Hauptsache-Arbeit? Egal!
Ein Bericht
ªAls neuen "Bund der Kommunisten" könnte man die "glücklichen Arbeitslosen" werten, die neuerdings immer mehr von sich reden machen (...). Die neue Ideologie greift um sich wie ein Ölfleck.´ (Peter Glotz, ªDie beschleunigte Gesellschaft´)
Es konnte sich noch genau daran erinnern. Es war der 18. Dezember 1998. Nach Abschluss von Schule und Abschluss der Uni hatte er 8 Jahre ununterbrochen lang einen Arbeitsvertrag. Ob er in der Zeit auf irgendwelchen sinnlosen Besprechungen war oder für andere Leute irgendwelche Korrekturen las: Egal - Hauptsache, er hatte einen Job. Das der ganze Laden nicht effektiv war und Staatskohle verschwendete ohne Ende: Egal, Hauptsache er hatte einen Job. Dass er Stunden um Stunden in irgendwelchen Gremien safl, die dann doch nichts entschieden haben, dass der Brief um Brief schrieb, um irgendwelche Unterlagen anzufordern: Belanglos: Er hatte ja einen Job. Dass er anfing, während der Arbeit zu saufen und angetrunken irgendwelche Vorträge hielt, die mehr oder weniger sinnvoll waren: Egal: Es war ja sein Job. Dass er für die paar Stunden, die er auf Arbeit war, ein eigenes Büro beanspruchte mit eigenem Schreibtisch, Computer und Aktenschrank und letztendlich nur Kosten verursachte: Egal: So ist halt ein Job. Dass er in der Firma sowieso nur der Schütze Arsch war und es letztlich egal war, ob er eine Idee hatte oder nicht: Egal: So sind halt die Jobs. Und ob er nun reingeklotzt hätte wie ein Irrer oder sich beworben hätte ohne Ende: Egal: Einen neuen Job gab es nur für ganz wenige Auserwählte. Und dann war der Vertrag eines Tages vorbei und er war: Arbeitslos. Das kannte er gar nicht. Egal, was er die letzten Jahre eigentlich gemacht hatte, jedenfalls hatte er einen Job. Damals. War ja eigentlich egal, was er genau gemacht hatte. Jetzt nun gar nicht mehr.
Am Nachmittag jenes 18.12.1998 war er eingeladen zu einer großen Party. Auf dem Weg dorthin mit der S-Bahn war er vˆllig am Ende: Es war 16 Uhr 30. Auf dem S-Bahnhöfen stapelten sich die Menschen, Berufsverkehr. Sie haben jetzt Feierabend, und er hatte noch nicht mal angefangen. Die S-Bahn fuhr herein: Der Zugführer rauschte an ihm vorbei, und er hatte noch nicht mal angefangen. All diese Menschen, die wahrscheinlich von Arbeit kamen: und er hatte noch nicht einmal angefangen. Auf der Straße, in den Läden, die Verkäuferinnen, und er hatte noch nicht mal angefangen. Die Menschen mit die Lieferwagen, die in zweiter Reihe parkten, und er hatte noch nicht mal angefangen. Jeder Klowärter, jeder Strassenfeger, jeder Scheißbulle, jeder Wachschutzsklave, jeder Kofferkuli war in seinen Augen besser dran als er: Denn es war inzwischen schon längst dunkel: Und er hatte noch nicht einmal angefangen.
Heute, vier Jahr später, hat er immer noch keinen Job. Die Krise, die am 18.12.1998 gegen 16:00 begann, war bereits gegen 19:00 Uhr vorbei. Er hat in der Zwischenzeit in einer Redaktion gearbeitet, aber keinen Job gehabt. Er hat einen Treffpunkt aufgebaut, aber keinen Job gehabt, er hat ein Bauvorhaben durchgezogen, aber keinen Job gehabt. Er hat an Internet-Seiten gebaut, aber keinen Job gehabt. Er ist dabei, eine Firma aufzubauen, wird aber gar keinen Job haben. Er hat in den letzten Jahren ausführlich Berlin und Brandenburg erkundet, intensiv Sport getrieben, aber keinen Job gehabt. Er hat sich in politische Diskussionen eingemischt, eine Wohnung renoviert, mit der Freundin viel unternommen, aber keinen Job gehabt. Er hat viele Bücher gelesen und viel über Menschen gelernt, sich weitergebildet und Erfahrungen gesammelt, aber keinen Job gehabt. Ist er ein Glücklicher Arbeitsloser? Wahrscheinlich wird er seinen Kopf wiegen und sagen: Ich weiß, wofür ich morgens aufstehe. Und ich habe noch nie soviel in meinem Leben gearbeitet wie in der Zeit, in der ich arbeitslos war. Und ganz unzufrieden wirkt er auch nicht.
