Dr. Stefan Schneider
Wohnungslosigkeit in Deutschland
Einige Bemerkungen zur gegenwärtigen Situation, zu den Hilfeangeboten und zu aktuellen Problemen und Aufgaben
Einführungsreferat (Umrisse: Entwurf! Änderungen, Ergänzungen, Präzierungen möglich, es gilt das gesprochene Wort)
beim Symposium Obdachlosigkeit
am Samstag, den 04. März 2006
im Osaka City University Media Center, 10F
Sugimoto Campus
3-3-138 Sugimoto Sumiyoshi-ku,
Osaka-shi 558-8585
A. Intro
B. Vorbemerkung
C. Zu meiner Person
D. Zur Struktur meines Beitrags
1. Was bedeutet es, wohnungslos zu sein?
2. Gesellschaftliche Rahmenbedingungen von Wohnungslosigkeit
3. Ursachen von Wohnungslosigkeit
4. Definition von Wohnungslosigkeit und Recht auf Wohnen
5. Umfang von Wohnungslosigkeit
6. Strategien des Umgangs mit Wohnungslosigkeit
7. Aktuelle Probleme und Aufgaben
8. Literatur & Material
A. Intro
Sie fallen nicht auf. Nicht auf den ersten Blick. Wer genauer hinsieht, wird sie entdecken. In der Nähe von Bahnhöfen, Fußgängerzonen, Einkaufszentren, Sehenswürdigkeiten, Kirchen, Stadtzentren, in Parks und auf öffentlichen Plätzen. Ihre Kleidung ist ein klein wenig schäbiger, die Gesichter etwas mehr vom Wetter gegerbt, die Gestalten wirken verbrauchter, manchmal ist Alkohol dabei, manchmal auch andere Drogen. Von obdachlosen Menschen ist hier die Rede.
Gelegentlich betteln sie. Manche passiv, mit einem Schild vor sich, auf dem Boden sitzend. Andere aktiv, sie sprechen Passanten an: "Hast Du mal 'nen Euro?" Weniger Mutige bitten nur um ein paar Cent. Oder sie verkaufen etwas, meist eine der vielen Straßenzeitungen, die es in Deutschlands Städten gibt.
B. Vorbemerkung
Meine sehr geehrten Damen und Herren,
ich bin ausgesprochen dankbar dafür, heute bei Ihnen zu sein, und zu Ihnen sprechen zu können. Und deshalb habe ich gerne diese Einladung angenommen und freue mich sehr, nach einer langen Reise bei Ihnen in Osaka zu Gast zu sein. Ich hoffe, daß es mir gelingt, Ihnen mit meinem kleinen Beitrag einige Informationen zu einem Thema geben zu können, das sie interessiert und somit zum Gelingen dieses Symposiums beizutragen.
C. Zu meiner Person
Seit fast 20 Jahren beschäftige ich mich mit Wohnungslosigkeit, zuerst im Studium und dann eigenen Forschungsvorhaben und mit meiner Promotion, seit 12 Jahren leite ich ein Selbsthilfeprojekt wohnungsloser Menschen in Berlin, wir haben angefangen mit einer Straßenzeitung und im Verlauf der Jahre weitere Angebote entwickelt, eine Notübernachtung, ein Tagestreffpunkt, ein Projekt der Wohnungseinrichtungshilfe und wir haben auch ein Bauvorhaben erfolgreich umgesetzt. Außerdem bin ich in zahlreichen Gremien der Wohnungslosenarbeit engagiert. Dennoch habe ich eine sehr spezifische Sichtweise auf das Problem, nämlich die Perspektive der Selbsthilfe. Dessen ungeachtet will ich dennoch hier versuchen, eine objektive, allen Realitäten gerechte Betrachtung des Problems Wohnungslosigkeit Ihnen hier vorzustellen.
D. Zur Struktur meines Beitrages
Es ist bestimmt unmöglich, alles das, was in Zusammenhang von Wohnungslosigkeit in Deutschland wichtig ist, innerhalb von 20 Minuten zu besprechen. Von daher kann ich nur einige ausgewählte – sehr kurze und stark vereinfachende - Bemerkungen machen, die das Nachdenken und einen Dialog anregen können.
Erstens haben wir zu überlegen, was es bedeutet, wohnungslos zu sein,
zweitens möchte ich die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen von Wohnungslosigkeit in Deutschland ansprechen,
drittens möchte ich kurz die Ursachen von Wohnungslosigkeit benennen,
viertens etwas zur Definition von Wohnungslosigkeit und zum Recht auf Wohnen sagen,
fünftens auf den Umfang von Wohnungslosigkeit eingehen, ihnen
sechstens die zentralen Strategien des Umgang mit Wohnungslosigkeit in Deutschland vorstellen und schließlich Ihnen
siebentens einige ausgewählte aktuelle Probleme und Aufgaben vorstellen.
