Ich wünsche allen Besuchern und Besucherinnen meiner Seite schöne und erholsame Feiertage und einen guten Start in das Neue Jahr 2009.
Ich habe diesmal einen Ausschnitt eines Bildes des großen El Greco 1541 - 1614 ausgewählt, das etwa in den Jahren 1570 - 72 entstanden ist und die Anbetung der Hirten zeigt. Leider befindet sich dieses 114 x 105 cm große Bild in Privatbesitz und kann daher nicht besichtigt, dafür aber in der Web Gallery of Art genauer angesehen werden.
Ich habe dieses Bild ausgewählt, weil es eben nicht die Geburt Jesu romantisiert, sondern vielmehr die Unsicherheit der gesamten Situation leuchtend darstellt. Maria, abgewendet, sichtlich beunruhigt und irritiert, Joseph, um Übersicht bemüht ohne den Eindruck zu vermitteln, überhaupt zu verstehen, was gerade passiert. Die Hirten, überschwenglich, euphorisch, neugierig. Und im Hintergrund Szenen drohenden Unheils. Eine Gruppe von Menschen, teils auf Pferden, teils zu Fuß, ist das ein Gruppe von Soldaten, bereit, einen Krieg zu führen. Und der einzelne Reiter auf dem Pferd, ist es ein Bote, ein Kundschafter, ein Denunziant oder einfach nur ein unbeteiligter Reisender.
Wir wissen es nicht. Und eben weil auch für mich und für viele dieses nun zu Ende gehende Jahr so unklar, so unübersichtlich war, mit vielen Irritationen und Unsicherheiten, offenen Fragen und unklaren Situationen, deshalb taucht dieses Gefühl auch zu den Weihnachtsfeiertagen wieder auf - in der Hoffnung, dass wir an den Feiertagen Zeit haben, darüber nachzudenken, was dies alles bedeutet und das alles doch noch zu einem guten Ende kommt.
In diesem Sinne: Frohe Weihnachten und ein gutes Neues Jahr 2009!
Stefan Schneider
Gut sein? Geht nicht. In einer der haltbarsten Parabeln aus Bertholt Brechts Ideen- und Stücke- Werkstatt ist die Frage danach, ob denn für Menschheit und Welt wohl noch Hoffnung besteht auf Güte und Glück, sehr verbindlich beantwortet: Die Verhältnisse, sie sind nicht so; nicht so jedenfalls, dass noch Aussicht bestünde in der wirklichen Welt für einen Menschen, der dem ureigensten Menschentrieb folgt und nur gut sein will, und ein bisschen glücklich auch - aber nicht sehr viel mehr. Damit das Gute nämlich gut sein und gut bleiben kann, das ist zu lernen in Sezuan, wird es stets das Böse brauchen.
Brecht hat diese einfache Fabel, dieses Lehrstück ohne Leere, wie früher schon die richtigen Lehrstücke in ein chinesisches Märchen verpackt. Weil weltweit die Zweifel daran wachsen, dass diese Welt die Beste aller möglichen sei und der Wille der Götter weise, begeben sich drei dieser himmlischen Geister unter das irdische Fußvolk, um für die Welt, wie sie (von ihnen gemacht) nun mal ist, eine Rechtfertigung zu finden, einen Grund: einen guten Menschen, wenigstens einen. Nach langer, vergeblicher Reise landen sie, schon stark an sich selber zweifelnd, in Sezuan - und vom ersten Menschen, den sie treffen, wird ihnen eine gewisse Shen Te als „wirklich gut“ empfohlen: Shen Te, eine Hure. Die hat nicht viel, aber sie teilt das wenige mit den Göttern auf Durchreise. Die Götter schenken ihr dafür ein wenig Besitz - und mit diesem Besitz beginnt das „Experiment Güte“, das beweisen soll, dass die Welt mit gutem Willen noch zu meistern ist.
Es wäre schnell am Ende, wenn nicht Shen Te in letzter Not eine Maske für sich selbst erfände: den Vetter Shui Ta, der „böse“ ist - das heißt: er funktioniert, wie es verlangt wird von ihm im kapitalistischen System, in dem er lebt; und nicht in der Ordnung der Götter. Der Kampf zwischen Moral und Überleben zerreißt Sezuan, die Welt, den Menschen, diesen Menschen - in das Mädchen Shen Te und den Jungen Shui Ta. Der Rest ist Scheitern.
Aber auch: Der Vorhang zu, und alle Fragen offen. RATTEN 07, Brecht-erfahren seit dem „Brotladen“, erzählen die Fabel aus der Perspektive eines Alltags, in dem verkannte Götter auch in Suppenküchen oder Wagenburgen anzutreffen sind - und dort nach letzter Güte suchen, fröhlich und ohne allzu viel Hoffnung.
