Abstract für das Panel: Perspektiven "Gute Arbeit?" - Ko-Referat mit dem Schwerpunkt "Immaterielle Arbeit" auf dem Forum Sozialethik am Dienstag, 06.09.2011, 15:45 Uhr in der Katholischen Akademie Schwerte.

Schmiede bei der Arbeit - Quelle: WikicommonsWeil menschliche Lebenswelten umfassend digitalisiert werden, können wir gesellschaftliche und zwischenmenschliche Beziehungen völlig neu organisieren und auch unser Selbst andersartig konfigurieren. In der sozialwissenschaftlichen und philosophischen Theorie (Hardt/Negri, Virno, Foltin, Holloway, Seemann ua.) wird diskutiert, dass parallel zu einer neuen Qualität kapitalistischer Herrschaft, Ausbeutung und finaler Selbstzerstörung Menschen in allen Teilen der Welt an neuen Formen gemeinschaftlicher Organisation und Produktion arbeiten.

Zentrale Voraussetzung ist dabei die Idee der immateriellen Arbeit: der entscheidende Unterschied zwischen der Fabrik mit dem Fließband und dem Computer und dem weltweiten Internet ist, dass das Fließband ein progammierter Automat ist, der Computer aber ein programmierbarer. Der Computer vereint alle denkbaren Maschinen in sich. Und er ist noch mehr, er ist Kommunikationsmittel – via email, web, chat, video-konferenz, ja, neueste Software erlaubt sogar das gemeinsame Arbeiten an einer Sache über alle Entfernungen hinweg. Gleichzeitig ist dieses power-Instrument aber in den Händen der Arbeitenden, und in einer weiteren Verallgemeinerung kann man sagen, jeder Mensch kann dieses Instrument zu seinem eigenen machen. Aber damit verändert sich die Struktur der Arbeit selber auch. Mit der Arbeit am Computer schaffen wir soziale Beziehungen, erfinden und steuern wir Kultur, schaffen wir Nachbarschaft, organisieren wir unseren familiären und freundschaftlichen Zusammenhalt, bilden wir uns und machen Politik, leisten wir Beziehungs- und Gefühlsarbeit.

Zwar ist auch der Computer, das Netz, die Hard- und Software weitgehend in den Händen großer kapitalistischer Konzerne, aber allen Ortes gibt es Tendenzen, den Computer, das Netz, die Software und weitere Tools zu demokratisieren, öffentlich frei zugänglich zu machen. Open Source Codes, Free and Open Software, Open Network, Publik Wlan sind hier einige der Stichworte. Und niemand muss innerhalb eines Lohnarbeitsverhältnis stehen, um diese Struktur nutzen zu können. Jeder und jede kann sie nutzen. Damit wird die immaterielle Arbeit auch Motor eines neuen Schubes an menschlicher Individualität – wir können jeden einzelnen Menschen nur noch als einzigartig, als Singularität angemessen beschreiben und verstehen. Zur immateriellen Arbeit gehört also die Multitude der Singularitäten.

Die damit verbundene Idee der Multitude (Menge/ Vielheit) beinhaltet auch einen konfliktträchtigen Abschied vom Prinzip der Souveränität und seiner Durchsetzung. Die (Wieder-)Entdeckung der Commons (Gemeingüter) ist eine logische Konsequenz der nahezu unbeschränkten Kopierbarkeit und universellen Verfügbarkeit von digitaler Open Source. Bislang wenig diskutiert sind die ethischen Prinzipien, Fragen und komplexen Probleme einer Gesellschaft der Tauschbörsen, Social Networks, Peer Production und Flashmobs jenseits von Privatheit, Eigentum Fremdherrschaft und Kontrolle. Der Vortrag will diesen Fragen nachgehen.