Die Prognose: Er wird es schwer haben, sollte er aus irgendwelchen Gründen gezwungen sein, wieder einen Job zu haben. Er wird Dinge so machen wollen, wie er sie für richtig hält und nicht, weil ein Chef sagt, dass es so gemacht werden muss. Er wird sich an keine Regeln halten, die er nicht einsieht. Er wird Dinge, die offensichtlich sinnlos sind, nicht machen. Er wird immer die Frage stellen, warum? Er wird mit Geld nicht mehr motivierbar sein, weil er doch gelernt hat, auch ohne Geld alles haben zu können. Er wird sich nicht mehr unterordnen. Er wird nicht mehr klein beigeben. Es wird kein bequemer Arbeitnehmer mehr sein. Wenn er mal einen guten Moment hat, ist ihm klar, dass er wahrscheinlich nie mehr wieder in seinem Leben Arbeitnehmer sein wird. Und dabei ist er erst 37. Um ein Glücklicher Arbeitsloser zu sein, dazu hat er noch viel zu viel Angst. Vor allem vor dem Arbeitsamt und den neuen Hartz-Konzepten. Und vor der Armut, oder besser, dass er seine Miete nicht mehr bezahlen kann. Aber er weiß, dass er es schaffen kann, sich von dieser Fixierung auf Lohnarbeit zu befreien. Schließlich ist es ja erst seit 4 Jahren dabei. Und er kann noch viel lernen.
Seit 1996 verbreiten die Glücklichen Arbeitslosen eine ketzerische Botschaft: Arbeit für alle werde es nie wieder geben, doch gerade dies sei eine historische Chance. Heute gäbe es bereits Menschen, die außerhalb der Erwerbssphäre ein durchaus glückliches Dasein gefunden hätten. Nicht Arbeitslosigkeit sei das Problem, sondern Geldlosigkeit und mangelnde gesellschaftliche Akzeptanz. Darum plädieren die Glücklichen Arbeitslosen für eine angemessene, bedingungslose Entlohnung derjenigen, die auf die Mangelware Arbeit freiwillig verzichten. Voraussetzung dafür wäre freilich eine kulturelle Revolution, die sich gegen die alte Arbeitsmoral richten müsste, um die soziale Relevanz der Muße anzuerkennen. Zum ersten Mal werden in einem Buch Manifeste und Flugschriften der Glücklichen Arbeitslosen zusammengestellt. In einer Einführung fasst Guillaume Paoli, einer der Hauptprotagonisten, die theoretischen Grundsätze der Bewegung zusammen. Guillaume Paoli, geboren 1959, ist französischer Staatsbürger korsischer Abstammung und internationalistischer Gesinnung und unternimmt seit 20 Jahren eine Feldstudie zum vergleichenden Schmarotzertum innerhalb der EU, wohnt seit 1992 in Berlin, ist Mitbegründer der ªGlücklichen Arbeitslosen´ und Mitherausgeber ihrer Zeitschrift "müßiggangster". Zuletzt erschienen: "Lasst euch nicht gehen" in "Kapitalismus und Depression III", Berlin 2001. Aber das meiste kann man auch im Internet nachlesen unter www.txt.de/tiamat. Auch die vom Verlag Tiamat herausgegebene Reihe Critica Diabolis schient ganz unterhaltsam zu sein.
Bruno Katlewski
Guillaume Paoli (Hrsg:): Mehr Zuckerbrot, weniger Peitsche. Aufrufe, Manifeste und Faulheitspapiere der Glücklichen Arbeitslosen. Berlin: Verlag Klaus Bittermann 2002 (Edition Tiamat: Critica Diabolis 111) 207 Seiten, 5 Abbildungen. Preis: EUR 14.00, ISBN: 3-89320-062-2.