Ich möchte damit beginnen, daß wir zusammen darüber nachdenken, was es bedeutet, wohnungslos zu sein:
1. Was bedeutet es, wohnungslos zu sein?
Wohnungslose Menschen sind weitgehend ausgeschlossen von gesellschaftlicher Teilhabe, vom wirtschaftlichen, politischen, kulturellen, edukativen, familiären und sozialen gesellschaftlichen Strukturen. Es gibt, im Unterschied zu berufstätigen Menschen kein wirkliches Zentrum der individuellen Tätigkeiten mehr:
- Der Alltag ist gekennzeichnet von der Sorge um das Überleben Tag für Tag in Verbindung mit der subjektiven Wahrnehmung, daß es keine Chancen gibt und daß auch objektive keine Perspektiven mehr vorhanden sind.
- Kreative Überlebensstrategien – wo kann ich etwas finden, was mir zum Überleben nützlich ist – gehen einher mit permanenter Unterforderung, die Zeit will nicht vergehen, ein wirklicher Ausweg will sich nicht eröffnen.
- Die Lebenslage fördert eine Abhängigkeit von Versorgungs-, Hilfeangeboten und Ämtern bzw. Behörden. Aufgrund mangelnder finanzieller Ressourcen besteht eine latente Tendenz zur Kleinkriminalität (Mundraub, Diebstähle, Schwarzfahren).
- Soziale Beziehungen verarmen und sind in der Regel beschränkt auf (funktionale Kontakte zu) LeidgenossInnen und professionelle HelferInnen.
- Sexuelle und partnerschaftliche Beziehungen sind nur stark eingeschränkt möglich oder finden als Prostitution statt. Die Alternative ist eine starke Vereinsamung.
- Biografisch erworbene Kompetenzen gehen verloren, Qualifikationen werden nicht abgefragt und damit entwertet.
- Suchtproblematiken (oft als Verarbeitungs- oder Bewältigungsstrategie der Lebenssituation) entstehen oder potenzieren und verfestigen sich,
- Körperliche Belastungen (Kälte, Witterung, ungenügende Ernährung, Drogen) führen auf Dauer zu massiven, häufig chronischen und z.T. bleibenden gesundheitlichen Schäden.
- Der dauerhafte Verbleib in solchen Strukturen findet als Folge häufig seinen Ausdruck in psychischen Auffälligkeiten, Sinn- und Motivationsverlust, Resignation, Lethargie oder individuellem Protest ("Scheiß-egal-Effekt").
- Ein Ausstieg aus der Situation bzw. eine nachhaltige Veränderung oder Ver-besserung der Lebenslage wird um so schwieriger, je länger Wohnungslosigkeit andauert.
Warum ist das so?
2. Gesellschaftliche Rahmenbedingungen von Wohnungslosigkeit
Die Bundesrepublik Deutschland ist mit etwa 80 Millionen Einwohnern eine der führenden Wirtschaftsnationen der Welt mit einem hohen Bruttoinlandsprodukt und einem großen Exportüberschuß.
Deutschland steht als europäisches Land innerhalb einer fast 2000jährigen christlichen Wertetradition: Über den Gründer der Religion, einem Jesus von Nazareth, sind Texte überliefert, die eine sehr deutliche praktische Hinwendung zu armen, ausgestoßenen, verachteten, ausgegrenzten und kranken Menschen dokumentieren. Ihnen wird die Erlösung verkündet, ihnen wird konkret Gutes getan. Diese Tradition ist in Spurenelementen bis heute gegenwärtig und Bestandteil der moralischen Grundhaltung.
Deutschland kann in der neueren Geschichte zurückblicken auf eine über 150 Jahre lange Entwicklung von planmäßigen Wohlfahrtseinrichtungen für wohnungslose Menschen, auf eine 130 Jahre alte Sozialgesetzgebung, die immer wieder erweitert, modernisiert und den modernen Verhältnissen, Sichtweisen und Erfordernissen angepaßt worden ist, zuletzt im Jahr 2005 mit einer umfassenden Neuordnung der Sozialgesetzbücher.
Deutschland kann auch zurückblicken auf eine lange Tradition privater Wohltätigkeit, von wohltätigen Stiftungen bis hin zu modernen Initiativen bürgerschaftlichen Engagements.
Der letzte Krieg, den Deutschland im großen Maßstab geführt hat, liegt über 60 Jahre zurück. Die unvorstellbar große Wohnungsnot, resultierend aus der massenhaften Zerstörung von Wohnraum durch den Bombenkrieg auf die Städte zum einen und den europaweiten Flüchtlingsbewegungen und Vertreibungsprozessen, ist weitgehend verschwunden. Auch der komplexe Prozeß der Deutschen Einheit, der tatsächlich in den ersten Jahren zu einer dramatischen Zunahme von Wohnungsnot und Wohnungslosigkeit führte, ist weitgehend vollzogen und die sozialen Ungleichheiten sind sehr weitgehend, aber sicher nicht vollständig, ausgeglichen.
