Stefan Schneider
Kuckuck? Nichts gutes über Gerichtsvollzieher(Rezension)
Rezension zu: Dieter Mallmann: Kuckuck. Ein Gerichtsvollzieher erzählt. Reinbek bei Hamburg: rororo Sachbuch (60113): 1996; 191 Seiten, DM 12,90.
Es ist natürlich sonnenklar, daß Obdachlosigkeit etwas mit Schulden zu tun hat. So manch ein Obdachloser wird im Verlauf seiner Karriere auf Kontakte mit Gerichtsvollziehern zurückblicken können. Das wird sich auch der Rowohlt-Verlag gedacht haben und versorgte im Zuge einer naheliegenden Marketingstrategie auch die Redaktion eines Obdachlosenprojekts vorab mit einem Freiexemplar des o.g. Buches, das im September auf den Markt kommen wird.
Und im beigefügten Ankündigungstext, der das Rezensieren einfach macht, steht dann geschrieben:
Jeder achte Bundesbürger hatte schon Kontakt mit dem Gerichtsvollzieher. In den letzten Jahren ist die Zahl der Vollstreckungen auf fast 10 Millionen jährlich angestiegen. Zwei Millionen Haushalte sind überschuldet. Die Spirale immer neuer Kreditvarianten und Umschuldungen treibt einkommensschwache Familien in den Ruin. Dreiviertel der "Betroffenen" (Anführungs-zeichen vom Verfasser!) stehen bereits vor dem 30. Lebensjahr mit 20.000 bis 40.000 DM in der Kreide.
In dieser Situation haben Schuldeneintreiber Hochkonjunktur. Obergerichtsvollzieher Dieter Mallmann erzählt in seinem Buch "Kuckuck" aus seinem Leben als Kuckuckskleber. Nicht selten kassiert er außer der einzutreibenden Summe auch Schmerzensgeld; Schlägereien und Beamtenbeleidigungen aller Art gehören zum Berufsalltag. Mitunter entwickeln die Schuldner recht skurrile - doch meist vergebliche - Finten, um der Pfändung zu entgehen: Wirft ein Bestattungsunternehmer eine Vase in den zu pfändenden Fernseher, so hat er Pech gehabt - der Vollstreckungsbeamte muß dann Särge mitnehmen. Zu denen gesellen sich dann in Mallmanns Fundus pfändbarer Gegenstände Puffmöbel, Heimorgeln, Plastikpalmen aus Solarien, lebende Gänse und Gäule, Pornokassetten und ein versehentlich abtransportierter benutzter Nachttopf.
Doch was sollte man tun, wenn der Gerichtsvollzieher vor der Tür steht? Wie verläuft der Vollstreckungsweg? Was ist eine Amthaftungsklage? Auch zu diesen und weiteren Fragen rund ums amtsgerichtliche Pfandsiegel gibt Dieter Mallmann handfeste Tips.
Soweit der Ankündigungstext des Verlags. Es ist schon lange her, da haben es wenigstens noch einige geschafft, darüber nachzudenken, inwieweit das ganze Schuldensystem Abhängkeiten schafft und damit ein Mittel der Herrschaftssicherung und der sozialen, politischen und materiellen Ungleichverteilung darstellt und wie dies zu durchbrechen sei usw. Aber natürlich, Denken ist anstrengend und macht müde, vor allem, wenn man sich den ganzen Tag darum kümmern muß, den eigenen Arsch am Kacken zu halten. Und von daher dann folgerichtig ein Buch für gehobene Stammtischansprüche, wenn alles getan ist: Das Königlich-Bayrische Amtsgericht zum Nachlesen (oder Vorlesen) im eigenen Schreber-Garten. Lustige Gute-Nacht-Geschichten (insgesamt 51 Stück) für Sozial-Voyeuristen, die auch sonst gerne über ihre Nachbarn klatschen. Und auch ein lustiges Bildchen auf Seite 25. Dazu ein kleines bißchen (11 Seiten) Sachinformation zum Thema. Mehr braucht man nicht zu wissen! Liebe Leute, kauft dieses Buch, es hilft den Standort Deutschland sichern! Aber Vorsicht: Zu viele Bücher im Schrank, und schon gilt man als Intellektueller und wird schief angesehen. Also doch lieber die TV-Serie zum Buch abwarten - falls nicht vorher der Fernseher vom Gerichtsvollzieher gepfändet wird!
Und dem Verlag sei empfohlen, die lustigsten Gerichtsvollzieher-Geschichten mit 200 Mark zu prämieren. Für den 2. Band. Und dann den ganzen Plot an RTL verkaufen. So haben die "Betroffenen" auch was davon, jedenfalls alle die, die noch einen Fernseher besitzen! Oh Gott, laß Hirn vom Himmel regnen!
Stefan Schneider
Berlin, August 1996
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