Buchcover Jack London - Sea-Wolf - Quelle: WikimediaA ship in a habour is safe, but ships are not build for habours. Das ist zweifellos richtig. Aber als Segler weiss ich, dass Seefahrt nicht geht ohne Hafen oder zumindest geschützte Ankerplätze. Der Weg ist das Ziel, das ist richtig, aber ohne Abfahrts- und Ankunftshafen, ohne Sicherheit, Beständigkeit und Peilung ist jede Seefahrt aus­sichtslos, nicht möglich. Die "Ghost" ist ein sinnloses Schiff - Resultat einer Katastrophe. Ich kann mich einlassen auf alle Stürme dieser Welt, aber ich muss wissen, woher ich komme und wohin ich will, zumindest eine ungefähre Peilung haben. Einfach nur so, aus Spontaneität und weil es sich so ergibt, werde ich mich niemals auf offene See begeben - dafür habe ich viel zu viel Respekt - um nicht zu sagen Angst - vor der Gewalt von Wind und See. Ist es von übel, wenn ich ständig darum besorgt bin, angesichts dieser Gefahren, auf der sicheren Seite zu bleiben? Nur, wenn ich sicher weiss, was ich dem Schiff und mit zutrauen kann - und das hat auch etwas mit Wissen und Vertrauen zu tun - werde ich es tun und mich auf die offene See begeben. Wenn nicht, ich werde den Teufel tun und rausfahren - ich werde im sicheren Hafen bleiben. Und genau das ist meine Situation. Und dass ich - derart vorbereitet - sehr wohl auf die offene See gehe und auch meinen Spass daran habe und dann auch nicht seekrank werde, das weiss ich und das ist so.

Ich habe dieses Beispiel mit der Seefahrt gewählt, damit ihr wisst, woran Ihr an mir seid. Man kann mir tausendfach erzählen, vorschlagen und von mir erwarten: "Lass uns spontan auslaufen, mal se­hen, was sich daraus ergibt!" Und ich werde tausendfach zögern, nachdenken und prüfen und überle­gen, ob ich in so einem Fall auch auf der sicheren Seite bin. Und ich werde im Zweifelsfall immer sa­gen: "Nein!" Und selbst dann, wenn alle anderen schon mit vollem Tuch fahren und es ist mir zu heiss, werde ich lieber reffen, es ist mir egal, ob die anderen darüber lachen, ich werde es tun - mehr Tuch setzen kann ich noch immer. Und in dem Masse, wie ich so segle und Erfahrungen sammle, werde ich sicherer, souveräner, erfahre mehr über mich und was ich mir zutrauen kann. Aber man muss mich erstmal lassen - und mich mein eigenes Tempo gehen lassen. Ich weiss, eines Tages wird die Zeit reif sein, und ich fahre rüber zu meinem Freund Meyers nach Corn Island, Zelaya Sur in der Karibik - aber wann das sein wird, das bestimme und entscheide ich letztlich allein - weil letztend­lich ich allein muss es verantworten und verantworten können und mir zutrauen. Aber ich weiss, ei­nes Tages wird die Zeit dafür reif sein und ich werde es tun - mit der selben Bestimmtheit, mit der ich wusste, eines Tages werde ich segeln lernen und eines Tages werde ich ein eigenes Boot haben und eines Tages werde ich wieder auf der Ostsee unterwegs sein.