Und dennoch gibt es Kehrseiten: Über 5 Millionen erwerbsfähige Menschen in Deutschland haben keine Arbeit. Jeden Tag verschwinden nach Schätzungen des Deutschen Instituts für Wirtschaft unwiederbringlich 1000 Arbeitsplätze. Auch im Bereich der Wirtschaft kommt auf 3 Existenzgründungen 1 Insolvenz, auch die Verschuldungssituation deutscher Privathaushalte ist zunehmend. Weiterhin ist in Deutschland im europäischen Vergleich die Rate des Wohnungseigentums mit etwa 30 % vergleichsweise gering. Die überwiegende Zahl der Deutschen muß Wohnraum mieten. Dafür muß etwa 1/3 des Einkommens aufgewendet werden. Staatliche Wohnungsbestände wurden in den letzten Jahren weitgehend abgebaut, durch eine Mietrechtsreform werden die Rechte der Mieter reduziert. Davon unabhängig wächst aber der Wohnbedarf, die Fläche, die jeder einzelne zum Wohnen nutzt, ist permanent am steigen, die Zahl der Einpersonenhaushalte ist ebenfalls am steigen, und auch die Ansprüche an die Ausstattung einer Wohnung nehmen zu: Sammelheizung, Bad- und Toilette, fließend Kalt- und Warmwasser, Telefon, Kabel und Internetanschluß zählen inzwischen zur Standarderwartung an eine Wohnung.
Zudem zeigt der 2005 zuletzt von der Bundesregierung vorgelegte Armutsbericht, das die sozialen Unterschiede und Ungleichheiten in den letzten Jahren weiter zugenommen haben.
Wie nun bewerten wir diese Phänomene? Die Antwort ist einfach und doch schwierig. Es ist ein globaler Entwicklungsprozeß, der zentral mit einer neuen Technologie zu tun hat:
Mit der Durchsetzung, Etablierung und zunehmenden Verallgemeinerung des vernetzten Computers wird die alte "Fordsche" Fließbandgesellschaft und die damit verbundene Idee vom Wohlfahrtsstaat abgelöst und ersetzt. Zentrales Element einer neuen "Weltordnung" sind extreme Rationalisierungen, Flexibilisierungen und Globalisierungen der Arbeitswelt (dauerhafte Massenarbeitslosigkeit, zeitlich befristete "Jobs" in der Folge) in Verbindung mit fundamentalen Verschiebungen hin zu einer Dienstleistungs- und Informationsgesellschaft sowie der Auflösung bzw. Privatisierung des bisher sozialstaatlichen Systems Sozialer Sicherheit.
Die daraus resultierenden Effekte durchdringen alle gesellschaftlichen wie individuellen Lebensbereiche und zeigen sich im Zwang zu dauerhafter Mobilität, Flexibilität und der Notwendigkeit zu lebenslanger Qualifizierung und steter Neu- und Umorientierung im Hinblick auf die Gestaltung der eigenen Biographie.
Konventionelle, orientierungsgebende Institutionen und soziale Zusammenhänge wie Familie, Kirchen und Religion, Parteien, Gewerkschaften, Verbände, nationalstaatliche Politikkonzepte, Schicht- und Klassenzugehörigkeiten oder Milieubindung, Wohnumfeld, kulturelle Identitäten und Werte sind in Auflösung begriffen oder zumindest in der Krise befindlich.
Mithin ist auch das Risiko, obdachlos zu werden, im Zuge globaler Restrukturierung gesellschaftlich allgemein geworden und kann nicht mehr nur als Ausdruck eines Mangels an (verfügbaren) Wohnraums begriffen und sozialarbeiterisch behandelt werden.
Ulrich BECK konstatierte bereits vor 12 Jahren: "Eigenes Leben - eigene Armut. Wo verläuft die Grenze zwischen Risiko- und Gefahrenbiographie?" Er sieht die "massenhafte Labilisierung bis in die gesellschaftliche Mitte hinein als latente Gefahr". (BECK 1994) In Verbindung damit ist zu konstatieren, daß zunehmend subjekttheoretische Überlegungen (Identität, Orientierung) Berücksichtigung finden (müssen), um die besondere Situation erklären zu können.
Normalität als gesellschaftlicher Tatbestand - im Sinne eines geregelten bzw. geordneten Lebens (mit gesichertem Lohnarbeitsplatz, dauerhafter Miete einer Wohnung und stabilen Familienverhältnissen als ihren herausragenden Kennzeichen) - befindet sich in zunehmender Auflösung, erweist sich immer mehr als Fiktion. Normalität und die individuelle Orientierung darauf, und in Verbindung damit ein Herausfallen aus einer solchen Normalität wird in den Biographien immer weniger aufzufinden sein.
Und dennoch ist jede Person in ihrem Leben mit gesellschaftlicher Realität konfrontiert, insbesondere bezüglich der Frage der individuellen Reproduktion über Arbeit oder anderen Formen einer sozialen Sicherung, der Frage des Wohnens und der sozialen und partnerschaftlichen Beziehungen.
