Hans Klunkelfuss - Foto: Archiv Stefan SchneiderEin persönlicher Bericht.

Kann ein Obdachloser ein Idol sein? Ein Penner, wie er sich oft selbst nannte, weil er diesen Begriff „Obdachloser“ nicht mochte? Oder ist es fairer, anzuerkennen, dass auf der Straße Menschen leben, die Ideen haben und auf den Weg bringen, deren Wirkung sich bis heute zeigt? Muß das eine das andere ausschließen? Ich jedenfalls bin dankbar, daß ich ihm begegnen durfte und von ihm lernen konnte.

Um ehrlich zu sein, ich weiss nicht mehr viel über Hans Klunkelfuß. Wir waren auch damals zu besoffen, wenn wir uns trafen und diskutierten, ein Bier nach dem anderen, bis der Morgen dämmerte und wir ins Bett wankten. Es ging wie immer um Penner, die Ursachen von Obdachlosigkeit, den verdammten Kapitalismus und wie wir ihn beenden könnten, natürlich, am besten mit einer Revolution, nur wie konkret? Der nächste Nachmittag begann dann in der Regel mit einem tierischen Kater und – nach einem Kaffee anstandshalber – dem nächsten Bier. Ich weiß nur, er ist im Osten groß geworden, hatte eine Druckerlehre hinter sich und einiges an Marx und Engels. Ob sie ihn rausgeschmissen haben oder er freiwillig einen Ausreiseantrag stellte, jedenfalls kam er in den 80ern im Westen an, genauer: In Bayern. Schon bald war er auf der Straße, und das ziemlich lange. 1987 erschienen die ersten Berberbriefe, unregelmässig erscheinend, etwa 4 Mal im Jahr, 8 – 12 Seiten auf fotokopiertem Papier mit einer Auflage von 100 bis 500 Stück. Ein paar davon sind noch erhalten, in irgendwelchen privaten Archiven.

Die Berberbriefe

Wie die entstanden sind, hat er mir selber erzählt: Wenn er genug Geld zusammengeschnorrt hatte, was am besten in den Innenstädten möglich war, ging es ab in die Kneipe zur Redaktionssitzung, wo passende Zeitungsausschnitte zusammengeklebt und handschriftlich kommentiert wurden. Einen Titel gab es auch, und ein Impressum, eben alles, was eine richtige Zeitung braucht. Wenn von der Zeche noch genug Geld übrig war, ging es ab zum Copy – Shop, wo das fertige Expemplar so oft vervielfältigt wurde, wie das Geld eben reichte. Dann ging es wieder ab in die Fußgängerzonen, wo die Berberbriefe verkauft wurden. Mit dem Geld konnten in der Kneipe wieder Redaktionssitzungen abgehalten werden. So war Klunkelfuß unterwegs, von Stadt zu Stadt, und immer mit neuen Ausgaben vom Berberbrief. Eine frühe Form von dem, was heute als Obdachlosenstraßenzeitung bekannt ist.

Im Verlauf der Jahre kamen Peter Gotthard und Werner Picker zur Redaktionsgruppe hinzu. Eines Tages hatten sie die Schnauze voll vom rumwandern. Sie hingen gerade in Michelstadt/ Odenwald, südlich von Frankfurt und wollten was vernünftiges aufbauen. Irgendwie gelang es ihnen, am Rand von Michelstadt ein altes Bahnwärterhäuschen anzumieten. Die Postadresse lautete programmatisch: Außerhalb 1. Wenig später war ein Verein gegründet: Der Selbsthilfeförderverein Arbeit und Wohnen e.V. Auch eine professionelle Zeitung gab’s: Den Looser. Der wurde nun ordentlich in einer Druckerei gedruckt, hatte einen Umfang von 16 Seiten und wurde bundesweit verkauft – oder besser gesagt überall dort, wo gleichgesinnte bereit waren, eine Vertriebsstelle aufzumachen. Aber das war ja fast überall möglich – bis die anderen Straßenzeitungen entstanden, die das gar nicht gut fanden. Zeitweise – genauer gesagt zwischen 1997 und 1999 gab es sogar ein Fusionsprojekt mit dem Berliner Strassenfeger. Das ganze hieß erst Looser/ strassenfeger, später für fast ein ganzes Jahr: Die Strassenzeitung. In besten Zeiten wurde die heute unvorstellbare Menge von 60.000 Exemplare gedruckt – und meistensteils sogar verkauft.