Winslow Homer - Der Golfstrom 1899 - Quelle: WikimediaMan kann mich tausendfach auf den Ozean einer Spontaneität und eines "es wird sich schon ergeben" zwingen, wenn ich noch in Küstenrevieren unterwegs bin. Ich werde es nicht tun, und vor allem schon deswegen nicht, weil ich sehe und erlebe, dass viele auf diesen Revie­ren nicht souverän sind. Es ist eben nicht so, dass ich die Erfahrung mache, mich Kapitänen an­vertrauen zu können, die mich souverän durch diese Gewässer steuern. Im Gegenteil, ich habe oft das Gefühl, Menschen zu begeg­nen, die aus irgendwelchen Gründen auf die offene See geraten sind, die zwar schon den einen oder anderen Sturm abgewettert haben, die aber so recht nicht wissen, wo sie sind, wohin sie wollen, und was sie sich und dem Boot zuzutrauen vermögen. Wenn ich ein Schiffbrüchiger wäre, ich hätte keine andere Wahl. Aber ich bin auch ein Segler und sehe auf Kollegen und stelle zunächst erst einmal fest: So nicht! Jedenfalls ich nicht! Es ist, als nehme ich eine Positionsmel­dung über Funk zu Kennt­nis und stelle fest - Position zu weit entfernt, als dass ich mich in irgendei­ner Weise in das Manöver einschalten könnte. Irgendeine abstrakte Meldung auf meinem Radar. Vielleicht ist mein Boot auch zur Zeit nicht seetüchtig genug, um mich da hin zu begeben. Und dann gibt es eine wichtige See­fahrerregel: Hilfeleistung nur dann, wenn Leib und Leben der eigenen Besat­zung dadurch nicht ge­fährdet werden. Die eigene Sicherheit als Kriterium für die Möglichkeit zur Unterstützung anderer. Wenn ich mit einem kleinen Segelschiff unterwegs bin, kann ich bei der sin­kenden Estonia nicht längsseits gehen, ich würde mit in die Tiefe gerissen. Auch kann ich mit meinem kleinen Boot besten­falls eine Handvoll Schiffbrüchiger auflesen, aber keine 100 oder 200 Leute. Al­les eine wichtige und notwendige Abwägung der Kapazitäten. Und gleichzeitig muss ich feststellen: Ich selbst bin oft auf hoher See, und allein, und ich weiss nicht mehr, wo ich bin, und völlig fertig und durch den Wind, und dann hätte ich mir gewünscht, irgendsoein Kamikaze-Segler hätte um meinetwillen seinen Kurs geändert und wäre, Kopf- und Kragen riskierend, gekommen und mir beseite gestanden. Aber das sind Fragen, die kann ich hier nicht abschliessend klären und entscheiden. Dazu fehlt es mir an Erfahrung. Ich werde später noch einmal darauf zurückkommen.

Ich werde mich doch nie Kapitänen anvertrauen, bei denen ich den Eindruck habe, sie sind sich im Grunde unsicher über das, was sie da tun und vorhaben - und ich selbst habe gleich gar keine Ahnung über das, was da abgeht. Aber genau dieses Gefühl habe ich oft genug in meinem Leben. Dann, ver­dammt noch mal, werde ich aber genau in den Ge­wässern bleiben, die ich kenne, statt mich auf ein solches Risikospiel einzulassen. Es ist ja richtig, dass das nicht alles vom grünen Tisch aus theore­tisch erlernbar ist, sondern dass die Praxis letztlich relevant ist, aber ich muss mich, denen, die die Praxis vermitteln wollen, anvertrauen können.

Jean Lous Theodore Géricault - Vorstudie zu Das Floß der Medusa - Quelle: WikimediaWenn ich Leute, die mir viel wert sind, mit zum Segeln nehme, weiss ich auch genau, was ich tue. Dass ich letztlich, wenn ich sie mitnehme - und das tue ich gerne und es freut mich, wenn es Ihnen ge­fällt - zunächst da­von ausgehe und ausgehen muss, ich muss so tun, als sei ich eigentlich allein unter­wegs. Nur so habe ich für mich persönlich die Voraussetzung, andere überhaupt zu so einem Trip, zu so einem Segeltörn verantwortungsvoll einladen zu können - denn ich will wirklich nicht, dass wir dabei kentern oder es diesen Freunden irgendwie sonst schlecht ergeht. Und wer unter dieser Vor­aussetzung mit mir se­gelt, erlebt durchaus, dass nicht alles cool ist und dass durchaus auch noch eine Anspannung da ist, weil ein gewisses Restrisiko einfach vorhanden bleibt und ich das - auch, wenn ich allein unterwegs bin - nicht einfach ausklammern kann. Aber im besten Fall wird es transparent und nachvollziehbar, und dann haben wir eine gemeinsame Erfahrung ge­macht und gelernt. Ich werde doch nicht losfahren, in Kauf nehmend, aufgrund meiner Uner­fahrung könnten wir kentern.