Vorzufinden sind jeweils besondere, individuell höchst unterschiedliche Formen der Aneignung, des Umgangs, Bezugs und Verarbeitung von sich permanent wandelnder gesellschaftlicher Realität in der biografischen Entwicklung.
Die Möglichkeit eines sinnvollen Lebensentwurfs selbst ist also zu einem Risiko, zu einem Problem oder zumindest aber zu einer zentralen Aufgabe geworden: Wohnungslosigkeit ist ein mögliches Resultat dieser Situation, daß jeder/jede in der Frage des individuellen Überlebens auf sich allein gestellt ist und Hilfe nicht mehr erwarten kann.
Besonders extrem äußern sich diese Prozesse der Ausgrenzung, Verarmung und Sortierung (Segregation) und Vertreibung naturgemäß in Metropolen, in denen großräumlich wie kleinräumlich allgemeine Entwicklungen vorweggenommen werden.
3. Ursachen von Wohnungslosigkeit
Ich habe eben von den Kehrseiten der deutschen Gesellschaft gesprochen und dabei einige Stichworte benannt. Diese Rahmenbedingungen sind unbedingt zu berücksichtigen, wenn wir über die Ursachen von Wohnungslosigkeit sprechen wollen.
Mit Blick auf diese Rahmenbedingungen ist der Verlust der eigenen Wohnung nicht die Ursache von Wohnungslosigkeit, sondern vielmehr letzte, sichtbare Schlußpunkt.
Der Verlust der Wohnung ist meines Erachtens der Endpunkt eines langen Prozesses, in dem gesellschaftliche Ausgrenzungsprozesse und individuelle Handlungsmuster und Handlungsstrategien (das heißt sehr oft: mangelhaft ausgebildete Fähigkeiten zur Problemlösung unter ungünstigen Bedingungen) vielfach ineinander verschränkt sind.
Deshalb möchte ich mich auf die Fragestellung, inwieweit Wohnungslose an ihrer Lebenssituation selbst „Schuld“ sind, gar nicht einlassen, sondern zurückgreifen die von Karl MARX vor mehr als 160 Jahren entwickelte Idee, daß sich gesellschaftliche Verhältnisse im einzelnen Individuum und seinen Handlungs- und Entscheidungsspielräumen gleichsam abbilden.
In diesem Sinne ist Wohnungslosigkeit „ist ein gesellschaftliches Produkt, das durch staatliches, soziales und individuelles Handeln tagtäglich (re-) produziert wird. Dieser Produktionsprozeß unterliegt historischen und geographischen Unterschieden/Verwerfungen: der soziale Skandal primärer Reproduktion ohne Wohnung hat daher eine eigene Geschichte und Geographie." (MAYER, SAMBALE, VEITH 1995)
In diesem Verständnis wären Stationen wie der Verlust des Arbeitsplatzes, Beziehungskrisen, Scheidung, Trennung, Schulden, Suchterkrankungen, psychische Störungen und Erkrankungen, Konflikte mit Familie und Eltern, häusliche Gewalt, geringes Einkommen, finanzielle Schwierigkeiten, Mietschulden und weiteres mehr gleichsam Wegmarken im Prozeß der sozialen und individuellen (Re-)Produktion von Armut und Wohnungslosigkeit.
Mehr möchte ich an dieser Stelle dazu nicht sagen.
4. Definition von Wohnungslosigkeit und Recht auf Wohnen
Das Deutsche Grundgesetz erkennt zwar in § 13 die Unverletzlichkeit der eigenen Wohnung an, in dem Artikel geht es aber inhaltlich um einen Schutz vor Wohnungsdurchsuchungen und vor Abhörung. Ein Grundrecht auf Wohnen, wie von einigen Interessensverbänden gefordert, existiert im deutschen Grundgesetz allerdings nicht. Ein wichtiges Argument, ein solches Grundrecht nicht einzuführen, war, daß wohnungslose Menschen dann auf die Idee kommen könnten, die Bundesrepublik Deutschland zu verklagen, ihnen eine Wohnung zur Verfügung zu stellen. Und dies, so die Argumentation, könne der Staat nicht in jedem einzelnen Fall gewährleisten. Und deshalb sollte ein solches Recht nicht im Deutschen Grundgesetz verankert sein.
Ich bedauere dies ausdrücklich und verweise im Vergleich darauf, daß etwa in der Internationalen Charta der Menschenrechte in Artikel 25 im Zusammenhang mit dem Anspruch auf eine gesunde Lebenshaltung die Wohnung ausdrücklich genannt wird.
In Bezug auf die Definition von Wohnungslosigkeit hat sich in Deutschland eine Beschreibung durchgesetzt und etabliert, die sich an eine Typologie des Deutschen Städtetages aus dem Jahr 1987 orientiert und weitgehend akzeptiert ist.
