Fast hatte ich es vergessen, aber dann kam sie doch, die Einladung zu einem Fachgespräch an der Hochschule Emden über Methoden der Sozialen Arbeit, und über Selbstorganisation, Partizipation, Stadtteil- und Gemeinwesenarbeit. Davon habe ich wirklich Ahnung. Der Termin am Freitag, den 23.08.2013 um 13:00 Uhr soll mir wohl sagen: Wenn Sie früh genug aufstehen, sind sie abends wieder zurück zu Hause. Das aber ist mir zu unsicher. Die Bahn hat ständig Verspätungen, der Weg nach Emden ist weit und ich muss mehrfach umsteigen und die Gastgeber werden sicher nicht auf mich warten. Ich reise also am Tag vorher an. Auch das ist so einfach nicht – ich pflege gerade meine krebserkrankte Mutter, kaufe für sie ein, bringe sie zur Phyiotherapie und zu den Ärzten und hole sie wieder ab, erledige die eine oder andere Sache in ihrem Auftrag und, was wohl am wichtigsten ist, ich gebe ihr durch meine Anwesenheit das Gefühl der Sicherheit, wenn was passiert. Auch wenn die Krebsmetastasen in ihrem Kopf durch Medikamente gut in Schach gehalten wird, reagiert ihr Körper doch – im Moment im Abstand von einigen Wochen – mit kleienn epileptischen Anfällen auf ihrer rechten Körperseite. Das verunsichert sie massiv, davor hat sie Angst, und das Notfalltelefon der Malteser, das sie seit einiger Zeit hat, beruhigt sie nur ein bisschen. Fremde Leute, die sie nicht kennt, und dann kommen sie aus Charlottenburg nach Mariendorf, das dauert ja auch eine gute Stunde, und wenn sie dann kommen, ist der Anfall ja schon längst vorbei. Also kann ich sie nicht so lange allein lassen, zwei, drei Tage, auch mal vier, vor allem dann, wenn mein Bruder gerade in Berlin ist, aber der ist auch viel unterwegs, beruflich, und ausserdem hat er Familie und viel um die Ohren. Deshalb will ich spät aufbrechen am abend vor dem Termin nach Emden, um noch möglichst lange bei meiner Mutter bleiben zu können und zugleich um sicher den Termin in Emden zu schaffen.
Wenn ich um 17:20 Uhr Berlin Hauptbahnhof abfahre, komme ich nach zweimaligem Umsteigen planmässig um 22:41 Uhr in Emden an, und falls ich einen Anschluss verpasse, gibt es noch einen letzten Zug, mit dem ich um 23:38 in Emden ankommen kann. Dann brauche ich noch eine Unterkunft. Ich bin seit einigen Jahren Mitglied im Jugendherbergsverband, und in Emden gibt es, keine zwei Kilometer vom Hauptbahnhof entfernt, eine Jugendherberge. Diese ist, und das interessiert mich als Segler, an einer Kesselschleuse gelegen, die vier Wasserwege mit unterschiedlichem Niveau miteinander verbindet. Eine Schleusenkonstruktion, die weltweit einmalig ist und die ich mir sicher gerne ansehen möchte vor meinem Termin.
Ich schicke also eine Reservierungsanfrage per email an die Jugendherberge und teile zudem mit, dass ich erst nach 22:00 Uhr, voraussichtlich gegen Mitternacht, ankommen werde. Ein paar Stunden später erhalte ich von
Vielen Dank für Ihre Reservierungsanfrage in der Jugendherberge Emden. Wir würden uns freuen, Sie als Gäste bei uns begrüßen zu dürfen, können Ihnen für den späten Anreisetermin aber leider kein Angebot machen.
Gleichsam steht Ihnen mit unserer Internetseite unter www.jugendherbergen-nordwesten.de rund um die Uhr ein Informationsportal mit zahlreichen Informationen sowie Impressionen aller Jugendherbergen im Nordwesten zur Verfügung. Gern berät Sie darüber hinaus das Team des Service Centers in Bremen unter Tel.: 0421 598 30 50 über alternative Angebote und Buchungsmöglichkeiten in unseren Jugendherbergen.
Wir würden uns freuen Sie zu einem späteren Zeitpunkt als unsere Gäste begrüßen zu dürfen.
Damit bin ich nicht zufrieden. Ich denke, da muss es auch andere Möglichkeiten geben und schreibe zurück:
Hm, es gäbe die Möglichkeit, dass ein anderer Gast mich in Empfang nimmt und mir das wichtigste erklärt. Im Gästehaus in Benediktbeuren war der Schlüssel in einem Kasten aussen am Haus, und mir wurde vorab der Code zum Öffnen mitgeteilt. Oder in einem nahegelegenen Lokal, mit einer kurzen Anleitung, wo was ist. Wenn Sie wollen, würde ich mir auch noch über andere Möglichkeiten, einzuchecken, Gedanken machen. Bezahlen könnte ich vorab oder am nächsten Morgen.
Bitte denken Sie nochmal darüber nach, welche Möglichkeiten es gibt.
Ein paar Stunden trifft eine Antwort ein und ich bin ganz gespannt, welche Möglichkeit mir angeboten wird. Aber statt dessen lese ich nur:
Leider muss ich Ihnen noch einmal mitteilen, daß eine Anmeldung nach 22:00 nicht möglich ist.
Das verstehe ich nicht. Schließlich habe ich Vorschläge unterbreitet. Ich trage sie noch einmal vor und schreibe:
Selbstverständlich ist es möglich, mich nach 22:00 Uhr aufzunehmen. Ich habe Ihnen dazu bereits mehrere Vorschläge gemacht, die ich gerne nochmals wiederhole [...]
Die Antwort darauf ist leider ganz anders als erwartet.
Sehr geehrter Herr Dr. Schneider,
ich teile Ihnen hiermit und zum letzten Mal mit, dass eine Aufnahme nach 22:00 nicht möglich ist.
Ich bitte Sie, auf weiteren Schriftverkehr zu verzichten.
Mit freundlichen Grüßen
Berndt Tjarksen, Hausleitung, Jugendherberge Emden, Thorner Straße 3, 26725 Emden
Fon+49-4921-23797, Fax+49-4921-32161, mailto:
www.jugendherberge.de/jh/emden
Natürlich ist die Angelegenheit damit nicht erledigt. Selbstverständlich ist eine Aufnahme nach 22:00 Uhr möglich. Aber natürlich nicht mit einem Herbergshausleiter, der damit überfordert ist, darüber nachzudenken, wie es möglich wäre, einem Mitglied, der aus guten Gründen erst gegen Mitternacht eintrifft, den Zugang zur Jugendherberge zu ermöglichen.
Berlin, 12.08.2013
Stefan Schneider
[Abbildung] http://commons.wikimedia.org/wiki/File:Palmschleuse.jpg Palmschleuse in Lauenburg/Elbe, Schleswig-Holstein, Deutschland, Foto: Henning Krämer, 2004, Quelle. WikiCommons