Trotzdem ist das eine oder andere Mal eine kritische Situation eingetre­ten, wo ich feststellen musste, der Wind war für mich derart unkalkulierbar, dass ich beispielsweise eine unabsicht­liche Halse gefahren bin, die das Boot heftig ins Schwanken versetzte und nicht ganz ungefährlich war. Anders herum: Meine Freunde nicht in ein Kamikaze-Abenteuer zu verstricken, sondern zu vermit­teln, ich weiss durchaus, was ich tue, wenn ich sie zum Segeln einlade, auch wenn trotzdem immer wieder Situationen eintreten (können), die unvorhersehbar sind, das ist, worum es mir geht.

Was mir Klaus sagte: Auch die erfahrensten Segler kentern irgendwanneinmal, aber trotzdem, es geht darum, alles menschenmögliche dafür zu tun, um zu vermeiden, dass eine solche Situation über­haupt eintritt: Auf der sicheren Seite bleiben. Mir kann auch ein Dachziegel auf den Kopf fallen, und dann bin ich tot. Aber eines werde ich nie tun: Mich auf die offene See begeben, wenn ich der Mei­nung bin, ich kann es nicht verantworten. Ich werde doch nie den Anker an Land lassen, wenn ich ihn nicht mitnehmen und eventuell brauchen kann, ich werde doch nicht mehr Segel setzen, als sinnvoll ist, bloss um mir oder irgendwelchen anderen irgendetwas beweisen zu wollen, und ich werde doch auch nicht mit einem Boot in See stechen, von dem ich weiss, es ist leck. Dann lieber sage ich: Sorry, aber unter diesen Voraussetzungen heute nicht.

Wie soll ich es noch sagen? Spontan und nach dem Motto "mal sehen, was sich daraus ergibt!", ist eine Entscheidung, jetzt, heute oder diese Woche segeln zu gehen. Gut und schön. Aber sobald es um die Umsetzung dieser Spontaneität geht, spielt Spontaneität keine Rolle mehr, sondern gehen ratio­nale Erwägungen, Überlegungen und Entscheidungen voran. Traue ich mir das zu? Macht das Boot das mit? Ist das Wetter ok? Was weiss ich über das Revier? (Und trotzdem, ich weiss es, ist da immer noch so ein Jucken in den Fingern, ja, verdammt, lass uns raus, lass uns los....)

Ich erinnere mich an die Sorgfalt, mit der mir Robert seine Susi erst zeigen wollte, bis mir sein Boot für einen Trip zur Verfügung stellen wollte. Und das meine ich: Robert ist, so wie er erzählte und wie ich diesen Samstag nachmittag auf seinem Boot verbrachte, ein absoluter Anarchist und Chaot. Aber in Bezug auf andere Leute und segeln sein Boot, war er ganz anders: Besorgt, engagiert, fast schon penibel, wollte alles erstmal zeigen, demonstrieren, und auch wissen, ob ich die Souve­ränität, Kompetenz und Erfahrung mitbringe, mit seinem Boot zu segeln. Das war alles andere als eine Überlegung spontan - ich gebe ihm mein Boot und mal sehen, was sich daraus ergibt. Und das ist genau das, was ich meine. Beziehungen haben Voraussetzungen und erfordern Engagement und Arbeit.