Nach dieser Definition ist wohnungslos, wer nicht über einen mietvertraglich abgesicherten Wohnraum verfügt. Aktuell von Wohnungslosigkeit betroffen sind demnach Menschen,
- die ohne jegliche Unterkunft sind,
- die bei Verwandten, Freunden und Bekannten vorübergehend unterkommen,
- die sich in Heimen, Anstalten, Notübernachtungen, Asylen, Frauenhäusern aufhalten, weil keine Wohnung zur Verfügung steht,
- die als Selbstzahler in Billigpensionen leben,
- die ohne Mietvertrag untergebracht sind, wobei die Kosten durch den Sozialhilfeträger nach dem Bundessozialhilfegesetz (SGB XII) übernommen werden,
- die aufgrund ordnungsrechtlicher Maßnahmen ohne Mietvertrag, d.h., lediglich mit Nutzungsverträgen, in Wohnraum eingewiesen oder in Notunterkünften untergebracht werden.
Im Unterschied zur Situation im Grundgesetz ist diese Definition von Wohnungslosigkeit recht weitgehend. In die Wahrnehmung werden nicht nur die Menschen einbezogen sind, die tatsächlich keine Wohnung haben und auf der Straße leben, sondern auch die sehr viel größere Gruppe der Personen, die zwar in irgend einer Weise „ein Dach über dem Kopf haben“, deren Situation aber nicht rechtlich abgesichert ist.
Ein weiteres inhaltliches Kriterium, welches häufig im Zusammenhang mit der Definition von Wohnungslosigkeit verwendet wird, ist, daß die eigene, vertraglich gesicherte Wohnung selbstverständlich auch den durchschnittlichen gesellschaftlichen Ansprüchen genügen muß, die an eine Wohnung gestellt werden kann. Damit ist ein dynamisches Element eingeführt, welches den tatsächlichen Entwicklungen Rechnung trägt: Die Wohnungen werden allgemein größer, sie sind zunehmend besser ausgestattet, z.B. mit zentraler Heizung, einem Internet-Anschluß usw.
5. Umfang von Wohnungslosigkeit in Deutschland
Im Jahr 2004 waren nach Schätzungen der Bundesarbeitsgemeinschaft für Wohnungslosenhilfe e.V. in Bielefeld etwa 345.000 Menschen in Deutschland wohnungslos
Darunter waren
• ca. 55 % Männer
• ca. 23 % Frauen
• ca. 22 % Kinder und Jugendliche
Von diesen 345.000 Wohnungslosen leben etwa 20.000 – 30.000 Menschen auf der Straße.
Die Zahl der registrierten Wohnungslosen ging in den letzten Jahren leicht zurück, weil die Kommunen aus Kostengründen Wohnungslosenunterkünfte abbauen und die Wohnungslosen zunehmend in Mietwohnungen unterbringen. Aber in Berlin, mit 3,7 Millionen Einwohnern auch die größte Stadt Deutschlands ist die Gesamtzahl der Wohnungslosen seit 3 Jahren wieder am steigen. Und Berlin ist oftmals Vorreiter von Entwicklungen, die mit einiger zeitlicher Verzögerung in ganz Deutschland eintreten.
Neben dem „Hellfeld“ der registrierten Wohnungslosen und der Wohnungslosen, die auffallen und deswegen als Wohnungslose, die auf der Straße leben, mitgezählt werden, gibt es ein „Dunkelfeld“ von nichtregistrierten und nicht auffallenden Wohnungslosen. Sie leben mehr oder weniger unentdeckt und unerkannt in leerstehenden Kellern, auf Dachböden, auf Baustellen, in Bauruinen, in Industriegebieten, im Wald und Parks, auf dem Campus von Universitäten, in Bauwägen, in Kleingartenkolonien, auf Hausbooten, in Erdhöhlen usw.
6. Strategien des Umgangs mit Wohnungslosigkeit
Es gibt in Deutschland, systematisch betrachtet, im Grunde genommen 4 Strategien, mit dem Problem wohnungsloser Menschen umzugehen. Diese Strategien entspringen unterschiedlicher Sichtweisen und Auffassungen zum dem Thema, sie haben jeweils eine eigene Tradition, sie bestehen nebeneinander her, teilweise ergänzen sie sich, teilweise widersprechen sie einander.
Diese 4 Strategien sind
Erstens: die private und bürgerschaftliche Hilfeleistung
Zweitens: die kommunale (staatliche) Unterbringung
Drittens: die staatliche Hilfe durch Wohlfahrtseinrichtungen nach Sozialgesetzgebung
Viertens: die Ausgrenzung und Vertreibung durch Rechtsmittel
Erstens:
Die private Hilfeleistung besteht darin, einem bettelnden Menschen Kleingeld zu geben, manchmal auch Naturalien. Viele, nicht alle Bürger tun dies. In organisierter Form gründen Bürger Vereine, in denen sie Lebensmittel und Kleidung sammeln und an bedürftige weitergeben, in dem sie Mahlzeiten kochen und ausgeben, in dem sie – insbesondere im Winter – Notübernachtungsgelegenheiten und Tagestreffpunkte organisieren.
