Pfütze auf der Straße - Quelle: Wiki CommonsBruno Katlewski (das ist Stefan Schneider)

Einschreibungen - Anstelle einer Rezension*

Meine Mutter meinte es gut mit mir. Und weil sie es gut meinte, hatte sie Angst um mich. Sie wusste es nicht besser. Angst erlebte sie im Krieg, weil der Vater nicht da war sondern schiessen musste und selbst fast erschossen wurde, und weil sie sich erst Jahre später treffen konnten. Und ihre Mutter hatte Angst vor den Russen und um ihr Kind. Und meine Mutter hatte einen Liebsten, Jahre später, und auch um den musste sie Angst haben und warten und bangen viele Jahre, bis sie zusammenkommen konnten und mich machten.

Diese Angst übertrug sich auf mich, und weil sie es gut meinten mit mir, hatte ich in einen Kindergarten zu gehen. Ich hatte Angst vor den Grossen, den anderen, und weil ich selbst gross war, steckten sie mich zu den anderen Grossen. Und die wussten, dass ich nur ein Kleiner war, und sie machten mir Angst und ich hatte Angst vor ihnen und ich machte mir in die Hosen, spätestens Mittags. Und immer Mittags holte meine Mutter mich ab, und ich war ganz ängstlich und da war dann dieser See unter meinem Platz und die Mutter, meine Mutter, sie kam und sie tröstete mich und sagte, Bruno, da ist doch nichts, aber da war was und ich spürte, dass sie log und dass sie es gut meinte mit mir und dass ihr doch das alles furchtbar peinlich war und da§ sie Angst um mich hatte.

Und jetzt bin ich gross und bin doch noch ein Kleiner und habe furchtbare Angst, und mache mir in die Hosen und sehe den See und dann kommen Wissenschafter und trösten mich und sagen, Bruno, da ist doch nichts, da ist nur eine Medien-, eine Nachkriegs-, eine Wohlstands-, eine Wirtschaftswunder-, eine Einzelkind-, eine Was-auch-immer-Kindheit, und sie machen eine Vorlesung darüber, und sie diskutieren und sprechen und schreiben, und sie veröffentlichen ein Buch, und sie meinen es gut mit den Kindern und der Kindheit und der Wissenschaft und überhaupt und mir ist alles furchtbar peinlich und ich habe Angst.

Ich will nur sagen, dieses Buch ist gut, weil da Menschen es schrieben, die daselbst Kinder waren. Und zugleich: ich habe Angst vor den Wissenschaftlern, die einst selbst Kinder waren und die Angst hatten und haben und jetzt wie Eltern sind und Ängste übertragen und die mich trösten und sagen, es sei alles noch viel schlimmer und die es gut mit mir meinen.

Aus dem See von damals unter meinem Stuhl ist ein Ozean geworden. Und das kleine Kind von früher ist heute ein Segler, der die Abgründe des Meeres kennt und um seine Angst weiss. Und heute meine ich es gut mit meiner Mutter, die mir einst die Angst gab, und die mich belog und die es gut mit mir meinte, und ich meine es gut mit allen jenen, die meinen, es gut mit Kindern und der Kindheit und der Wissenschaft zu meinen. Und wenn ich einst je Kinder habe, werde ich es gut mit ihnen meinen und Angst um sie haben...

Ich finde nichts von mir in diesem Buch, und ich finde doch so vieles über Kindheit, über meine Kindheit. Man mag es drehen und wenden wie man will: In diesen letzten Tagen des Jahres muss ich denken an die Botschaft von Weihnachten: Ein Kind wird uns geboren. Und mit Recht wird diesem Kind das Beste von dem gegeben, was gegeben werden kann: Gold, Weihrauch, Myhrre. Und in diesem Sinne versuchen und versuchten WissenschafterInnen in diesem Buch das Beste von Kindern und Kindheit zu sagen, was sie bewegt. Und das ist nicht wenig.

Und deswegen bin ich unterwegs auf dieser See und kann nur sagen, wenn ich denn Zeit finde auf dem Meer, ich lese dieses Buch, ich werde es lesen. Weil ich es gut mit allen meine.

Bruno Katlewski

* Erdmann, Johannes Werner/ Rückriem, Georg/ Wolf, Erika (Hrsg.): Kindheit und Schule heute. Berlin: Hochschule der Künste (= Reihe: Verständigungen. Texte für die Lehrerbildung) ISBN 3-89462-035-8.

 

Editorische Notiz:

Was für ein Text, was für ein Rhythmus, welche gedanklichen Verwebungen. Damals traute ich mich nicht und veröffentlichte unter Pseudonym, heute sage ich: Ja das ist mein Text. Der See unter meinem Stuhl ist der Ozeon geworden, auf dem ich heute segle.

Des Text spricht für sich, er bedarf keiner weiteren Kommentierungen.

Warschau, 14.01.2012

Stefan Schneider

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