Foto Mann über Bord - Quelle: WikimediaNatürlich kann ich ein Segelprojekt so angehen: Ich bin nicht dazu gekommen, den Wetterbericht zu lesen, so schlimm wird's ja morgen nicht kommen, ich glaube, die Seeventile sind nicht ganz dicht, die Karten, naja, die werden schon stimmen (obwohl sie 4 Jahre alt sind und die neuesten Verände­rungen nicht eingearbeitet), Diesel wird ja wohl auch noch reichen bis morgen, naja, das nautische Besteck wird schon an Bord sein ( Zirkel, Log und Lot) und die Geräte wohl funk­tionieren - Hauptsa­che, wir laufen morgen aus. Mit einer solchen Spontaneität und der Einstellung, es wird sich schon irgendwie ergeben - werde ich garantiert Schiffbruch erleiden. Und das ist dann überhaupt nicht mehr lustig, und dann, im Zweifelsfall, ist Leib und Leben in Gefahr - ein solches Desaster, bitt­schön, möchte ich nicht zu verantworten haben. Deshalb mein permanentes Interesse und meine Frage, ob denn alles klar ist zum Auslaufen, und wenn nicht, im Zweifelsfall prüfe ich es selber nach. Es ist eine knallharte Kalkulation, wer in der 12 Grad kalten Ostsee abschmiert, hat genau 1/2 Stunde Zeit, wieder aufgefischt zu werden, sonst droht - trotzt Schwimmweste - der Erfrierungs­tod, und mit einem 12 Meter langen Pott ist das bei stürmischer See verdammt schwer zu realisie­ren - allein diesen einen kleinen Kopf, der dann aus dem Wasser ragt, im Auge zu behal­ten, ist schwierig genug. Die Chance, dann noch jemanden lebend zu erwischen, ist verdammt gering. Umge­kehrt, es gilt, um jeden Preis zu verhindern, dass jemand abschmiert, über Bord geht.

Oder, nochmals anders gesagt: Als Jollensegler habe ich wahnsinnigen Respekt oder Angst vor ei­ner Patenthalse. Wenn der Wind von hinten kommt, aber nicht ganz präzise, und der Wind so dreht oder ich so ungenau steuere, dass das grosse Segel dadurch von der einen Seite auf die andere Seite rüber­geworfen wird. Die dabei auftretenden Kräfte sind bei etwas stärkerem Wind so gewaltig, dass ein Boot dabei kentern kann. Vor diesen Vor-Wind-Kursen habe ich einen gewaltigen Respekt und muss mich jedesmal immer wieder auf's höchste konzentrieren, wenn ich einen solchen Kurs fahre. Ich dachte, auf Dickschiffen sei das völlig anders. Um so mehr war ich überrascht, dass Jochen, der wirklich viel Erfahrung und Kompetenz und Sicherheit ausstrahlte, jedesmal darauf bestand, dass wir den Bullenstander (ein Seil, dass den Baum des Grosssegels festhielt, damit er nicht unkontrolliert mit dem Segel auf die andere Seite umschlagen kann) setzten, wenn wir diesen Kurs lŠngere Zeit (als nur wenige Minuten) fuhren und uns jedesmal ermahnte, bitteschön sehr konzentriert auf den Kurs und das Ruder achtzugeben, damit uns eine Patenthalse (Halse = umschlagen des Segels auf die andere Seite, Patenthalse = das ganze unabsichtlich) nicht passiert. Es sind gewaltige Kräfte, die da am walten sind.

Ich sage, ich will beim Segeln auf der sicheren Seite sein. Vertrauen nur da haben, wo eine Basis dafür da ist, spontan sein und mal sehen, was sich daraus entwickelt, wenn ich weiss, worauf ich mich verlassen kann und worauf das beruht. Wenn ich davor zurückschrecke, mich auf GewŠsser einzulassen, die ich noch nicht kenne und mir nicht zutraue. Wenn ich meine Skepsis und meine Skru­pel habe, wenn ich einen Kapitän erlebe, der in seinem Fahr­tengebiet auf offener See nicht souverän ist. Wenn ich darauf bestehe, mein eigenes Tempo zu gehen und innerhalb der "Zone meiner nächsten Entwicklung" (Wygotskij) zu bleiben, weil das das äusserste dessen ist, was ich mir zutrauen kann?

Indem ich segle, erfahre ich Informationen Ÿber mich, über die Menschen, mit denen ich segle und über uns und stelle häufig fest: Weit, weit weit sind wir voneinander entfernt. Een boot is out buten! Und was haben diese tapferen Friesen deswegen unternommen. Und es hat sich gelohnt. Ein für alle mal.

In diesem Sinne - Seefahrt tut not!

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