Diese Strategie ändert nichts an der Wohnungslosigkeit der Wohnungslosen – oder nur in den seltensten Fällen. Sie trägt aber immerhin dazu bei, daß wohnungslose Menschen überleben können.
Zweitens:
Die kommunale (staatliche) Unterbringung geht auf eine Denkweise zurück, daß der Staat wissen möchte, wo seine Bürger sind. Umherwandernde Bürger sind ein Sicherheitsrisiko und war lange Zeit ein Straftatbestand. Aus diesen Gründen ist auf der Ebene der einzelnen Länder in Deutschland eine Gesetzgebung verankert, welche die Behörden verpflichtet, wohnungslosen Menschen – sofern diese sich melden – eine Unterkunft nachzuweisen. Diese Wohnungslosenunterkünfte haben einen geringen Standard, sie sind häufig außerhalb gelegen, es handelt sich in der Regel um zwangsgemeinschaftliche Unterkünfte (mehrere Menschen in einem Zimmer) mit Gemeinschaftsräumen, die Bewohner haben keine Rechte, wie sie beispielsweise ein Mieter hat, und oftmals handelt es sich um Massenunterkünfte.
Diese Strategie führt dazu, daß aus wohnungslosen Menschen untergebrachte Wohnungslose werden. Sie müssen nicht draußen schlafen. Eine Reihe von Wohnungslosen lehnen diese Art von Unterbringung ab und ziehen es statt dessen vor, auf der Straße zu bleiben.
Drittens:
Die staatliche Hilfe durch Wohlfahrtseinrichtungen nach Sozialgesetzgebung wird auf Antrag gewährt. Der Antrag wird ein der Regel gestellt von der Einrichtung, die eine solche Hilfe für den Wohnungslosen durchführen will. Grundlage dafür ist, daß der wohnungslose Bürger sehr genau Auskunft geben muß über seine persönlichen Lebensumstände, über seine Problem und Defizite, über seine Lebensgeschichte.
Ob nun begründet oder nicht, eine Reihe von wohnungslosen Menschen will das nicht oder hat Angst davor, daß etwas unangenehmes aus der Lebensgeschichte zum Vorschein kommt oder empfindet diese Herausgehensweise als zu sehr die private Integrität berührend und zieht es vor, auf der Straße zu bleiben. Umgekehrt kann aber jeder Wohnungslose in den Bezug dieser Angebote kommen, wenn er bereit ist, sich darauf einzulassen.
Die Strategie dieser sozialgesetzlichen Hilfe führt dazu, daß wohnungslose Menschen neben einer Unterbringung noch eine gezielte Beratung, Begleitung, Betreuung und Unterstützung erhalten, die zur Überwindung der Wohnungslosigkeit beitragen soll. Oftmals gelingt auch die Anmietung und der Einzug in eine eigenen Wohnung. Die Wohnungslosigkeit ist damit erstmal beseitigt. Die Erfahrungen aber zeigen, daß an diesem Punkt die wirklichen Schwierigkeiten erst anfangen. Eine Integration in den Arbeitsmarkt gelingt sehr häufig nicht, weil aufgrund der hohen Arbeitslosigkeit wohnungslose Menschen aus ganz unterschiedlichen Gründen strukturell benachteiligt sind.
Eine soziale Integration in ein Wohnumfeld gelingt ebenfalls sehr selten, weil die Wohnungsbeschaffung dieses Kriterium selten berücksichtigt und wohnungslose Menschen in der Gemeinwesen- und Stadtteilarbeit deutscher Städte so gut wie nicht berücksichtigt werden. Auch ist die Nachsorgearbeit in der Wohnungslosenhilfe deutlich unterentwickelt. Aus diesen Gründen tauchen viele wohnungslose Menschen nach kürzerer oder längerer Zeit in den Einrichtungen der Wohnungslosenhilfe wieder auf. Ein neuer Kreislauf beginnt, und die Lebenssituation Wohnungslosigkeit verfestigt sich.
Viertens:
Die Ausgrenzung und Vertreibung durch Rechtsmittel ist ein Phänomen, welches in den letzten Jahren zunehmend an Bedeutung gewinnt. Wohnungslose Menschen sind unerwünscht in Geschäftsstraßen und Einkaufszentren, an öffentlichen Straßen und Plätzen, auf Bahnhöfen und vor touristischen Zentren. Sie beschädigen das Image einer Stadt und die damit verbundenen Wirtschaftserwartungen. Teilweise indirekt, teilweise ganz unverholen wird versucht, Instrumente zu entwickeln, um wohnungslose Bürger von solchen Orten fernzuhalten. Es werden Straßensatzungen, die etwa den Konsum von Alkohol in der Öffentlichkeit verbieten.
Auch die zunehmende Privatisierung von öffentlichen Räumen führt dazu, daß private Betreiber Hausordnungen erlassen können, die es untersagen, sich einfach nur aufzuhalten, zu betteln, Alkohol zu trinken, zu schlafen. Auch diese Strategie ändert nichts an der Tatsache, daß wohnungslose Menschen wohnungslos bleiben. Sie sind aber immerhin nicht mehr sichtbar. Sie ziehen sich zurück in die Randlagen der Städte, meistens in Gegenden, wo ohnehin schon soziale Probleme stark vorhanden sind.