Millionen ...

Hans fing denn schon an zu rechnen, wieviel Einnahmen wir hätten mit einer Auflage von 6 Millionen Zeitungen. Er dachte überhaupt immer ökonomisch und in Größenordnungen. Auch das Geschäft mit den Holztieren wollte er ausbauen. Er sägte selbst im Keller von Außerhalb 1 mit einer Dekupiersäge und Schablonen Holztiere aus. Die Holztiere waren bequem mit einem Einkaufwagen zu transportieren und mit einem Klapphocker ließen sich überall fliegende Stände improvisieren. Die Rechnung war so: Holz kostet nichts, ich säge 1000 Holztiere, verkaufe sie an einem Wochenende für 3 DM das Stück, nehme 3000 DM ein und habe abzüglich der Strom- und Fahrkosten einen Reingewinn von 2700 Mark. Natürlich wollte er auch hier ein flächendeckendes System von holztierverkaufenden Obdachlosen einführen, an dem er prozentual beteiligt sein wollte. Ich lasse sie herstellen, schaffe damit Arbeitsplätze, nehme für mich 10 Pfennig pro Stück Provision, das macht bei 50 Ständen bundesweit und 1000 Holztieren .... und so weiter.

Das war wohl auch, weil er Sozialarbeitern zutiefst mißtraute. Und weil er nicht einsah, dass die das Geld verdienten, dass er dringend brauchte. Überhaupt die ganze Obdachlosenhilfe. Ein Millionengrab. Er hätte mit diesem Geld Häuser gebaut, Immobilien gekauft, Projekte an den Start gebracht. Tatsächlich gab es Jahre später auch ein „Haus Odenwald“, das aus Spendenmitteln vom Looser gekauft und in Hebstahl erworben und ausgebaut wurde. Nur, da war Hans schon längst weg. Er konnte schnell cholerisch werden, und haßte es, wenn bürgerliche Spießer den Ton angaben. Vielleicht war das auch nur sein Vorwand, um der Kleinarbeit des Alltags aus dem Weg zu gehen. Das Haus im Odenwald gibt es so nicht mehr, der Verein hatte irgendwann Insolvenz angemeldet. Die Kosten für die Aus- und Umbau schossen in die Höhe, die Einnahmen blieben hinter den Erwartungen zurück, und irgendwie klappte die ganze Sache nicht. Von Hans hieß es nur, er sei irgendwo in Essen, würde dort Holztiere fertigen und verkaufen, auch ab und zu mal den Looser.

Im Grunde war Hans einer, der im Osten nicht zurecht kam und im Westen auch nicht. Der Osten war alles andere als das, was er sich unter Sozialismus vorstellte – und er verstand sich als Marxist – und für den Westen war er nicht hart genug und sicher auch viel zu wenig bereit, sich anzupassen. Und so sehr er auch gegen die Sozialarbeit wetterte, es war ihm immer wichtig, anderen zu helfen, auch wenn er es nie anderen zeigte und bestimmt auch nicht zugegeben hätte. Einen Sohn hat er wohl auch gehabt, der hat beim Vater im Verein Zivildienst abgeleistet. Aber über privates hat Hans nicht viel geredet, und über Frauen schon gar nicht. Nur ab und zu mal hat er geklagt über seine Gesundheit, und das vieles nicht mehr so hinhaut wie vor einigen Jahren noch.

