Bundestagung 2011 der BAG Wohnungslosenhilfe e.V. - Ergebnissicherung

Forum IV: Zwischen Selbsthilfe und Teilhabe – Welche Voraussetzungen braucht Partizipation in der Wohnungslosenhilfe?

Moderation: Dr. Stefan Schneider, EISOP

Turbulenz Messtatin Zingst - Quelle: Wiki CommonsTurbulenzen. Bereits weit im Vorfeld der Tagung wurde ich als Moderator vom Veranstalter und Teilnehmer_innen des Forums über atmosphärische Störungen informiert. Üblicherweise sei die Gestaltung von Foren zur Partizipation eine Angelegenheit der Bundesbetroffeneninitiative Wohnungsloser Menschen  e.V. (BBI) und in diesem Falle sei von der BAG WH e.V. bei der Planung davon abgewichen worden. Deshalb habe sich die BBI e.V., die im Forum hätte vertreten sein sollen, davon zurückgezogen, es seien aber aus dem Publikum Interventionen von Seiten der BBI zu erwarten. Für mich als Moderator bedeutete dies zweierlei: Zum einen, mich auf meine Aufgabe als Moderator zu konzentrieren, die m.E. darin bestehen sollte, in dem gegebenen Zeitrahmen möglichst gut vorbereitet effektiv und konzentriert die Fragestellung zu bearbeiten und zweitens dafür Sorge zu tragen, dass alle Teilnehmer_innen angemessen ihre Position dazu artikulieren können – gerade auch aus dem Publikum. Bedauerlicherweise war die BBI dann doch nicht erkennbar auf der Bundestagung vertreten, so dass ihre zweifellos sehr wichtigen Beiträge zur Fragestellung nicht weiter behandelt werden konnten.

Vortrag. Der Vortrag von Prof. Dr. Stefan Schnurr zu Partizipation wurde ausgesprochen positiv bewertet, gerade weil er in sehr allgemeiner Weise die unterschiedlichen Ebenen, die verschiedenen Legitimationen – demokratisch, dienstleistungstheoretisch, pädagogisch – und vor allem die Stufenmodelle bei der Entwicklung von Partizipation verdeutlichte. Bemerkenswert war, dass im Vortrag Selbstorganisation als höchste Stufe der Partizipation gekennzeichnet wurde. In der Debatte wurde betont, dass Partizipation zur Steigerung der Effizienz von Einrichtungen beitragen kann, dass die Auseinandersetzung um Partizipation im Kontext allgemeiner gesellschaftlicher Dynamiken zu mehr Transparenz und Bürger_innenbeteiligung einzuordnen ist. Partizipation sollte weniger vermittelt werden, sondern in den Einrichtungen gelebt werden. Es sei eine Frage der Haltung und der Bereitschaft, das auch dann durchzuhalten, wenn z.B. nur wenige Menschen in einer Institution an Partizipationsformen Interesse haben und die Beteiligung zurückgeht. Das Durchleben von Krisen innerhalb von Partizipationsformen sei ein normaler Bestandteil von Partizipation.

