uns. Ich war doch doch sehr dankbar, dass der Motor es unter diesen Bedingungen durchgehalten hatte, denn das war meine größte Sorge. Dass der Motor schlapp macht und wir mitten auf dem Ijsselmeer sind oder sonst irgenwie im Nichts. Was ich bei solchen Ängsten immer wieder vergesse ist der Umstand, dass wir ja nie zivilisierte Kulturlandschaft verlassen. Warum wir das aber trotzdem Sorgen bereitet, naja, das ist eine andere Frage.
Meppen hatte ich aus einen anderen Grund noch sehr gut in Erinnerung. In meiner Schüler- und Studentenzeit war ich engagiert in der KSJ, der Katholischen Studierenden Jugend, und damals gab es regelmässige Treffen der Stadtgruppen aus Berlin, Hamburg, Hannover, Münster und eben Meppen. Und die Leute aus Meppen waren bekannt als die trinkfesteste Stadtgruppe der Welt. Ob ich jemals in Meppen war oder nicht, kann ich aus diesen Gründen gar nicht mehr sagen, und selbst, wenn ich da gewesen sein sollte, habe ich wohl überwiegend in Glas geguckt, statt mir Meppen anzusehen. Aber das ist eine andere Geschichte.
Zweite Etappe: Meppen - Dortmund-Ems-Kanal - Schleuse Bewergen - Mittellandkanal - Bad Esen - Hannover - Wolfsburg (4 Tage)
[Verschwundenes Boot] Tage später erreichte ich nach einer langen Zugfahrt gegen Mitternacht wieder den Jachthafen Meppen für den zweiten Abschnitt des Überführungstörns. Ich hatte mir die Tastenkombination für das Eingangstor gemerkt und tappste mich bei spärlicher Nachtbeleuchtung in Richtung Boot. Nur, das war nicht da! Dort, wo wir es Tage vorher am Gästesteg festgebunden hatten, war kein Boot mehr. Für einen Moment rutschte mir das Herz in die Hose, aber dann wurde mir klar: Das Boot ist nicht weg, es ist nur woanders. Ich blickte mich um und entdeckte zwei Stege weiter etwas, was aussah wie mein Boot und das war es dann auch. Dass ich für eine gute Woche liegen würde, hatte ich vorab mit dem Hafenmeister klar gemacht, und natürlich hätte ich damit rechnen müssen, dass ich rangiert werde, vor allem, wenn der Gästesteg für weitere Einnahmen gebraucht wird.
Der Hafenmeister war irgendwie dankbar, mit mir plauschen zu können und so unterhielten wir uns über dies und das. Vielleicht nötigte es ihm auch Respekt ab, dass ich Einhand unterwegs war. Meine größte Sorge jedenfalls waren die zahlreichen Schleusen die mir bevor standen und die ich alleine zu bewältigen hatte. Das sagte ich ihm natürlich nicht, aber vielleicht ahnte er es. Auf jeden Fall kam er kurz vor meiner Abreise mit einem riesendicken Pfänder an, den er mir schenkte und höchstpersönlich Backbord vorne festmachte. Denn die Backbordseite, soviel war mir inzwischen klar geworden, würde meine bevorzugte Anlegeseite beim Schleusen sein. Und bis zum Mittellandkanal – einer Art Schiffsautobahn quer durch Deutschland, würden es noch einige sein.
[Schleusen – Einhand] Wenn ich das Schiff aufstoppe, das heißt, vom Vorwärtsgang in den Leerlauf schalte und dann einen guten Schub rückwärts gebe, schlägt das Heck meines Schiffes nach Backbord [für Nicht-Schiffer_innen: Die linke Seite des Schiffes] aus. Das nennt mensch Radeffekt und den kann mensch sich zu nutze machen. Also überlegte ich mir, bei Schleusen die Backbordseite zu wählen, denn wenn ich langsam an die Schleusenwand heranfahre und mich dort an einem Poller oder einer Stange festmache will, kann es nur von Vorteil sein, wenn ich durch das Aufstoppen noch näher an die Schleusenwand komme (statt umgekehrt). Ausserdem legen die meisten Leute an der anderen Seite an, so dass beim Schleusen damit zu rechnen ist, dass ich gut einen freien Platz erwischen kann. Auch habe ich mich entschlossen, mit nur einer Leine zu schleusen, die ich in etwa mittschiffs unten an einer Relingsstütze befestigt habe. Damit habe ich schon bei meinem Jollenkreuzer gute Erfahrungen gemacht, und im Prinzip funktioniert das auch bei meinem neuen Kielboot.
