Tonne Müritz Mitte - Quelle: WikimediaAusgehend von Hafen Sietow (wegen der ungünstigen Lage z.Zt. vor allem bei häufigem Ostwind nicht zu empfehlen) kreuzen wir unter Segeln über die Müritz in Richtung Bolter Kanal bei SO-Wind um 3-4 Windstärken. Mein Freund Uwe (BR-Schein und Sportbootführerschein-Binnen) am Ruder, ich (BR-Schein und Sportbootführerschein-Binnen) an der Fockschot.

Wir essen Fisch - geräucherte Lachsforelle -, ich denke darüber nach, ob ich nicht die Fock etwas einrollen sollte, soforn der Wind stärker werden würde. Einige Schwierigkeiten mit der Identifizierung von (Untiefen-)Tonnen auf der Müritz, da keine präzisen Karten zur Hand sind (nur: Wasserwanderatlas "Mecklenburgische Gewässer und Boddengewässer".  

Auf Backbord-Bug mit vollem Gross und grosser Fock etwas süd-östlich der Tonne "Baben-Schwerin" macht es plötzlich "Krachs". Ich sehe die Steuerbord-Want-Halterung ausgerissen, rufe das Uwe zu, er stellt sofort das Boot in den Wind, ich hole sofort die Rollfock ein. Ich rufe: "Ich hole das Gross ein!", Uwe nickt und sagt: "Ich werde den Motor anstellen!", was ich bestätige. Gehe nach vorne, hole das Gross runter. Mast schwankt bedenklich, da gute Welle ist auf der Müritz. Inzwischen unter Motor langsame Fahrt voraus in Richtung Wind. Ich löse noch den Baum vom Mast, turne nach hinten, schmeisse dann den Baum mitsamt Segel in die Kajüte. Uwe ruft: "Notwand bauen!" Ich suche ein kurzes Ende, gehe damit nach vorne, schlage es um das ausgerissene Ende der Want und knote es an einem weiter achterlich befindlichem Augbolzen fest (offenbar die Führung für eine Genuaschot). Mast schwankt wegen des grossen Spiels dennoch weiter bedenklich in Richtung Steuerbord. Es knackst bedenklich am Mastfuss. Zurück Richtung Röbel, bedeute ich und weise Uwe die Richtung. Vor dem Wind ablaufen unter Motor, was wir dann auch tun. Ich sage zu Uwe: "Es ist vielleicht doch besser, wenn wir den Mast legen!" Ich unternehme aber nichts, weil ich irgendwie ratlos bin und völlig fassungslos nach dieser Haverie.

Karte der Müritz - Quelle: esys.orgAber ich traue dem Braten nicht, und in der Tat: Die provisorische Want-Halterung reisst nach drei Minuten, da das Holz völlig morsch ist. Uwe motort sofort wieder in Windrichtung. Ich zu Uwe: "Ich werde doch den Mast legen. Vorne am Vorstag ist ein Bolzen, den muss ich lösen! Dann versuche ich, zum Mast zu gehen und lasse ihn langsam kommen. Aber Vorsicht, der Mast könnte trotzdem runterknallen, wenn ich ihn nicht zu halten kriege!" Ich setze in der Pflicht die Stange, die die Mast hält, ein und habe aber wenig Hoffnung, dass ich die Halterung beim Mastlegen sicher treffen würde. Der Mast schlingert bedenklich, und für eine Weile habe ich Sorge, der Mastfuss würde auf dem Küjütdach abbrechen und der Mast würde damit über Bord gehen und ich hätte ein riesiges Loch im Kajütdach. Jedenfalls: Ich frage Uwe nochmal: Okay? - Nach vorne zu gehen, den Bolzen zu lösen, war ein einfaches. Nur der Bügel der Mastlegevorrichtung schlägt mit jeder Welle nach oben, ich stehe mit einem Bein drauf und kann ihn nicht mehr lange halten.

Zur Erläuterung: Ich habe zwar einen Bügel für die Mastlegevorrichtung, aber weiter keine Sicherung wie etwa einen Flaschenzug, da bisher Maststellen unter "normalen" Bedingungen völlig unproblematisch war: Mein Partner löst den Bolzen, ich stehe oben auf der Kajüte hinter dem Mast und lasse den Mast langsam kommen, was völlig einfach ist, selbst bei Wellengang. Nun scheint es mir aber wichtiger zu sein, dass Uwe hinten an Pinne und Motor bliebt, und ich gehe allein nach vorne.) Und wie gesagt, die Bügel der Mastlegevorrichtung schlägt mit jeder Welle nach oben, der Mast droht nach hinten zu kippen. Ich kalkuliere, in einer günstigen Situation mit drei schnellen Schritten nach hinten zum Mast gehen zu können, um ihn erstmal zu halten und ihn dann langsam kippen zu können - was ohnehin schwierig geworden ist, weil der Mast durch die fehlende Steuerbord-Want-Halterung extrem schlingert.  

