Lebensmittelpunkt: Helmholtzplatz

Fest auf dem Helmholtzplatz in den 90er Jahren: Foto Sammlung Siegfried FischerImmer wieder gab und gibt es Empörung über Menschen, die sich auf dem Helmholtzplatz aufhalten: Aggressionen, Alkohol, Urinieren, Lärm, Hunde und Pöbeleien sind die Beschwerden. Die Forderungen laufen meistens darauf hinaus, diese Verhaltensweisen zu unterbinden, entweder durch Verbote und deren harte Durchsetzung oder durch passgenaue Angebote der Wohnungslosenhilfe.

Erste Beschwerden über Menschen auf dem Helmholtzplatz gab es bereits in den 1880er Jahren. Die Ruinen einer 1876 bankrott gegangenen Ziegelei waren ein idealer Unterschlupf für die, die in dem 1886 errichteten nahegelegenen Städtischen Obdach namens "Palme" mit der heute unvorstellbaren Kapazität von 5.000 Plätzen nicht unterkommen konnten oder wollten. Eine massive Medienöffentlichkeit sorgte schließlich dafür, dass eine Platzumgestaltung vorgenommen wurde und die Unterschlupfmöglichkeiten verschwanden.

Die vergangenen und gegenwärtigen Debatten waren Anlass, auf der Bundestagung der BAG Wohnungslosenhilfe im November 2011 in Leipzig zu "Schnittstellen der Hilfen für Menschen in Wohnungsnot und Armut zu angrenzenden Hilfesystemen" am Beispiel des Helmholtzplatzes zu untersuchen, wie Wohnungslosenhilfe im Sozialraum funktionieren kann. Neben Material aus dem Internet waren Berichte aus der VorOrt und vor allem Gespräche mit Akteuren der letzten Jahre hilfreich.

Unübersichtlich wird die Analyse dadurch, dass das Gebiet um den Helmholtzplatz in schneller Abfolge und manchmal gleichzeitig Ort von Besetzungen, Sanierungsgebiet, Gefährlicher Ort, Quartiersmanagement- sowie QM-Entlassungsgebiet war – kurzum: In den Jahren seit der friedlichen Revolution 1989 bis in die Gegenwart wurde nahezu kein sozialräumliches Konzept ausgelassen und es ist im Nachhinein nahezu unmöglich, festzustellen, mit welcher Strategie welche Wirkungen erzielt wurden. Die Höhepunkte: Ein über Wochen bewohntes Zelt im Winter 1996/97 nach der Räumung eines Besetzen Hauses, Überlegungen, mit einem Zaun den Platz abzuschotten, 3 Jahre Straßensozialarbeit durch Beratung und Leben sowie der Umbau eines Toilettenhauses zu einem echten Platzhaus und die gegenwärtige Nutzung durch den Förderverein Helmholtzplatz.

Obdachlosigkeit ist nicht die richtige Kategorie, denn nur selten übernachten Menschen hier, und es ist zutreffender, von Menschen mit Lebensmittelpunkt auf der Straße zu sprechen. Sie sind in der Mehrheit alteingesessene Prenzlauer Berger oder leben seit Jahren hier, nur eine Minderheit sind echte "Fremde". Es ist auch keine einheitliche Gruppe, sondern mehrere Kleingruppen. Weil seit einigen Jahren so gut wie keine bezahlbaren Wohnungen im Quartier mehr zu vermitteln sind für diejenigen, die wirklich eine bräuchten, stagnieren sozialräumliche Integrationsversuche. Auch die Wohnungslosenhilfe selbst – die mit ihren Angeboten der Grundversorgung eine weitere Verelendung oft verhindern kann - ist dem Prozess der Gentrifizierung ausgesetzt: Nahezu alle Einrichtungen in unmittelbarer Nähe vom Helmholtzplatz sind jetzt an deren Peripherie angesiedelt.

Auch zukünftig wird der Platz attraktiv bleiben für Anwohner und Besucher und solche, deren Lebensmittelpunkt die Straße ist: Sehen und gesehen werden, wo immer etwas los ist und die Chance besteht, jemanden zu treffen und sogar ein Unterstand bei Regen. Ein öffentliches Wohnzimmer auch  für Modernisierungsverliererr, für die ein Latte Machiato im einem dernahe gelegenenn Cafés ein Luxus bleiben wird.

Strategien der Vertreibung waren weder effektiv noch brachten sie langfristig Resultate. Als Konzept mit der größten Tragweite hat sich die vom Förderverein Helmholtzplatz propagierte und von zahlreichen Akteuren der Politik geförderte Strategie erwiesen, ein Arrangement aller Nutzergruppen auf dem Helmi zu suchen. Nur aus dem Dialog heraus können Probleme zutreffend adressiert, Konflikte konstruktiv ausgetragen und Verabredungen erarbeitet werden, auch wenn der Dialog stets schwierig und Übereinkünfte häufig temporär und brüchig sind. Die Wohnungslosenhilfe muss weiterhin befähigt und beauftragt werden, Angebote bereitzustellen und der ehrenamtlichen (!) Platzhausarbeit kommt zentrale Bedeutung zu, aber unverzichtbar bleibt ein Dialog aller mit allen, wenn ein Zusammenleben auf dem Helmholtzplatz funktionieren soll.

Stefan Schneider

Artikel erschien in der Ausgabe Februar 2012 der Sanierungszeitschrift VorOrt

 schneider_stefan_treffpunkt_helmholtzplatz_berlin_2012.pdf

Schneider, Stefan: Sozialraumorientierte Wohnungslosenhilfe zwischen Gentrifizierung und Integration am Beispiel vom Helmholtzplatz in Prenzlauer Berg, Berlin. Leipzig 2011 (= Präsentation zu einem Vortrag auf der Bundestagung der BAG-Wohnungslosenhilfe in Leipzig 2011)

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