Medien / Literatur

  • BUTLER, Judith: Das Unbehagen der Geschlechter. Frankfurt am Main 1991.
  • DIEFENBACH, Katja: Den wirklichen Ausnahmezustand herbeiführen. Wien 2008 (http://translate.eipcp.net)
  • ELSEN, Susanne: Die Ökonomie des Gemeinsesens. Weingarten und München 2007.
  • ENGLER, Wolfgang: Bürger, ohne Arbeit. Für eine radikale Neugestaltung der Gesellschaft. Berlin, 2005.
  • HERCKSEN, Bernd: Vom Urpatriarchat zum globalen Crash? Aachen 2010.
  • GANZ, Kathrin: Diverser leben, arbeiten und Widerstand leisten. Berlin 2010. In: in: Arranca! Nr. 41,Winter 09/10, S. 18-21.
  • GORTZ, André: Auswege aus dem Kapitalismus- Zürich 2009
  • FOLTIN, Robert: Die Körper der Multitude - Von der sexuellen Revolution zum queer-feministischen Aufstand. Stuttgart 2010
  • FOUCAULT, Michel: Überwachen und Strafen. Frankfurt am Main 1977
  • HARDT, Michael/ NEGRI, Antonio: Empire. Die neue Weltordnung. Frankfurt am Main 2002.
  • HARDT, Michael/ NEGRI, Antonio: Multitude. Krieg und Demokratie im Empire. Frankfurt am Main 2004.
  • HARDT, Michael/ NEGRI, Antonio: Common Wealth. Das Ende des Eigentums. Frankfurt 2010
  • HARDTMANN, Detlef: Die Knarre in der einen Hand, den Bleistift in der anderen.“ Forschen für die neuen Kriege im SFB 700 der FU Berlin. Berlin 2008 (http://www.materialien.org)
  • HELLER, Christian: Identitaets-Kriege. Berlin 2010 (http://www.plomlompom.de)
  • HOLLOWAY, John: Kapitalismus aufbrechen. Münster 2010
  • KRUSE, Peter: Revolution 2.0: Wie die sozialen Netzwerke Wirtschaft und Gesellschaft verändern. Petersberg 2010 (http://blog.whatsnext.de/category/praesentationen/)
  • Leontjew, Alexej N.: Probleme der Entwicklung des Psychischen. Berlin 1973.
  • MARX, Karl: Grundrisse der Kritik der politischen Ökonomie. Berlin 1983 (MEW, Bd. 42)
  • MELVILLE, Herman: Bartleby, der Schreiber. Eine Geschichte aus der Wall Street. Aus dem amerikanischen Englisch übersetzt und mit Erläuterungen versehen von Jürgen Krug. Frankfurt a. M und Leipzig 2004
  • NEGRI, Toni: Die wilde Anomalie. Baruch Spinozas Entwurf einer freien Gesellschaft. Berlin 1982.
  • PAOLI, Guilleaume (Hrsg.): Mehr Zuckerbrot, weniger Peitsche. Aufrufe, Manifeste und Faulheitspapiere der Glücklichen Arbeitslosen. Berlin 2002.
  • PIEPER, Marianne Pieper, ATZERT, Thomas, KARAKAYALI, Serhat, TSIANOS, Vassilis (Herausgeber): Empire und die biopolitische Wende: Die internationale Diskussion im Anschluss an Hardt und Negri. Frankfurt, 2007
  • SAAR, Martin: Politik der Mulititude. Zeitgenössische politisch-philosophische Anschlsse an Spinoza. In: HINDRICHS, Gunnar: Die Macht der Menge. Über die Aktualität einer Denkfigur Spinozas. Heidelberg 2006
  • SCHNEIDER, Stefan: Multitude. Where the term comes from and what we can do with it. Berlin 2010
  • SEEMANN, Michael: Wir, das Bücherregal und mein mentales Exoskelett. Die Krankenakte von Tut Ench Amun. Frankfurt 2010 (http://www.ctrl-verlust.net/)
  • SPINOZA, Baruch: Ethik in geometrischer Ordnung dargestellt. Berlin 2006
  • SPITTA, Jutta: Gemeinschaft, Multitude oder das Kommune. Begriffsperspektiven im Spannungsfeld zwischen nationaler Identifikation und kollektiver Aneignung. In grundrisse 10/2010
  • VIRNO, Paolo: Die Grammatik der Multitude. Untersuchungen zu gegenwärtigen Lebensformen. Berlin 2005
Panel: Perspektiven "Gute Arbeit?" - Ko-Referat mit dem Schwerpunkt "Immaterielle Arbeit"

Solidarische Hinweise

Joomla template by a4joomla