Bemerkenswert – ich greife hier vor – war das Schleusen in Anderten bei Hannover im Mittellandkanal. Da war so ein Hamburger Skipper, der irgenwelchen Funk abhörte und so mächtig erfahren tat. Er konnte es kaum erwarten, direkt hinter dem Frachtschiff in die Schleuse einzufahren und hatte im Schraubenwasser mächtig Probleme, vor allem auch, weil die Freundin, die er kommandierte, nicht so recht verstand, was genau er denn wollte. Ich konnte das aus der Entfernung genüßlich beobachten, wie er mit dem Boot hin und her tanzte und in Streß geriet. Als ich mich 30 Sekunden später näherte, war der Spuk vorbei, der Frachter inzwischen fest und der Motor aus. Ich konnte in Ruhe aufstoppen, hatte keine Mühe, mein Festmacherseil um den Poller zu schlingen und das Schleusen konnte beginnen. Dass die Leute nie kapieren, dass das Wasser ein ganz eigenes Tempo vorgibt und dass es nichts bringt, auf dem Wasser besonders schnell sein zu wollen.
Mittellandkanal
[Wo bitte ist der Sprit?] Das Boot hat einen Tank, der 35 Liter fasst. Das wusste ich aus dem Katalog. Der Motor wird mit einem Verbrauch von 1,6 Litern auf 10 Kilometern angegeben. Der vorige Eigner sagte mir, dass es keinen Sinn macht, besonders schnell fahren zu wollen. Das würde nur den Dieselverbrauch in die Höhe treiben und nicht sehr viel mehr an Geschwindigkeit bringen. Es mässiges Tempo sei das Beste. Ich kalkulierte den Dieselverbrauch. Für die Gesamtstrecke von gut 900 Kilometern würde ich gut 150 Liter Diesel brauchen. Vorausgesetzt, die Angaben stimmten. Nun wollte ich weder den Tank komplett leer fahren noch alle zwei Tage tanken. Also brachte ich weitere zwei 20-Liter-Kanister mit an Bord, so dass ich eine Gesamttankmenge von 75 Litern hatte. Das sollte wenigstens für mehr als 400 km reichen. Und im übrigen rechnete ich mit mehr Verbrauch als angegeben. Gerade Verkäufer geben gerne die Werte günstiger an als sie tatsächlich sind. Bis Meppen reichte die Menge locker, und dort füllte ich zum Start des zweiten Törnabschnitts die Bestände auf und machte den Haupttank nochmal randvoll. Bisher, so war mein Eindruck, bewegte sich der Verbrauch innerhalb des kalkulierten Rahmens.
Das Motoren auf dem Mittellandkanal langweilte mich. Du kannst während der Fahrt ja mal den Tankstand prüfen!, dachte ich mir. Die Tankfüllanzeige – auch das zeigte mir der vorige Eigner noch – bestand aus einem etwa 70 cm langen Holzstab. Dieser wird in den Tank gesteckt und dann herausgezogen. An der Länge der benetzten Fläche lies sich dann ablesen, wie viel oder wie wenig Diesel noch im Tank ist. So tat ich also und bekam einen gehörigen Schreck. Ich war keine 80 km mit dem vollen Tank gefahren und demnach müsste der Tank mehr als zu zwei Dritteln gefüllt sein. Tatsächlich zeigte mir der Stab aber an, dass kaum mehr als ein Drittel im Tank war. Ich musste also mächtig Diesel verlieren. In meiner Panik legte ich an und schüttete weitere 20 Liter aus dem Kanister in den Tank. Hilfe, ich habe ein Problem!