Auch auf der individuellen Ebene kommt es immer wieder vor, daß wohnungslose Bürger Opfer von gewalttätigen Übergriffen und Anschlägen werden. Im Zeitraum von 1989 bis 2005 sind aus diesem Grund mindestens 143 Menschen zu Tode gekommen.
Vertreibende Hilfe:
Eine weitere ganz perfide Strategie, mit Wohnungslosen umzugehen, ist das Prinzip der vertreibenden Hilfe. Im Grunde eine Verbindung aus der zweiten und vierten von mir genannten Strategie.
Eine Stadt oder eine Ortschaft nimmt einen Wohnungslosen auf, aber nur für die Dauer von drei Tagen. Danach, so wird dem Wohnungslosen erklärt, müsse er den Ort verlassen. Um das Anliegen zu unterstreichen, wird dem Wohnungslosen häufig noch eine Fahrkarte zum nächsten Ort zur Verfügung gestellt. Zwar steht dieses Prinzip im Gegensatz zur Sozialgesetzgebung, daß jeder Bürger berechtigt ist, an jedem Ort in Deutschland seinen Lebensmittelpunkt begründen zu können, aber in der Praxis ist dieses Prinzip immer noch gegenwärtig, vor allem in ländlichen Gebieten Deutschlands.
(Eine solche Praxis erinnert fatal an das europäische Mittelalter, als Deutsche Städte in sogenannten Bettlersatzungen streng unterschieden haben zwischen den einheimische Stadtarmen, die unterstützt wurden, und sogenannten ortsfremden Bettlern, die in sogenannten „Bettlerfuhren“ an ihren Heimatort zurückgekarrt wurden.)
Fazit:
Wenn ich diese 4 genannten Strategien in ihrer Gesamtheit betrachte, komme ich zu einer pessimistischen Schlußfolgerung. Eine wirkliche Integration Wohnungsloser in die Mitte der Gesellschaft findet nur zu einem kleinen Teil statt. Der Großteil der Hilfestrategien führt dazu, daß Wohnungslose wohnungslos bleiben, nur eben, daß sie weniger auffallen. Daß sie überleben können. Daß sie nicht hungern und nicht erfrieren müssen. Ihre Lebenslage ist verbessert, nicht verändert. Das, meine Damen und Herren, ist vielleicht etwas vereinfachend dargestellt, aber es ist, für meine Begriffe, die traurige Wahrheit.
Diese Einschätzung ist auch durch wissenschaftliche Untersuchungen belegt. Eine Hamburger Studie aus dem Jahr 2004 belegt, daß wohnungslose Menschen nur innerhalb der ersten 6 Monate nach Eintreten der Wohnungslosigkeit eine realistische Chance haben, dieser Situation dauerhaft auch wieder zu entkommen. Für alle anderen gilt: Je länger die Wohnungslosigkeit dauert, desto geringer die Chance, aus dieser Situation wieder heraus zu kommen. Und damit verfestigt sich eine Lebenslage.
7. Aktuelle Probleme und Aufgaben
Meine Damen und Herren, abschließend möchte ich ein paar Bemerkungen machen zu aktuellen Problemen und Aufgaben:
Erstens:
Es ist nicht nur schlecht, es ist auch gut, daß es eine breite Palette bürgerschaftlicher Hilfen zur Grundversorgung Wohnungsloser und Armen gibt – Essensversorgung, Kleidungsversorgung, Notübernachtungen und Notunterkünfte, und daß in einigen Punkte dieses Struktur noch weiter ausgebaut und ausdifferenziert wird.
Zweitens:
Die Situation spezifischer Gruppen wird durchaus in der Fachdiskussion berücksichtigt und weiter verfolgt. Dazu zähle ich die Gruppe der wohnungslosen Frauen, der Straßenkinder – und Jugendlichen, das Thema psychische Erkrankung und Sucht. Die Einrichtungen der Wohnungslosenhilfe betreiben teilweise freiwillig ein Qualitätsmanagement, es finden durchaus Fachtagungen zu Spezialproblemen statt, immer noch wieder entstehen neue, modellhafte Einrichtungen für spezielle Zielgruppen, und auch an der Vernetzung der einzelnen spezialisierten Hilfen
Drittens:
Aus der Betrachtung des letztes Jahrhunderts wissen wird, daß die gesellschaftliche Aufmerksamkeit gegenüber dem Thema Wohnungslosigkeit in Zyklen verläuft. Das Thema Wohnungsnot und Wohnungslosigkeit war wichtig nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges, in den 70er Jahren in den späten Zeiten der Studentenbewegung und in den 90er Jahren im Zuge des Anfangs der Globalisierung und dem Prozeß der Deutschen Einheit.