Häuser gegen die Kälte

„Armut lässt sich nur mit Geld bekämpfen!“ war ein Slogan von ihm, und mit seiner Idee „Häuser gegen die Kälte“ hat er uns auch in Berlin ganz schön zu gesetzt. Es war ursprünglich eine Idee von Darmstädter Architekturstudenten, Einfachsthäuser zu entwerfen, die Obdachlose in Eigenleistung für sich errichten könnten – vorausgesetzt, es gäbe ein Grundstück. Wir haben diese Idee dann mit für und wider in Berlin diskutiert, und mit ihm nach Grundstücken gesucht. Manche vom Strassenfeger waren damals strikt dagegen – „wir machen Zeitung, vielleicht eine Notübernachtung, aber in der Hauptsache Zeitung!“, andere dafür. Es wäre eine Art Arme-Leute–Siedlung gewesen, aber dem Hans war bestimmt genau diese soziale Dynamik wichtig. Mit den Leuten hätte man neue Projekte starten können.

Was passierte, war dann ein wenig anders: Eines Tages – im Jahr 1999 - kam ein Anruf von einer Bürgerin aus Spandau. Sie hätte ein sanierungsbedüftiges Wohnhaus in Berlin – Prenzlauer Berg, und würde Partner suchen, die daraus was machen sollten. Das wurde bald konkret – aber da war Hans schon wieder weg! Inzwischen gibt es in der Oderberger Str. 12 ein saniertes und modernisiertes Vorder- und Hinterhaus mit 20 Wohnungen. Das Haus gehört dem Straßenfeger-Herausgeberverein mob e.V. und von den 20 Wohnungen vermietet der Verein 12 an Menschen in schwierigen Wohnsituationen. Einige, die vorher auf der Straße und in der Notübernachtung lebten, haben dort jetzt ihre Wohnung mit unbefristetem Mietvertrag. Die langwierige Instandsetzung und Moderniesierung der Häuser, mit Förderung durch das Programm „Wohnungspolitische Selbsthilfe“ des Landes Berlin und einem großen Anteil Selbsthilfe hätte den Verein mob e.V. fast in den Ruin getrieben, aber mit viel Energie und Durchhaltevermögen ist die Sache noch mal gut gegangen.

Manchmal, wenn es ganz ruhig ist im Haus Oderberger Str. 12 kann man ganz leise seine Stimme hören. „Ihr seid bequem geworden,“ sagt er dann, „ihr sitzt den ganzen Tag in der Bude mit Eurem warmen Arsch. Ihr müsst raus auf die Straße – kämpfen! Ihr seid genau die Spießer geworden, gegen die ihr früher immer gewettert habt!“

Ob Hans ein Idol ist? Vielleicht für einige von denen, mit denen er damals unterwegs war. Denen er imponiert hat mit seinen Plänen, mit seinen Visionen, seiner Entschiedenheit. Wahrscheinlich hat er auch viel mehr Leuten mit einem zugesteckten 50 Markschein aus der Patsche geholfen, als ich ahne. Vielleicht deshalb ist da auch nichts draus geworden mit seinen Millionen, die er machen wollte mit den ganzen Projekten. Und es bleibt ihm der Verdienst, dass er – ohne es zu wollen – dazu beigetragen hat, dass in Berlin Menschen von der Straße eine eigene Wohnung haben und einen eigenen Mietvertrag. Das ist nicht viel – aber gewiß nicht wenig.

Hans Klunkelfuß hat die Fertigstellung des Selbsthilfehauses in der Oderberger Str. 12 in Berin Prenzlauer Berg im Dezember 2003 nicht mehr erlebt. Er ist im Jahr 2001 oder 2002 in Essen gestorben – an einer Überdosis Heroin. „Ich glaube, er wollte zum Schluss nicht mehr!“, sagte ein Freund, der ihn besser kannte. Die langen Jahre auf der Straße und die Sauferei haben ihn zermürbt, fertig gemacht, zum Schluß. Dass das Heroin ihn umbringen würde, wird er gewußt haben, er, der zeitlebens süchtig war nach einer gerechten Welt.

Berlin, 06.01.2006
Stefan Schneider


PS: Ich bin nicht sicher, ob ich alle historische Details genau und richtig wieder gegeben habe. Sollte jemand das genauer berichten können, werden wir das hier an dieser Stelle gerne drucken.

Veröffentlicht in:

http://www.strassenfeger.org/strassenfeger/ausgabe_2006-02/0011

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