Ein paar Monate vor diesem Törn hatte ich mir vorsorglich ein Buch besorgt über die Wartung von Diesel – Schiffsmotoren. (Ein ähnliches Buch aus der Reihe „Jetzt helfe ich mir selbst“ hatte mir damals bei meinem alten R4 [Auto] nützliche Dienste geleistet. Aber das war mehr als zwanzig Jahre her.) Das hätte ich mal besser gelassen, denn nicht nur, dass die Autoren des Buches einen recht seltsamen Humor haben, die Schilderung der Dinge, die kaputt gehen könnten, gleicht einem mächtigen Gruselkabinett. Wahrscheinlich dadurch bin ich zu einem wahren Motorschäden-Hypochoder geworden. Ich hatte panische Angst vor plötzlichen Ausfällen. Anders gesagt, nach der Lektüre dieses Buches wunderte ich mich, warum Bootsdiesel überhaupt funktionieren.
[Entlüftung] In Bad Essen angekommen, stellte ich das Boot Kopf. Irgendwo musste eine undichte Stelle sein. Im Tank, im Tankschlauch oder irgendwo im Motor. Ich entdeckte eine große Lache an Diesel-Wasser-Gemisch unterhalb des Motors, die ich erstmal abpumpte und in Kanistern entsorgte. Was für eine Sauerei. Aber am Motor selber fand ich keine Spuren, und entlang den Tankleitungen auch nicht. Langsam kam mir eine Idee ... Natürlich inspizierte ich auch während des Törns alle möglichen Stellen am Boot, guckte in jedes Schapp, in jede Luke und versuchte zu verstehen, was da war und warum. Und vorgestern war das Süll im Cockpit an der Reihe, weil ich überlegte, ob ich dort Lautsprecher einbauen könnte. Und da ist mir doch dieser dünne Schlauch aufgefallen, an dem ich zog. War das die Entlüftung vom Tank? Habe ich durch meine Veränderung der Schlauchposition aus der Entlüftung eine kommunizierende Röhre gemacht? Konnte es sein, dass ich tankte und dann automatisch über diesen Entlüftungsschlauch eine ganze Menge Diesel in die Bilge abfloss? Das wäre eine logische Erklärung für den erheblichen Dieselverlust im Tank. Ich drückte diesen kleinen Schlauch also wieder in das Süll zurück und machte mir ein Memo, dass ich erstens den Tank nie wieder randvoll füllen dürfe und dass ich zum anderen mich einmal grundsätzlich mit dem Thema Tankentlüftung befassen müsste. Im Verlauf des Törns prüfte ich noch sehr oft den Tankinhalt und stellte dann keine auffälligen Abweichungen mehr fest. [In Berlin angekommen, inspizierte ich den Bereich nochmals und stellte fest, dass es neben der Leitung zum Motor und der Rückführung noch eine Dritte Leitung ab, die ins Nichts führte. Diese Leitung war feucht und offensichtlich entwich auch von hier weiterer Diesel. Ich entfernte diese Leitung und bekam den Tank erst dicht, nachdem ich in einem Kreuzberger Schraubenfachhandel eine passende Schraube mit Feingewinde – ich wusste bis dato auch nicht, dass es sowas gibt – besorgt hatte mit einer dazugehörigen Unterlegscheibe aus Kupfer. Aber das ist eine andere Geschichte.]
[Wolfsburg – Bahnhof] Das Ziel der zweiten Überführungsetappe war Wolfsburg. Aus einem sehr einfachen Grund. Von diversen Zugfahren wusste ich, dass der Mittellandkanal direkt am Bahnhof verläuft und das Kartenmaterial zeigte mir, dass dort ein Liegeplatz war. Also hoffte ich inständig, dort noch einen Liegeplatz zu finden und von dort aus schnell nach Berlin gelangen zu können. Denn meine Mutter, die ich pflegte, wollte ich nicht allzu lange alleine lassen. Dass mit dem Liegeplatz am Bahnhof war dann auch so, nur die Idee mit der schnellen Zugverbindung nach Berlin war eine Milchmädchenrechnung. Durch das Elbehochwasser war die direkte Zugverbindung nach Berlin unterbrochen. Ich musste wieder zurück nach Braunschweig und von dort aus gab es einen umgeleiteten und verspäteten Zug über Magdeburg nach Berlin. So hatte ich mir das nicht vorgestellt. Mehr als drei Stunden später als geplant kam ich Hauptbahnhof an. Das einzig Positive war, dass mir die Bahn wegen der Verspätung dann einen guten Teil der Fahrtkosten ersetzen musste.