Gegenwärtig stehen in Deutschland andere Fragen im Vordergrund, die Globalisierung, der Europäische Integrationsprozeß, der demographische Wandel der Gesellschaft, die Vogelgrippe, die Angst vor extremistischen Terroranschlägen, eine neue drohende Energiekrise. Die Menschen und Institutionen, die sich für Wohnungslose einsetzen, sind gegenwärtig in der Defensive. Sie haben alle Hände damit zu tun, dafür zu sorgen, daß sich die Rahmenbedingen der Hilfe nicht noch weiter verschlechtern.
Zum jetzigen Zeitpunkt ist noch überhaupt nicht zu sagen, wann wieder eine historische Epoche eintreten wird, in der Wohnungslosigkeit und Armut auf einer breiten Basis wieder diskutiert und in das Zentrum der öffentlichen Aufmerksamkeit gerückt werden kann – in Verbindung mit neuen Impulsen und neuen innovativen Ideen und Konzepten.
Wir leben gegenwärtig, was die Wohnungslosenhilfe anbetrifft, in einer bleiernen Zeit.
Viertens:
An den gesellschaftlichen Rahmenbedingungen – insbesondere an der hohen Arbeitslosigkeit – ändert sich nichts oder nur kaum etwas. Wie der letzte Armutsbericht der Bundesregierung aus dem Jahr 2005 zeigt, nehmen die sozialen Unterschiede zwischen armen und reichen Teilen der Deutschen Bevölkerung statt dessen noch weiterhin zu. Die fatale Folge ist: Die Angst, selbst zu verarmen, hat inzwischen Teile der deutschen Mittelschicht erreicht. Ob diese Angst nun berechtigt ist oder nicht, Besorgnis erregend ist ein mit dieser Angst korrelierendes Phänomen:
Eine am Institut für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung (IKG) der Universität Bielefeld unter Leitung von Prof. Dr. Wilhelm HEITMEYER vorgenommene repräsentative 10-Jahres Querschnittsstudie zum Thema Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit zeigt in ersten Zwischenergebnissen, daß die Ablehnung von wohnungslosen Menschen gegenwärtig eine weitere Verbreitung und eine Zunahme erfährt.
Immer mehr Bürger und Bürgerinnen sind der Auffassung,
- daß Wohnungslose in den Städten unangenehm sind,
- daß bettelnde Wohnungslose aus den Fußgängerzonen entfernt werden sollten,
- daß Wohnungslose selbst Schuld sind, wenn man etwas gegen sie hat.
Die Autoren erklären dieses Ergebnis mit dem Phänomen, daß Desintegrationsbedrohungen weiter Teile der Bevölkerung zu Verunsicherungen führen, die eine Suche nach Sicherheit auslösen. „Eine Variante scheint hierbei die Machtdemonstration zu sein, u.a. mit Rückgriff auf einen ‚starken Staat’. Das Vehikel dazu ist die autoritäre Aggression der Mehrheit, die angesichts der eigenen Situation möglichst risikolos sein sollte.“ (Endrikat, Kirsten 2005, S. 138). Dazu eignen sich ausgesprochen machtlose Gruppen innerhalb der Gesellschaft, wie beispielsweise Wohnungslose, besonders gut.
Wollen Sie in einer solchen Gesellschaft leben, in der Bürgerinnen und Bürger aufgrund ihrer eigenen Existenzängste auf Menschen losgehen, die garantiert schwächer und genau genommen wehrlos sind? Ich jedenfalls nicht!
Schlußbemerkung:
Meine Damen und Herren, gestatten Sie mir eine ganz persönliche Schlußbemerkung. Sie haben gesehen, daß ich die gegenwärtige Situation sehr pessimistisch beurteile. Ich glaube nicht an eine wesentliche Verbesserung der Situation und der Integrationschancen Wohnungsloser in Deutschland, ich befürchte eher, daß es schwieriger werden wird, also Wohnungsloser zurecht zu kommen. Ich befürchte, daß die Zahl der Wohnungslosen wieder und weiter steigen wird. Ich beführte, daß die Gewalt und Ausgrenzung gegenüber Wohnungslosen zunehmen wird. Ich glaube, daß die Hilfen für Wohnungslose nicht wesentlich verbessert werden. Ich befürchte, daß die Finanzierung schwieriger werden wird.
Ja, ich habe ernsthaft Sorge, daß in den nächsten Jahren in Deutschland ein gesellschaftlicher Konsens zerbricht, der darin besteht, soziale Außenseiter wenigstens dem Grunde nach zu akzeptieren und am gesellschaftlichen Leben teilhaben zu lassen.
Was mich motiviert, an dieser Stelle nicht zu resignieren, ist zum einen die Beobachtung, das ich nicht allein bin mit meinem Engagement, zusammen mit Wohnungslosen für eine Verbesserung der Lebensumstände zu arbeiten. Und zum anderen die Überzeugung, daß wir die bestehenden gesellschaftlichen Herausforderungen nur dann lösen können, wenn alle daran teilnehmen können. Auch die Wohnungslosen.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!
Stefan Schneider