Versuchend, meine Situation und mein Anliegen zu verdeutlichen und dabei innerhalb der nautischen Metapher zu bleiben, ist mir nach einiger Zeit die Lage von Magellan eingefallen.
Es war 1519, wenn ich mich recht entsinne - als ob ich damals dabeigewesen wäre - als er aufbrach, neue alte Welten zu entdecken, nachdem sich allmählich herausstellte, dass das entdeckte Indien eben doch nur Amerika war. Aufbrechend in der Hoffnung und voller Gewissheit, dass es eine Passage geben würde dort irgendwo im Süden des neuentdeckten Kontinentes.
Immer weiter in den Süden vordringend, langsam und voller Ungeduld, und jede der sich darbietende Passage westwärts, hoffnungsvoll befahren, entpuppte sich wieder und wieder nur als riesiges Mündungsdelta, enttäuschendes und zugleich notwendiges Süsswasser. Wintereinbruch, entnervende Anspannung, Notwendigkeit einer Zwangspause, Aufruhr bis an den Rand der Meuterei, die Mission droht zu scheitern, Warten und nichts tun können. Dann erneuter Aufbruch, und dann eine Passage, weitaus südlicher als jemals vermutet, der Beginn eines Weges, den wir heute Magellan-Strasse nennen und der zu den schwierigsten Gewässern der Schiffahrt überhaupt zählt, gepflastert von Schiffswracks, stumme Tragödien ohne Zahl.
Ich stehe am Anfang dieser Passage und doch schon irgendwo mittendrin, habe mich schon tief hineingewagt, bin völlig entnervt von den heftigen Strömungen und den unberechenbaren Winden, den unvermittelt auftauchenden brandgefährlichen Riffs und Felsen, dem engen und sich unvermittelt weit öffnenden Fahrwasser, den unzähligen Verzweigungen und trügerischen Sackgassen - und habe doch eine Ahnung, dass dies der Weg ist, den ich schon immer suchte, dass ich hier und nirgendwo anders durch muss.
Und weil ich glücklicherweise eben nicht Magellan bin, komme ich jetzt zu der Entscheidung - und das eben ist meine Anfrage an Dich - für diese Passage einen Lotsen an Bord zu nehmen.
Eine doppelte Botschaft: Ich brauche wohl einen Lotsen, ich hätte mir so manchen existenziellen Ärger ersparen kšnnen, wenn ich diese Entscheidung schon früher getroffen hŠtte. Aber nein, ich wollte es ja allein versuchen!
Konkret: Ich erinnerte mich an die Vision, um derentwillen ich einst aufgebrochen war und die ich fast zwischenzeitlich aufgegeben hŠtte - jedenfalls: ich war nahe dran und ich will es nochmals versuchen.
(Lange Rede, kurzer Sinn: Der beste Lotse auf der Welt, den ich kenne, das bist Du. Also Kerl, komm für eine kurze Weile auf unsere Brücke.
Es ist komisch: Diese Metapher des Segelns passt für so vieles, was mich bewegt und was wichtig ist. Aber wie ich innerhalb dieses Bildes meine Beziehung beschreiben soll, habe ich mir immer noch nicht klargemacht. Sind wir mit zwei Booten unterwegs oder mit einem? Und wenn es ein Boot ist, ist es meines oder ihres oder ein ganz anderes? Und wenn wir auf einem Boot sind - Kapitän bin ich sowieso, aber was denn ist sie? Oder trifft das alles gar nicht auf dieser Ebene?
Vielleicht ist die Antwort auf diese Frage die Lšsung des Problems. Aber vielleicht trifft diese Frage gar nicht mal den eigentlichen Kern.
Vielleicht sollte ich also in der Logik der Metapher bleiben und dieser Logik folgen, statt äussere Realitäten in die Metapher zwingen zu wollen. Diese Magellanstrasse ist das Problem, und da gibt es haargenau drei Lösungen: Ich kehre um, ich komme da durch, oder ich gehe daran zugrunde (naja, erleide bestenfalls Schiffbruch und muss dann auf das nächste Schiff warten. Und diese Magellanstrasse entnervt mich völlig. Einen Orkan auf offener See abzuwettern ist ein Kinderspiel dagegen. Diese Magellanstrasse jedoch bringt mich - in einem sehr umfassenden Sinne - an die Grenzen dessen, was ich überhaupt kann. (Es ist so verflucht entnervend und kräftezehrend, und ich kann und will nicht einen Weg neu erfinden, neu entdecken, der schon lange bekannt und gangbar ist. Darüber lasse ich mich jetzt aber nicht weiter aus...
Und zum anderen ist für mich die Konstellation Lotse auf meinem Schiff überaus spannend. Es ist und bleibt ja mein Schiff, und ich steuere es und es ist und bleibt meine Verantwortung und meine letztliche Entscheidung und es ist mein Weg, oder zumindest der, den ich immer gehen wollte. Und es kann kein Zufall sein, dass es trotzdem eine Notwendigkeit von Lotsen gibt, obwohl segeln immer und unter allen Umständen immer genau denselben Prinzipien folgt. Und dass Lotsen unverzichtbar sind, obwohl es Karten, Lot und Logge gibt, und auch in der Magellanstrasse nur gesegelt - das kann ich ja, wie du weisst - und nicht gezaubert wird.
12/1994 Stefan Schneider
Editorische Notiz:
Ich fand diesen Text beim Aufräumen auf dem Computer, und, ja, ich kann mich noch erinnern, dass ich diesen Text geschreiben habe. Aber was damals die konkreten Umstände waren, die zu diesen Fragen führten - ich habe keine Ahnung, keine Erinnerung mehr.
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