Dritte Etappe: Wolfsburg - Mittelland Kanal - Kanalbrücke Elbe - Elbe-Havel-Kanal - Brandenburg (Stadt) - Havel - Teltowkanal - Dahme - Schmöckwitz (3 Tage)
[Wolfsburg – warum ist die Batterie alle?] Tage später komme ich spät abends mit dem Zug in Wolfsburg an und freue mich über den kurzen Weg zum Boot. Routinemässig mache ich dann immer einen Probestart mit dem Motor und war völlig fertig. Der Motor startet nicht, die Anlasser röchelt einmal kurz und danach geht nix mehr. Wieder Panik. Erst das Problem mit dem Tank, jetzt das Problem mit Batterie und Anlasser. Scheisse, Scheisse. Mir schiesst durch den Kopf: Wenn ich einen Experten kommen lassen muss, wird das schnell etliche Scheine kosten. Und es ist nicht so, dass ich beliebig viele davon hätte. Aber ich hatte noch eine Chance. Es gab ja noch die zweite Batterie an Bord, und die musste noch randvoll sein.
Am nächsten Morgen hole ich Diesel, Milch und Brötchen und mache mich sofort ans Werk. Die Starterbatterie wird abgeklemmt und die andere Bordbatterie angeschlossen. In angespannter Erwartung mache ich einen Startversuch und der Diesel kommt. Auch noch ein zweites und ein drittes Mal. Alles klar, ich kann losfahren.
[Kanalbrücke Elbe – warum startet der Motor nicht?] Also setze ich meine Reise fort, passiere noch eine Schleuse und komme dann zur Brücke des Mittellandkanals über die Elbe. Und an dieser Elbquerung sollen Sportboote anhalten und mit der Leitzentrale sprechen, wann sie fahren können, denn der Verkehr über diese Brücke ist jeweils nur in eine Richtung zulässig und wird von einer Zentrale gesteuert. Es ist vielleicht 17 Uhr, ich kann noch eine Weile fahren. Ich hole mir das Okay, loszufahren, gehe auf mein Schiff, möchte die Maschine starten und es passiert: Nichts. Kleinlaut kehre ich zum Sprechstand zurück und sagte, dass aus meiner Passage vorerst nichts wird und ich mich melden würde, wenn es weiter ginge. Das ist jetzt richtig Scheiße. Die Starterbatterie startete gestern abend nicht, und die heute früh ersatzweise eingebaute Batterie jetzt auch nicht mehr. Wo ist der ganze Strom hin?
[Ferndiagnose] Ich bin wirklich am Ende. Erst der Schock mit dem Tank vor ein paar Tagen, dann der Motor, der gar nicht starten will, jetzt auch nicht mit der zweiten Batterie. Ich bin noch mehr als 200 km von Berlin entfernt und sehe nicht, wie ich nach Hause kommen soll ohne funktionierenden Motor. Mein Vertrauen in den Motor ist auf Null. Was ist denn los? Warum geht die Batterie alle? Ach, es ist doch alles Scheiße. Erst verliere ich Diesel, und jetzt habe ich Probleme, den Motor überhaupt zu starten. Selbstzweifel kommen in mir hoch. Hätte ich dieses Schiff doch bloß nicht gekauft und wäre bei meinem Jollenkreuzer geblieben. Den hätte ich zur Not noch paddeln können. Aber dieses große Schiff mit dem großen alten Dieselmotor, der rumzickt? Und es ist so lästig, andere Leute um Hilfe bitten zu müssen. Ich mag es nicht, diese Abhängigkeit. Ich rufe Torsten an. Der hat von allem ein wenig Ahnung. Aber auch er kann mir nicht auf Anhieb sagen, woran es liegen könnte. Naja, im Motorraum fliegen unzählige Strippen und Kabel rum. Nicht alle haben eine Funktion und bei anderen ist mir völlig unklar, welche Funktion sie haben. Der Voreigner sagte mir, dass er das so gelassen hätte. Denn wo schon mal ein Kabel verlegt ist, müsse kein neues verlegt werden. Überhaupt hatte er in mancherlei Hinsicht seltsame Ideen. So gibt es in der Kajüte einige Instrumente und Anzeigen, die offensichtlich nicht mehr funktionieren, aber trotzdem im Schiff verblieben sind. Seltsame Vorstellungen von Historizität. Das Telefonat mit Torsten bringt mich auch nicht wirklich weiter. Aber ich habe noch eine Chance. Ich habe mir von meinem alten Boot meine Gel-Batterie mitgebracht für die improvisierte Bordstromanlage (im Wesentlichen für das Licht in der Kajüte). Denn die Elektrik funktionierte, ausser zum Zeitpunkt der Übergabe, auch nicht auf diesem Boot. Das war meine letzte Chance. Wenn das nicht funkioniert, würde ich das Boot stehen lassen und externe Hilfe organisieren müssen. Also noch einmal Arbeit im Motorraum. Ich klemme meine Gel-Batterie, die ich eigentlich für diese Zwecke gar nicht verwenden wollte, an den Motor an und mache eine Start. Es klappt.