Ich kann den Mast am Mastbügel nicht mehr halten und auch nicht mehr rechtzeitig zum Mast kommen, der Mast kippt in Sekundenbruchteilen nach hinten, ich kann nur noch nach hinten schreien: Mast kommt, Vorsicht!. Uwe hat sich vorsichtshalber schon ganz auf die Seite gesetzt und steuert das Boot. Mit einem gewaltigen Rumms knallt der (Holz-)Mast auf die Kajütluke und federt in den restlichen 2/3 seiner Länge erheblich (!), so wie ich es mir nie hätte vorstellen können, nach unten durch. Uwe hätte glatt einen Schädelbruch erlitten, wenn er in seiner Linie gestanden, gesessen wäre und wäre auf der Stelle tot gewesen, schoss es mir durch den Kopf. Ich bin heilfoh, dass nichts passiert ist und gehe nach hinten, mich nocheinmal versichernd, dass alles okay ist mit Uwe. Dann nur noch den Achterstag dichtholen, damit der Draht sich nicht in die Schraube vertörnt. Ich zeige Uwe nochmal: Okay, jetzt Kurs auf Röbel und sinke erstmal in der Pflicht in mich zusammen. Komischerweise waren wir beide sehr schnell wieder gefasst: Erstmal einen Schluck Vodka trinken, wenn wir im Hafen sind. Wie analysieren das Manöver: "Den Bug wechseln bei Wantenbuch, wie im Lehrbuch!", "Die Segel waren schnell unten, das war ganz gut!" - "Hätten wir das mit der Notwand besser machen können?", "Das Segeln ist wohl jetzt erstmal vorbei, wir haben grosses Glück gehabt, du hättest tot sein können!", "Ja ich habe mich schon mal vorsorglich auf die Seite gesetzt, es ist gut, dass der Mast jetzt runter ist!", "Es wäre schlimmer gewesen, wenn er mit dem Mastfuss abgebrochen wäre!", "Ja, aber er wäre noch durch Achterstag und Want gehalten gewesen, wir hätten ihn einholen müssen!" usw. Wir einigen uns darauf: "Okay, in Röbel erstmal den Schaden begutachten und einen Vodka trinken!" (Uwe hatte von seinem Polenurlaub eine Flasche dabei). Und etwas pessimistisch: Okay, das ist wohl erstmal das Ende unseres Segeltörns.  

In Röbel einlaufen, erstmal einen Schluck Vodka auf den Schock, Wunden Lecken, dann abriggen, aufräumen, Essen gehen.  

Fazit

  1. Nie wieder werde ich mich bei einem Boot, mit dem ich segle, einfach so auf die Verstagung verlassen, sondern ab sofort immer auf Herz und Nieren prüfen, ob alles okay ist.
  2. Es war auf jeden Fall richtig, den Mast, der in Binnengewässern oft gelegt werden muss, nicht noch durch einen zweiten Bolzen zu sichern - über den einen Bolzen wird er am Mastfuss gekippt - sonst wäre der Mastfuss noch mit dem Mast aus dem Kajütdach ausgebrochen.
  3. Es ist sträflich nachlässig gewesen, das Vorstag nur durch einen Bolzen zu sichern, (womit ein Mastlegen bzw. -stellen immer nur zu zweit möglich ist), mit einem Flaschenzug am Mastlegebügel hätte ich den Mast halten können, um ihn dann langsam kommen zu lassen, wenn, dann wäre der Mast nur zur Seite abgeknickt, was zwar lästiger, aber wesentlich ungefährlicher gewesen wäre: So habe ich ein Menschenleben aufs Spiel gesetzt.
  4. Trotz allemdem haben wir das Problem einigermassen gut gelöst. Ich hätte vor dem Lösen des Bolzens am Vorstag - danach knallte der Mast bald runter - noch eine Talje zum Halten legen sollen.  
  5. Neben den technischen Erwägungen ist aber eine psychologische Erkenntnis von besonderer Bedeutung: 
  6. a) Üblichweise segle ich mit meiner Freundin. Diese versteht - seitdem wir in diesem Jahr zusammen segeln - zwar einiges vom Segeln: Boot in den Wind stellen, Kreuzen, An- und Ablegemanöver etc., die gröbsten Vorfahrtsregeln, viele praktische Erkenntnisse aus unseren Törns in diesem Sommer, aber über hinreichend Erfahrung, was den theoretischen und praktischen Umgang mit einem Segelboot angeht, verfügt sie noch nicht, sie kann also noch nicht selbständig segeln. Hier gibt es sicherlich Vermittlungsdefizite, oder anders gesagt: Obwohl ich /oder wir beide, den Anspruch haben, dass wir beide das Boot selbständig beherrschen können, fallen wir oft genug in das alte patriarchale Schema zurück: Mann an Pinne, Motor und Grossschot; Frau beim Segelsetzen und vorne am rumturnen. Hier muss ich mich fragen, was ich falsch gemacht habe.
    b) Insofern war es in dieser Situation gut, mit einem Freund unterwegs zu sein, von dem ich wusste, er versteht vom Handling eines Segelboots (in kritischen Situationen) so viel wie ich und wir können uns in kritischen Situationen schnell und unkompliziert über das wohl beste Verfahren verständigen bzw. ich kann mich darauf verlassen, dass er, unter seemännischen Aspekten, das "richtige" tut bzw. dass wir ... das richtige tun. 
    c) Und schliesslich: Ich denke, es ist auf einem Segelboot - vor allem in kritischen Sitationen - eine schwierige Angelegenheit, der einzige zu sein, der etwas vom Segeln versteht. Ich jedenfalls neige dann dazu, nervös zu werden und aus dieser Nervosität heraus Fehler zu machen oder gelähmt zu sein. Ich jedenfalls kann mir vorstellen, dass ich nicht so glimpflich aus dieser Havarie herausgekommen wäre, wenn ich mit jemandem unterwegs gewesen wäre, der nichts oder nur wenig vom Segeln versteht.

