Stefan Schneider

Obdachlosenreport?

Rezension zu: Rüdiger Heins: Obdachlosenreport. Warum immer mehr Menschen ins soziale Elend abrutschen. Düsseldorf: Zebulon Verlag 1993. 168 S., DM 24,80. ISBN 3-928679-11-2.

Vor knapp fünfzehn Jahren legt der Journalist Ernst Klee erstmalig einen 'Report' zum Thema (Pennbrüder und Stadtstreicher. Nichtseßhaften-Report. Frankfurt am Main 1979) vor und verhilft damit der Problematik Nichtseßhaftigkeit (heute sprechen wir zutreffender von Wohnungslosen) zu einer breiteren Öffentlichkeit. Obwohl in vielerlei Hinsicht überholt, gehört das nach wie vor aktuelle und lesenswerte Buch zur älteren Standardliteratur, aus dem selbst heute noch gelegentlich zitiert wird. Inzwischen liegt einiges mehr an guten Arbeiten vor, Wohnungsnot und Obdachlosigkeit ist ein breit diskutiertes, wenn nicht das soziale Thema der 90er Jahre. Die journalistische Herausforderung im Jahr 1993 wäre, einer Öffentlichkeit plausibel zu machen, worin denn neben den vielfachen quantitativen Zuwächsen die neue Qualität besteht, welches die spezifischen und neuen Probleme sind, welche Trends sich abzeichnen bei den Wohnungslosen (Lebenslagen, Bewegung, Initiativen, Kultur...), der Hilfestruktur (social management, Wohltätigkeitsvereine...), im politischen Umgang (Markt- und Maklerwirtschaft...), und was die eigentlichen Skandale sind. Ein Report eben im wörtlichen Sinne von Bericht, Mitteilung.

Stattdessen finde ich bei Rüdiger Heins ein oberflächliches, eher lieblos und lose zusammengestelltes Sammelsurium journalistischer Skizzen vor zwischen telegrammartigen Biographie- oder Situationsklischees, abgebrochenen Problemanrissen, Aktionsberichten, collagierten Expertenabsonderungen und ein bißchen Selbstversuch mit schlechtem Abgesang - als hätte ich einen Abend lang durch alle TV-Programme gezappt und von allem ein bißchen und nie etwas ganzes mitgenommen. Nahezu alles, was ich in diesem Buch nachlesen kann, habe ich an anderen Stellen schon besser recherchiert, ausführlicher dargestellt, spannender vorgeführt bekommen. Wer aufmerksam die Presse verfolgt, wird wenig neues entdecken, wer drei, vier gute Publikationen zum Thema bereits gelesen hat, wird gelangweilt sein, und an Einstiegsliteratur gibt es besseres. Die wenigen brauchbaren Hinweise zu erwähnen würde mich zwingen, auch die längere Liste der inhaltlichen Ungereimtheiten aufzuführen. Ein überflüssiges Buch, das seinem anspruchvollen Titel nicht gerecht wird. Schade eigentlich, denn sein vorangegangenes (Verbannt auf den Asphalt - Begegnungen mit Pennern. Mainz 1989) war gar nicht mal schlecht: Spannende, und doch noch glaubwürdige Charaktere, gut komponierte Handlungs- und Situationsstränge. Vor allem die interessante Figur des Sozialarbeiters Bensdorf - weitaus packender als die faden 3 Seiten aus dem Kapitel "Die Sozialarbeiter - Tabuthema Nr. 1".

Der Autor ist mit seinem Projekt "Obdachlosenreport" offensichtlich überfordert, was insofern verwundert, da Heins mit Günther Wallraff einen renommierten Autor, der selbst in früheren Jahren zum Thema recherchierte (Asyl ohne Rückfahrkarte. In: Wallraff, Günther: 13 unerwünschte Reportagen. Reinbek bei Hamburg 1979, S. 15 - 21.) in seinen einleitenden "credits" als Berater aufführt. Die Vermutung liegt nahe, daß es sich hierbei um einen der vielen mit heißer Nadel gestrickten Versuche von Verlagen handelt, mit der Konjunkur eines Themas eine schnelle Mark zu machen. Finger weg! Der Rezensent empfiehlt, mit dem Geld besser sinnvolle Projekte zu unterstützen, oder es bei entsprechenden Nachfragern ("Haste mal 'ne Mark?) anzulegen, der Lernwert darin enthaltener Gesprächsmöglichkeiten ist ungleich größer.

Stefan Schneider


In: "Binfo" - Informationsdienst der Berliner Initiative gegen Wohnungsnot e.V./ BIN. Nr. 22 vom Oktober 1993. Berlin 1993, S. 13. und in: Kölner Bankexpress. Nr. vom Köln 1993, S. ***. und in: Lobby für Wohnsitzlose und Arme. Jg. 5. Ausgabe Nr. 7 vom Oktober 1993. Frankfurt am Main 1993, S. 22.

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