Sofort klemme ich die Verbindung wieder ab, um nicht unnötig Strom zu verlieren, auf welchem geheimnisvollen Weg auch immer. Es ist inzwischen spät geworden und ich beschließe, das Wasserkreuz zu erkunden. Von oben blicke ich auf die Elbe und werde morgen über sie hinweg fahren. Rechts und links am Ufer sind noch die Spuren des Hochwassers deutlich erkennbar. Es ist ein graubrauner, inzwischen getrockneter Schlick, der sich überall festgesetzt und einiges verwüstet hat. Der Motor muss nur noch zweimal starten, morgen und übermorgen, und dann bin ich zu Hause. Denn längst mache ich den Motor im Verlauf des Tages nicht mehr aus, sondern lasse ihn laufen, auch in der Schleuse. Denn wieder liegen zu bleiben und den Motor nicht mehr starten zu können, das möchte ich nicht riskieren. Und dabei war ich noch wenige Tage vorher auf dem Maerkermeer bei dem Seegang der Meinung, der Motor sei das zuverlässigste am ganze Boot.
[Abschlepparktion bis Burg] Im Grunde verachte ich diese riesigen schwimmenden motorisierten Blechhaufen. Die kleinen Motorboote haben noch einen gewissen Charm, die Leute sind nah am Wasser, die etwas schnelleren kann mensch zur Not noch tolerieren, auch die Eigenbauten. Aber diese schwimmenden Kolosse, das ist irgendwie pervers: Warum bleiben die Leute nicht da, wo sie herkommen? Jedenfalls passiere ich das Wasserkreuz bei Magdeburg über die Elbe, und dann kommt schon bald eine Schleuse [Schleuse Hohenwarthe] und viele Sportboote warten davor. Ich erwische einen Platz ganz hinten und sage mir beim Ausfahren, dass ich mir jetzt ganz viel Zeit lasse, damit die anderen Boote einen schönen Vorsprung herausfahren können und ich ganz in Ruhe hinterher fahren kann. Das machen auch alle, sie geben gut Gas beim Rausfahren und verschwinden schön. Nur eines, und ausgerechnet das größte von diesen Sportbooten fährt ausgesprochen langsam. Und dann erscheint dieser Typ auf dem Hochdeck und rudert im Kreis mit seinem rechten Arm, als wolle er sich diesen auskugeln. [Nachher erklärt mir der Typ: das Kreisen mit dem Arm wäre ein übliches Notfallsignal. Hm, kann sein oder auch nicht. Erinnern kann ich mich jedenfalls an sowas nicht.] Ich stoppe auf. Er habe eine Havarie und ich müsse ihn schleppen. Mir gefällt der Tonfall nicht. Ich drehe eine Runde und stoppe langsam auf. Er habe einen Motorschaden und komme nicht voran. Also gut. Die anderen sind längst weit weg und treiben lassen kann ich ihn hier auch nicht. Die Pfänder sind ohnehin draußen und ich lasse mir die Leinen geben und verzurre das Schiff so, dass es vor mir liegt. Dann lege ich den Vorwärtsgang ein und gebe Gas. Der Trumm ist rechts vor mir angebunden. Ich schiebe mit meinen 9 PS und 3,6 Tonnen gefühlte 10 Tonnen vor mir her. Entsprechend langsam ist die Fahrt. Ich sage ihm, dass voraus Burg kommen würde und da gäbe es Häfen. Bis dahin sind es etwas mehr als drei Kilometer. Wir brauchen eine gute Stunde bis dahin. Es stellt sich heraus: Auch er hat dieses Boot in Holland gekauft und