Ratten 07 spielen Arturo Ui - Foto: Stefan SchneiderEINS. Die Ratten 07 sind ein Ensemble, dass seit 17 Jahren besteht und seit dem weit über 40 Stücke gespielt hat. Während die ersten Stücke eher aktuell und gegenwartsbezogen waren, hat sich die Gruppe schnell der klassischen Theaterliteratur verschrieben und immer wieder erfrischend neue Interpretationen vorgelegt. Nun ist wieder einmal Brecht dran, diesmal der Arturo Ui. Das Stück, 1941 geschrieben, will die Hintergründe und Machenschaften, die zur Machtergreifung Hitlers führten, darstellen. Nur spielt das Ganze im Mafia-Milieu Amerikas, in der Stadt Chicago im Kreise von Gemüsehändlern, und statt Hitler & Co. sind Ui, Giri und Dogsborough die entscheidenden Protagonisten. Aber das gerät sehr schnell durcheinander – der eine will dem anderen an den Kragen, gemeinsam verbünden sie sich gegen einen Dritten und hintenherum wird erpresst, gelogen, geschoben. Und alle tragen sie Cowboyhüte. Das Stück wird wegen der großen Anzahl der Rollen und Intrigen, und der historischen Verweise, die heute kaum jemand mehr genau kennt, schnell doppelt unübersichtlich. Welche Rolle spielten nochmal Röhm, Dollfuß und Hindenburg in diesem Theater? Das ist der heutigen Generation mehr als 70 Jahre nach diesen Ereignissen kaum noch bekannt. Wer versuchte wen auszustechen? Wer fühlte sich als großer Held und wurde nur benutzt? Auch das Ambiente wirkt ein bisschen konventionell zusammengesucht und erinnert an die Requisiten einer alten Western-Serie. Im Vergleich dazu war der überdimensionierte Schrank aus dem Nachtasyl noch originell. Und so schießen, schmieren und intrigieren sich die Spieler von Szene zu Szene und mit zunehmender Spieldauer wirkt alles um so musealer. Was ist der konkrete Anlass, dieses Stück auf die Bühne zu bringen? Der sagenhafte Aufstieg Obamas zum US-Präsidenten? Das schmierige Gehabe des alternden Berlusconi? Der truntschige Gestus der Angela Merkel? Yes we can? Wohl kaum.

ZWEI. Und doch gibt es Lichtblicke: Die Strauss-Parodie und überhaupt die vielseitigen kleinen Auftritte von Abel vom Acker, das große schauspielerische Können von Dragan, der sehr pointiert zeigt, wie es gehen kann, Schritt für Schritt in die Rolle des Führers hineinzuwachsen. Aber auch Manne, der dem Ui Schauspielunterricht erteilt und dabei mit großer Selbstverständlichkeit Bezug nimmt auf die Filetstücke des Welttheaters, auch Herrmann in der Rolle des widerwärtig devoten Richters. Große schauspielerischer Einzelleistungen, aber das Stück lebt nicht. Es rumpelt herum und wirkt altbacken. Weil es zu nahe am Original klebt? Weil die Inszenierung so rustikal daher kommt? Weil inzwischen die Diskussion um Gründe für Hitlers Aufstieg um neue Aspekte erweitert worden ist (Hitlers willige Vollstrecker?) Weil aktuelle Bezüge nicht hergestellt werden? Weil das Stück selbst verstaubt ist – und von professionellen Ensembles auch besser aus die Bühne gebracht worden ist? Nein, der Ui zählt nicht zu den besten Vorstellungen der Ratten 07, weil diesem Stück vieles von dem fehlt, was die Ratten so unverwechselbar gemacht hat: Aktuelle Zeitbezüge, eine hinreichend große Distanz zum Original und vor allem eine große Portion anarchistischer Spielfreude und Improvisationstalent.

Ratten 07 spielen Arturo Ui - Foto: Stefan SchneiderDREI. Dabei bietet die gegenwärtige Finanz- und Wirtschaftskrise genug Material, das bei dieser Inszenierung hätte mit eingebaut werden können: Dass tausende von Menschen ihre kreditfinanzierten Eigenheime verlieren und jetzt in Zeltsiedlungen am Rande der amerikanischen Städte leben, dass Finanzminister Milliarden in eine Autoindustrie pumpen, dessen spritschleudernde Produkte niemand mehr haben oder bezahlen will, dass Regierungen sich in Vorschlägen überbieten, wie wertlos gewordene Aktienpakete aus Finanzspekulationsgeschäften aufgekauft und in Bad-Banks überführt werden können. Schickedanz, Mehdorn, Wiedeking, Ackermann und Co. – ein Blick in den Wirtschaftsteil reicht, um eine Ahnung vom Ausmaß der Machenschaften zu bekommen, die im Hintergrund laufen. 70 Jahre nach Hitler & Co. sind die Herrschaftstechniken subtiler geworden, auch globaler. Aber eines hat sich nicht verändert: Die Zeche zahlen immer die kleinen Leuten. Mit wohl gesetzten Worten wird immer wieder betont, dass all dies getan werden muss, damit es uns morgen nicht schlechter geht als heute. Aber stattdessen sehen wir Rauchende Colts und jeden Moment könnte Matt Dillon auf die Bühne kommen und den Westernschurken im Saloon verhaften. Aber auch ein weniger gutes Stück wird dem Renommee der Gruppe nicht schaden – denn die Ratten sind immer wieder für eine Überraschung gut. Spätestens beim nächsten Stück.

Stefan Schneider


Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui
von B. Brecht im theaterforum kreuzberg e.V.
Eisenbahnstr. 21, 10997 Berlin.
Weitere Vorstellungen am
25., 26., 30., 31. Juli
und am 1. August 2009
Beginn: 20:00 Uhr
Eintritt: 13/10 €

Weblinks:

Ratten 07
Theaterforum Kreuzberg

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