Flo Teipen ist Shen Te und Shui Ta, Manne, Heinz und Anne-Ly sind die Götter auf Reisen im 18köpfigen Ensemble dieser neuen Brecht-Erkundung aus der RATTEN-Perspektive.
Regie: Gunter Seidler
Bühne: Bernd Schneider
Kostüm: Tula Garcia de Leite-Perry
Premiere am 17. Juli 2008 um 20:00 Uhr im Theaterforum Kreuzberg in der Eisenbahnstr. 21
(Text & Foto: Presseankündigung)
Jutta H.: Verheerende Armut. mob e.V. zu Besuch in Budapest. Berlin 2008
Tagsüber bleibt die Notübernachtung in der Elöd-Straße im Budapester Zehnten Bezirk geschlossen. Früh am Morgen müssen die Männer, die in der ehemaligen Kaserne im Osten der Stadt übernachtet haben, das Gebäude verlassen. Ein hagerer alter Mann mit grauem Bart und schmutziger Kleidung ist zurückgeblieben. Er sitzt auf einem Stuhl seitlich neben dem Eingang des Gebäudes. Seine Hände klammern sich an der Stuhllehne fest. Auf diese Weise versucht er, die ausufernden Bewegungen seiner Arme, das Zittern und Rucken seines Oberkörpers zu kontrollieren. Sein Kopf schlägt in alle Richtungen. Die vorbeikommenden Besucher nimmt er kaum wahr; er befindet sich in einer anderen Welt. Die Hilfestrukturen für Obdachlose in Budapest halten die Menschen am Leben. Nicht mehr.
Budapest ist eine moderne Metropole mit fast zwei Millionen Einwohnern. In der Stadt an der Donau haben sich futuristische Bürotürme neben renovierten historischen Gebäuden angesiedelt. Eine Flut von Autos strömt durch die Straßen, Geschäfte bieten Waren an aus der ganzen Welt. Ungarns Systemwechsel zu Demokratie und Marktwirtschaft scheint nachhaltig geglückt. Ein strikter Reformkurs ist vor vier Jahren mit der Aufnahme in die Europäische Union belohnt worden. Nächstes Etappenziel ist die Einführung des Euro.
Doch die Bevölkerung Ungarns hat einen hohen Tribut gezahlt für Sparkurs und Stabilitätskriterien. Und sie zahlt ihn noch. Schätzungen zufolge lebt mittlerweile ein Drittel der Ungarn unter dem Existenzminimum. Armut grassiert. Diejenigen, die Arbeit in einem der wachsenden Wirtschaftszweige gefunden haben, profitieren von hohen und steigenden Löhnen. Der Großteil aber hat keinen Platz gefunden im EU-kompatiblen Wirtschaftssystem. Gering Qualifizierte, Arbeitslose, Rentner, Roma sind die Verlierer von Transformation und Europäisierung. Obdachlose gehören zu Budapests Stadtbild. 10.000 sind es etwa, schätzt man. Man findet sie unter den Donaubrücken, in Parks, in Unterführungen, in verfallenen Häusern. Zu den Essensausgaben der Hilfsorganisationen kommen Hunderte. Dann stehen sie in langen Schlangen hintereinander. Ihre Gesichter spiegeln ihre Schicksale wider, sie sind frühzeitig gealtert. - Ein Teil der Obdachlosen hat sich in die umliegenden Wälder zurückgezogen. Im Nordosten von Budapest ist in einem kleinen Wald eine Siedlung entstanden, die an einen Slum erinnert, den man eigentlich aus anderen Teilen der Welt kennt. Die Bewohner leben zwischen Müllbergen in Hütten, die sie aus Holz-, Blech- und Plastikresten selber zusammengebaut haben. Andere Obdachlose sind tiefer in die Wälder gegangen, hoch in die Budaer Berge im Westen der Stadt. Wie Tiere leben sie in Höhlen und Verschlägen. Es sind Hunderte, berichten Mitarbeiter von Hilfsorganisationen übereinstimmend.
Obdachlosigkeit ist mit der politischen Wende 1989 erstmals ins öffentliche Bewusstsein gelangt. Als im Winter 1989/90 die staatliche Bahn nachts die U-Bahnhöfe zusperrte, um die vielen obdachlosen Menschen aus dem Inneren fernzuhalten, kam es in der Innenstadt zu tagelangen Protestaktionen der Obdachlosen. In dieser Zeit entstanden erste Hilfsorganisationen, die heute einem breiten Netz aus staatlichen und nichtstaatlichen Organisationen angehören.