ist damit über Ter Apel und den Haren Rutenburg-Kanal gefahren. Beachtlich. Dann kann der Kanal doch nicht so klein sein. Allerdings ist er ohne Kartenmaterial unterwegs und weiß gar nicht so genau, wo er eigentlich ist. Das ist mir einigermaßen unverständlich: Einen Haufen Kohle zahlen für einen dicken protzigen Pott, aber dann reicht es nichtmal für einfachste Binnenkarten. Er kommt aus Köpenick und ist von seinem Verkäufer total enttäuscht. Weil das Boot unterwegs schon einmal einen Motorschaden hatte. Er ist total dankbar, als ich ihm meine Karte rüberreiche zur Orientierung. Bis Burg hatte ich zugesagt, ihn zu schieben. Bin dankbar um jeden Meter, den wir uns diesem Ziel nähern. In Burg angekommen werfe ich die Leinen los, er will zur Werft rüber fahren. Offenbar ist seine Maschine doch nicht vollständig hinüber, dass er noch allein fahren kann. Hoffe insgeheim, dass er mir noch ein Pfund oder wenigstens einen 10er gibt für den zusätzlichen Diesel, den ich in diesen 90 Minuten verfahren habe. Aber nix da, kaum werfe ich ihn los, ist er schon mit seiner ganzen Aufmerksamkeit dabei, den Werfthafen anzusteuern. Egal, Seemannschaft bedeutet, nicht nur den netten zu helfen, sondern denen, die gerade da sind. Wer weiss, womöglich hilft mir ausgerechnet so ein Scheiß-Motorboot mal genau dann, wenn ich Hilfe brauche. Also nicht vorschnell urteilen, sondern die Situationen so nehmen, wie sie kommen.
[Genthin – Mutteralarm] In etwa einer Stunde würde ich Genthin erreichen, als plötzlich das Telefon klingelt. Es ist der Malteser Hilfsdienst. Seit ein paar Wochen ist meine Mutter am Hausnotruf angeschlossen für den Fall, dass sie wieder umkippen würde. Mir wird mitgeteilt, dass sie den Alarm ausgelöst hätte, sich aber nicht melden würde. Ich erkläre, dass ich unterwegs in Brandenburg sei und nicht zeitnah reagieren könne. Ich bitte, es zunächst bei meinem Bruder zu versuchen und dann ggf. ein Team dort hin zu schicken. Ich überlege, in Genthin anzulegen und sofort nach Berlin zu fahren. Doch selbst im günstigsten Fall würde ich spätens in vier Stunden in Berlin sein. Allein Genthin zu erreichen, das Boot festzumachen und zum Bahnhof zu eilen, würde mehr als eine Stunde dauern. Und dann war noch gar nicht gesagt, dass ich gleich einen Zug erwischen würde. Als Genthin in Sichtweite ist, rufe ich meinen Bruder an. Ja, auch er war angerufen wurden, war aber noch in einer Besprechung und hat den Malteser Hilfsdienst gebeten, bei unserer Mutter nachzusehen. Dass sie sich nicht gemeldet habe, hätte ihn auch verwundert, er würde aber später nochmal selbst vorbei fahren. Ich beschließe, weiter zu fahren nach Stadt Brandenburg, da ich ohnehin nichts ausrichten kann.
In Genthin war ich mal vor ein paar Jahren auf dem Weg nach Parey. Ich hatte den Ort vom Wasser aus ganz anders in Erinnerung, als er sich damals zeigte. Überall vor und hinter Genthin mächtige Bauarbeiten am Wasser. Der Kanal wird offenbar vertieft, weiter begradigt, die Böschungen neu befestigt.