Diskussion. Der Beitrag von Brigitte Hartung reflektierte die Geschichte der Selbsthilfeorganisation Initiative BauenWohnenArbeiten e.V. in Köln und Veränderungen, die diese Arbeit im Verlauf der unterschiedlichen Phasen durchlaufen hat. Thematisiert wurden die Chancen und Grenzen sozialer Arbeit durch die Akteure und ihr Verhältnis zu professioneller Sozialarbeit. Darauf bezog sich auch die anschließende Debatte: Die durch das Projekt angestellten Sozialarbeiter_innen hatten durchaus Schwierigkeiten, sich auf die Anforderungen der ehemals Wohnungslosen Arbeitgeber_innen einzustellen und sich auf deren Arbeitsweise und Vorgaben einzulassen.
Der Beitrag von Jürgen Schneider stellte im wesentlichen das Internet-Portal Berber-Info und die damit verbundenen Ideen und Möglichkeiten vor. Betont wurde, dass wesentlich sei, mit diesem Portal einen Anfang zu setzen. Wichtig seien vor allem kleine, arbeitsfähige Einheiten und die Vernetzung unterschiedlicher Aktivitäten. Die anschließende Debatte behandelte vor allem die Fragen, an wen sich das Angebot richte und welcher Nutzen daraus entstünde. Von Jürgen Schneider wurde betont, dass dieses Portal sich natürlich in erster Linie an Menschen in Wohnungsnot richte, dass aber auch selbstverständlich Akteure der Wohnungslosenhilfe die Möglichkeit hätten, sich daran zu beteiligen und dass dies ausdrücklich gewollt sei.
Der Beitrag von Rainer Schröder zeigte, wie am Beispiel der Diakonie Michaelshoven die institutionelle Partizipation in einer stationären Einrichtung der Wohnungslosenhilfe organisiert ist. Der Heimbeirat ist demokratisch legitimiert und wird regelmäßig neu gewählt und kann aufgrund einer engen und vertrauensvollen Zusammenarbeit mit der Leitung viele alltagspraktische Probleme lösen. In der Debatte wurde angesprochen, dass in der Einrichtung aufgrund der landwirtschaftlichen Ausrichtung hohe Anforderungen an Arbeitsleistungen bestehen und es gelegentlich Probleme mit Krankheiten gibt. Ein weiterer Punkt war das Problem der personellen Kontinuität des Heimbeirats angesichts temporärer Aufenthaltsdauern der Nutzer_innen.
Der Beitrag von Andreas Wiese vom Haus Weissenburg in Düsseldorf verwies auf dem Umstand, dass Partizipation als Grundrecht schon im Sozialgesetzbuch verankert und mit Bezug darauf anzuwenden sei. Konkret in seiner Einrichtung wurde schon vor Jahren damit begonnen, Kontrollen abzubauen und Partizipation zu ermöglichen. Das Ergebnis war eine Verbesserung der Arbeit. Es sei nicht ratsam, Partizipation nur als Methode anzusehen und es käme darauf an, dieses Arbeitsprinzip auch dann durchzutragen, wenn es schwierig wird. Bei den Sozialarbeiter_innen geht es darum, Macht abzugeben.
Die Debatte fokussierte die Notwendigkeit von ehrlicher Kommunikation zwischen Beteiligten und die Frage, ob generell die Abschaffung nach Nachtdiensten wünschenswert ist. Als Ergebnis konnte festgehalten werden, dass Lösungen, die für eine Einrichtung richtig sind, nicht ohne weiteres auf andere Einrichtungen übertragen werden können, sondern dass jeweils spezifische Lösungen zu erarbeiten sind.

Resümee. Für eine abschließende Debatte war nur noch wenig Zeit. Folgende Punkte wurden genannt:

  1. Widerspruch. Auch wenn Partizipation in der Wohnungslosenhilfe eine zunehmende Bedeutung zu erlangen scheint, ist doch zu konstatieren, dass insgesamt in der Gesellschaft die Tendenz zu konstatieren, ist, dass Partizipationsmöglichkeiten eher abnehmen: Gründe hierfür sind in der zunehmenden Verarmung und Ausgrenzung von immer weiteren Teilen der Bevölkerung zu sehen. Armut und damit verbundene fehlenden Ressourcen verhindere Partizipation in der Praxis.
  2. Absicherung. Wichtig sei, dass Partizipation in der Wohnungslosenhilfe auf eine gesetzliche bzw. rechtliche Grundlage gestellt werde – Partizipation als Pflichtaufgabe der Wohnungslosenhilfe ähnlich wie in der Heimunterbringung. Die genauen Formen der Ausgestaltung wären eine Frage der Aushandlung bzw. von definierten Spielräumen.
  3. Offenheit. Unverzichtbar in allen Zusammenhängen von Partizipation sei eine offene Kommunikation, die auch die  kritischen Dimensionen Macht und Geld nicht ausschließt – ohne das die Zuständigkeiten dabei jeweils vom Grundsatz her in Frage gestellt werden müssten.
  4. Vielfalt. Deutlich wurde, dass Partizipation in der Wohnungslosenhilfe deutlich mehr ist als nur die Artikulation von Forderungen von sog. Betroffenen gegenüber Institutionen. An den vorgestellten Beispielen wurde deutlich, dass schon jetzt ein breites Spektrum und vielfältige Formen und Inhalte von Partizipation sichtbar werden, die jeweils ihre eigene Berechtigung und Gültigkeit besitzen: Formen der Selbstorganisation und Initiativen der Selbsthilfe gehören dazu ebenso wie Mitwirkung und Mitgestaltung in offenen und stationären Einrichtungen und bei Trägern der Wohnungslosenhilfe auf unterschiedlichsten Ebenen.  
  5. Aufgabe. Den Prozess der Partizipation weiter voranzutreiben, voneinander zu lernen, die Vielfalt zu akzeptieren und die unterschiedlichsten Ansätze miteinander zu vernetzen sollte zu den zentralen Aufgaben der BAG Wohnungslosenhilfe nächsten Jahre.


Warschau, 16.01.2012
Für die Richtigkeit
Dr. Stefan Schneider

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