Da ich ganz sicher in wenigen Jahren auch auf der Ostsee unterwegs sein will, werde ich daraus sicher Konsequenzen ziehen für mich: Also nichts da von wegen: Jetzt weiss ich genug vom Binnensegeln, jetzt bin ich fit genug für die Ostsee. An und für sich meine ich schon, dass ich ein sehr vorsichtiger Segler bin, aber wie mir diese Erfahrung zeigt: Ich war noch nicht umsichtig genug, ja, ich war in gewisser Hinsicht sogar unverantwortlich leichtfertig.


Havarie der Irving Johnston im März 2005 - Quelle: WikicommonsEditorische Notiz

Nachfolgenden Text schrieb ich einige Wochen nach der Havarie, die mich doch sehr beschäftigt hat, mehr, als in diesem Artikel zum Ausdruck kommt. Allerdings habe ich diesen Text bisher nie veröffentlicht. Jetzt, gut 14 Jahre nach dem Ereignis, habe ich ihn wieder gefunden und möchte ihn der Öffentlichkeit nicht vorenthalten. Den Text datiere ich auf das Jahr 1997, da ich im Jahr 1996 erst meinen Jollenkreuzer kaufte und wahrscheinlich im ersten Jahr mit meiner Freundin an der Müritz war. Deshalb ist wahrscheinlich, dass der Vorfall sich im Jahr 1997 oder 1998 ereignete. Inzwischen ist das Boot in einem technischen Zustand, dass ich ein ausreißen einer Want oder eines Stages für ausgeschlossen halten möchte. Auch ist die Jütgabel in der Zwischenzeit zusätzlich mit einer Talje gesichert, so daß der Mast kontrolliert gelegt werden kann. Viel wichtiger ist aber m.E. der Umstand, dass ich in der Zwischenzeit gelernt habe, das Boot auch bei stärkerem Wind alleine zu segeln. Heute würde ich - aber solche Aussagen vom Schreibtisch aus sind natürlich mit einem gewissen Vorbehalt zu genießen - beidrehen und ganz in Ruhe versuchen, das Schiff wieder unter Kontrolle zu bekommen. Aber was für mich eine noch sehr viel wichtigere Erkenntnis ist: Heute würde ich die Prioriäten ganzlich anders sehen. Selbst wenn ich den Mast verliere oder mir der abbrechende Mast ein Loch in die Kajütendecke reißt: An erster Stelle steht die Sicherheit der Personen an Bord - dem hat sich alles andere unterzuordnen. Diese Erkenntnis beruht natürlich auf Erfahrungen, die ich mir Stück für Stück angeeignet habe. Da ich selbst immer wieder gerne Berichte über Havarien lese, hoffe ich, dass dieser Beitrag allen Segler_innen helfen möge, durch eigene gute Seemannschaft Vorkommnisse soclher Art möglichst zu vermeiden. Ich habe Ursprungstext unverändert gelassen mit einer Ausnahme: Ich habe die Vergangenheitsform durchgehend durch die Gegenwartsform ersetzt. So liest sich der Text dramatischer und transportiert viel besser die Dramatik dessen, was passiert ist.

Zürich, 10.06.2011, Stefan Schneider

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