[Brandenburg an der Havel] Als ich die Brandenburger Gewässer erreiche, fühle ich mich schon beinahe wie zu Hause. Hier war ich schon öfter mit dem Jollenkreuzer, hier ist mir das Revier vertraut. Mein Bruder ruft an. Mit unserer Mutter ist alles in Ordnung. Sie hatte einen kurzen epileptischen Anfall und hat den Notruf ausgelöst. Dass sie sich hätte laut melden können, war ihr gar nicht bewußt gewesen. Nach etwa einer Stunde war der Malteser Hilfsdienst bei ihr zu Hause eingetroffen und hätten sie halbwegs aufgeräumt vorgefunden. Ich bin erleichtert. Ich beschließe, am Stadtanleger fest zu machen und mache einen längeren Spaziergang durch die Stadt. Zur Feier des Tages gönne ich mir eine Pizza. Bis hierher bin ich schon gekommen, und den Rest werde ich auch noch schaffen.
[Going home] Am nächsten Morgen startet der Motor ohne zu zicken und ich fahre die Strecke ab. Bei der Einfahrt in den Teltowkanal überdenke ich nochmals meine Planung. Ursprünglich wollte ich bis Hafen Tempelhof fahren, um dann am frühen Abend nach meiner Mutter zu schauen, die keine 10 Minuten Fußweg vom Hafen Tempelhof wohnt. Auf der anderen Seite sind es vom Hafen Tempelhof noch höchstens dreieinhalb Stunden nach Schmöckwitz und dann wäre der Törn zu Ende. Ich telefoniere mit meiner Mutter. Alles in Ordnung, ich soll mal schön bis Schmöckwitz fahren.
[Begrüssung] Gaaanz langsam und vorsichtig nähere ich mich meinem neuen Liegeplatz. Es ist kurz von 20 Uhr an einem Freitag, und ich hoffe, dass ich nicht weiter beachtet werde und in Ruhe anlegen kann. Nix da. Am Ufer ist eine lange Tafel aufgebaut und eine größere Gruppe feiert irgendwas. Natürlich ist wahrgenommen worden, dass sich ein unbekanntes Boot dem Vereinssteg nähert und einigen wird wohl klar, dass ich das sein müsste. Langsam füllt sich der Steg an meinem Anlegeplatz. Gefühlt 10 Leute reißen sich darum, meine Leinen festmachen zu können. Ich werde begrüßt und zum neuen Boot beglückwünscht. Ich sitze dann noch für eine gute halbe Stunde in der Runde und werde mit Bratwurst und Salaten verwöhnt und erzähle dies und das von meinem Törn.
[Zweifel] Nein, ich bin immer noch nicht hundertprozentig sicher, ob das eine richtige Entscheidung war mit diesem Boot. Ich bin so weit vom Wasser weg, das Ding ist so groß und so schwer zu handhaben. Mit dem Jollenkreuzer war ich verwachsen, vertraut. Ich wußte, wie das Boot reagiert, was ich ihm zumuten konnte. Es war leicht zu handhaben mit dem Aussenborder, dem Anker, dem Schwert. Auch bei stärkerem Wind stand das gereffte Segel wie eine Eins und das Schiff ließ sich sicher steuern. Wir waren zusammen auf der Müritz, auf dem Haff und dem Greifswalder Bodden, auf dem Schweriner See und der Masurischen Seenplatte, wir segelten auf der Elbe, der Oder und der Weichsel – in den letzten Jahren meistens einhand. Unzählige positive Erlebnisse und Erinnerungen verband ich mit diesem Schiff. Und jetzt, mit dem neuen Schiff war alles anders. Diese Vertrautheit, die werde ich mir erstmal erarbeiten müssen ....
Auf der anderen Seite: Seit Jahren habe ich davon geträumt, ein grosses Boot zu haben und jetzt habe ich es. Der Rest wird sich finden. War ja bei den anderen Schiffen auch so.
Berlin, 11.10.2013
Stefan Schneider
[Anmerkungen]
[1] Nicht ganz zu Unrecht geht ja über Segler die Sage, dass mit jedem Bier der Wind ein Stück stärker und die Seeungeheuer noch ein wenig größer werden. Ich persönlich halte davon nichts, sondern neige dazu, lieber etwas zu untertreiben. Das hat Gründe. Zum einen mag ich Prahlereien nicht und zum anderen ist Segler_in gut beraten, anzunehmen, dass es noch dicker kommen kann.