Aber viel mehr als Krisen zu managen könnten sie nicht leisten, beklagt Andus, eine Sozialarbeiterin der Organisation Menhely (= Asyl) „Was wir leisten, ist Rettung in allerhöchster Not. Wir halten die Leute am Leben. Mehr gibt das System nicht her.“ – Tatsächlich ist Ungarns Sozialsystem dringend reformbedürftig. Die Sozialleistungen sind niedrig, die Renten liegen in der Regel nicht über 200 Euro im Monat, das System ist inkohärent und nicht auf Reintegration ausgerichtet. Und auch die Situation auf dem Wohnungsmarkt bietet nur wenige Chancen, um sich aus einer prekären Situation zu befreien. 90 Prozent der Wohnungen sind im Privatbesitz. Billige Mietwohnungen gibt es praktisch nicht.
Der bärtige alte Mann am Eingang der Notübernachtung, für den es keine Behandlung seiner neurologischen Erkrankung gibt, ist einer der Verlierer der Politik seines Landes. Die jeweiligen Regierungen haben nicht versucht, die Anforderungen der Europäischen Union den Bedürfnissen der ungarischen Bevölkerung anzupassen. Der politische Kurs war ausgerichtet auf den wirtschaftlichen Anschluss an die EU - um jeden Preis. Harte Sparkurse hat man verteidigt mit der Aussicht auf den EU-Beitritt. - Für 2010 steht die Einführung des Euro auf dem Programm. Der Staatshaushalt ist hoch verschuldet. Die Europäische Union schreibt ein maximales Haushaltsdefizit von drei Prozent vor. Da stehen Einschnitte in Ungarns Sozialsysteme erst noch bevor.
Jutta H.
Quelle: http://www.strassenfeger.org/strassenfeger/ausgabe_2008-07/0010.html
Jutta H.: Viele Wohnungslose kämpfen in Ungarns Hauptstadt täglich um das Überleben. VertreterInnen von mob e.V. zu Besuch in Budapest - ein Vorabbericht. Berlin 2008
Ende Februar fuhren wir auf Einladung der Stiftung „Menhely“ (= Asyl) für fünf Tage nach Budapest. Diese Stiftung ist eine große Obdachlosenhilfsorganisation in Budapest. Mit der Idee, in einen gegenseitigen Austausch zu treten, waren zehn Menhely-Mitarbeiter im Oktober vergangenen Jahres zu Gast bei mob e. V. in Berlin. Mit unserer Fahrt nach Budapest machten wir uns nun zu einem Gegenbesuch auf. Dabei waren acht Leute, die in unterschiedlichen Bereichen des Vereins aktiv sind.
Unsere Reise war intensiv, schön, lehrreich, zum Teil erschütternd. Wir hatten Gelegenheit, einen Blick hinter die Fassaden von touristischen Attraktionen, Prachtbauten und Einkaufsstraßen zu werfen. Sozialarbeiter und Streetworker von Menhely haben uns an die Hand genommen und uns an die Ränder von Ungarns Hauptstadt geführt.
Sie zeigten uns eine Kirche, um die man einen hohen Zaun errichtet hat, weil man sich die vielen obdachlosen Menschen vom Leib halten will, die sich früher auf dem Grundstück aufhielten.
Sie nahmen uns mit zu einer staatlichen Notübernachtung im Osten der Stadt: eine alte Kaserne mit Gittern vor den Fenstern. Sechzehn Mann pro Raum haben hier Platz. Eisenbettgestelle, schwarze Matratzen, überall Abfall und Essensreste. Gewalt untereinander, Gewalt gegen die Sozialarbeiter. Ein junger Mann berichtet, dass er seit fünf Jahren zum Übernachten hierher kommt. Was wünscht er sich am meisten? „Eine Wohnung, eine Arbeit, das wäre mein größter Traum.“
Am stärksten aber sind den meisten von uns die Menschen im Wald in Erinnerung geblieben. Im Nordosten von Budapest lebt in einem Wald eine kleine Gemeinschaft am Rande der Gesellschaft. Aus Holzresten, Metall, Stoff, Plastik haben sich die Menschen zwischen den Bäumen ihre Hütten errichtet. Aus den meisten qualmt Rauch aus einem Ofenrohr, als wir die Siedlung besuchen. Die Bewohner – Männer und Frauen – empfangen uns freundlich. Trotz der Sprachbarriere kommen wir miteinander in Kontakt. Wir dürfen in das Innere zweier Hütten schauen. Streicheln die Hunde. Machen Fotos von Gesichtern, in die sich Leidensgeschichten eingegraben haben.
Wie viele obdachlose Menschen leben in Budapest? Mit welchen Angeboten, auch struktureller Art, wird ihnen geholfen? Warum gibt es in Ungarn, einem Mitgliedsstaat der Europäischen Union, keine Sozialhilfe? Welches Profil hat die Budapester Straßenzeitung?
Dies und noch viel mehr im nächsten strassenfeger!
Jutta H.
Quelle: http://www.strassenfeger.org/strassenfeger/ausgabe_2008-06/0010.html