[2] Ich hatte bei der Übergabe gesehen, dass Seekarten von Maerkermeer und vom Ijsselmeer an Bord waren. Diese waren zwar schon einige Jahre alt, aber ich entschied mich, dass das reichen muß. Zum einen ging ich davon aus, dass sich das Gewässer nicht wesentlich geändert hat und zum anderen, dass auch die Betonnung noch unverändert vorhanden war. Auch rechnete ich damit, weitgehend auch Sichtnavigation vornehmen zu können, also die Orientierung an Landmarken, Kirchtürmen usw. Für den weiteren Streckenverlauf hatte ich mir nautische Literatur beschafft:
[3] Ziemlich ordinär, nicht wahr? Diese drastische Ausdrucksweise, die manchmal aber sehr angebracht ist, habe ich von Manne Grube übernommen. Der äußerte sich in seinen Törnberichten bisweilen ähnlich deutlich.
[Abbildungen]
- Schneider, Stefan: Niedertracht im Wassersportverein 2013
- Schneider, Stefan: Wasserweg Berlin - Mersin. Überlegungen zu einem Freundschaftstörn. Berlin 2020
- Schneider, Stefan: Masuren. Und einmal quer durch Polen. Eine Reise unter Segeln. Berlin 2011
- Stefan Schneider: 2011 Törn Masurische Seen und der Wasserweg nach Hause - Teaser [xxx]
- Schneider, Stefan: Verfügbare Segelliteratur. Stand 03_2012
- Schneider, Stefan: Segelträume aus Papier. Projekt Segelbibliothek. Berlin 2012
- 2011 Törn Masuren und Wasserweg nach Berlin zurück - Vorbereitung
- Schneider, Stefan: Seglerische Biographie. Warschau 2011
- Schneider, Stefan: Mein Trip. Januar 1995
- 2008 - Törnauswertung Scharmützelsee-Tour
- Schneider, Stefan: Magellan - Lotse. Berlin 12 1994
- Schneider, Stefan: Indem ich segele .... Berlin 1994
- 201X - Vierwaldstätter See Bootsreise [Planungen]
- Schneider, Stefan: Einschreibungen. Der Ozean unter meinem Stuhl, Berlin 1994
- Schneider, Stefan: Havarie auf der Müritz. Berlin 1997 und Zürich 2011
- Schneider, Stefan: Arbeitstitel Haffbegegnung. Berlin 2011 XXX
- Schneider, Stefan: Die Faszination der Piraterie. Eine Rezension. Berlin 2011
- Schneider, Stefan: Über das Bunkern. Berlin 2011
- Gottschalk, Helga & Heinz: Auf der schönen blauen Donau - Törnbericht 2008
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- Der Herr ist mein Lotse - nach Psalm 23 [Bibel - jüdisch-christliche Religion]
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- Einreise Polen auf dem Wasserweg von Berlin - Stand 2002
- 2007 Auswertung Törn Elbe Müritz und Schwielochsee
- 2010 Take The Load Off Fanny-Törn XXX
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- Forgen - Ein Windgenerator nach dem Flettner-Prinzip
- Schneider, Stefan: Volle Fahrt in schwarzer Nacht. Berlin 2010
- 2009 Sommertörn Stettiner Haff/ Achterwasser/ Usedom/ Greifswalder Bodden
- 2009 - Fellowship 28 - das nächste Boot
- Arbeitsplan Winter 2009_2010
- Planungen: Törn Neuruppiner See - Gudelacksee - Vielitzsee
- Schneider, Stefan: Törn Scharmützelsee - Teupitzer See. Berlin 2008
- Arbeitsplan Winter 2008_2009
- Dommelwall im Seddinsee, Leberecht Migge und die Sonneninsel - ein Forschungsvorhaben (2007)
- Elbe (2007) - Ein Film
- Childers, Robert Erskine: Rätsel der Sandbank
- TakToJest (Jollenkreuzer)
- Orkan auf dem Sniardwy, Masurische Seen, Polen 2007 XXX
- Schneider, Stefan: Heimathafen - Hafen Tempelhof XXX
- 2007 Törn Elbe - Mecklenburgische Seen - Schwielochsee Sommer_Herbst
- 2011 Törn Masurische Seen und der Wasserweg nach Hause (unvollständiges Logbuch)
- Toerns - Elbtour 200X
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- Arbeitsplan Winter 2007_2008
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