Vorbemerkung: Im Zusammenhang mit der Debatte um Strassenzeitung in Deutschland taucht immer wieder die Frage auf, welche die erste war, die in Deutschland gegründet worden ist. Einmal abgesehen vom "Kunden" und vom "Vagabunden" aus den 20er Jahren und den in den 80er Jahren von Hans Klunkelfuß herausgegebenen BerberBriefen ist sicherlich der Kölner Bankexpress (jetzt: Bank Extra) zu den ersten zu zählen, noch vor BISS in Münschen und Hinz & Kunzt in Hamburg. Mit nachstehendem Beitrag aus dem Jahr 1993, den ich an dieser Stelle nochmals veröffentliche, möchte ich ein wenig zur Klärung der Frage beitragen.
Stefan Schneider, Berlin im Januar 2008
Schneider, Stefan:
Der Kölner Bankexpress - eine "etwas andere" Zeitung
Der Bankexpress besteht seit über einem Jahr, und mit erstaunlicher Regelmäßigkeit produziert das Redaktionsteam etwa alle 2 Monate - wenn dann genug Beiträge beisammen sind - eine neue Nummer, inzwischen sind es stolze 6 Ausgaben. Die Zeitung überzeugt nicht nur durch den Ansatz, daß "Betroffene" selbst Zeitung machen, sondern auch durch die Beiträge, in denen Wohnungslose über die Realität ihres Lebens berichten: vielschichtig, persönlich, engagiert, (selbst)-kritisch. Im April 1993 hatte ich Gelegenheit, Christian Mathies vom Redaktionsteam kennenzulernen, und nehme diesen Anlaß, um hier auf den Kölner Bankexpress aufmerksam zu machen, indem ich neben einigen anderen Hinweisen die vom Redaktionsteam erarbeitete Selbstdarstellung dokumentiere.
KöLNER BANKEXPRESS (Selbstdarstellung)
Im März 1992 gründeten einige Wohnungslose und Mitarbeiter der Benedikt - Labre - Hilfe e.V. den "Kölner Bankexpress", eine Zeitung von "Berbern" für "Berber", die hauptsächlich von betroffenen Wohnungslosen selbst gestaltet wird.Anlaß eine derartige Zeitung zu gründen, war, daß Wohnungslose kaum Möglichkeiten haben, auf ihre Situation und ihre persönlichen Probleme in der Öffentlichkeit aufmerksam zu machen, und ihre Vorstellungen und ihre Wünsche eines menschenwürdigen Daseins auszudrücken.
Der "Bankexpress" soll auch dazu dienen, auf Mißstände in der Sozial- und Wohnungspolitik, bei Behörden, Ordnungsdiensten und anderen Einrichtungen und Institutionen aufmerksam zu machen und eventuell eine Veränderung zu bewirken.
Die Zeitung bietet auch dem sogenannten "Normalbürger" die Möglichkeit, seine Einstellung gegenüber Obdachlosen einmal zu überdenken und seine wohnungslosen Mitbürger nicht länger ins gesellschaftliche Abseits zu stellen.
Die redaktionelle Mitarbeit Wohnungsloser an einer solchen Zeitung hilft außerdem, das Selbstwertgefühl und das Selbstbewußtsein der Betroffenen zu steigern und neue Perspektiven zu erlangen.
Mittlerweile erreicht der "Bankexpress" eine Auflage von 1.000 Stück und erscheint ca. alle zwei Monate.
Der Druck erfolgt im Beschäftigungsobjekt des Sozialdienst Katholischer Männer in Köln.
Verkauft wird die Zeitung größtenteils über Abonnements, in der Begegnungsstätte für Wohnungslose "OASE", in der Kontaktstelle des SKM am Hauptbahnhof, aber auch von Wohnungslosen selbst und an einigen Kiosken.
Der "Bankexpress" finanziert sich durch den Verkaufserlös und aus Spenden.
In Ausgabe Nr. 6, S. 31 außerdem ein Hinweis zur Mitarbeit:
STELLENMARKTWir sind ein junges, expandierendes Unternehmen der Obdachlosenbranche.
Zur Verstärkung unserer Außendienstmannschaft suchen wir zum sofortigen Eintritt:
- KEINE JOURNALISTEN
- KEINE REPORTERsondern einfach nur Berber/innen, die etwas über ihre Erlebnisse und Probleme schreiben wollen.
Wir erwarten keinen einwandfreien Leumund.
Gehaltsvorstellung: 0,00
Das Ergebnis Eurer Tätigkeit könnt Ihr in der Oase oder bei Rolf und Christian am Bahnhof (Köln) abgeben.
Wir freuen uns auf eine erfolgreiche Zusammenarbeit.
Die Redaktion ist während der Öffnungszeiten (Mo + Do von 9.30 - 11.30, Mi von 18.00 - 20.00) in der Oase erreichbar. Der Kölner Bankexpress kann aboniert werden zum Preis von DM 1,-- pro Exemplar plus Versandkosten. Die Rechnung erfolgt jährlich.
Redaktionsanschrift Kölner Bankexpress
Benedikt-Labre-Hilfe e.V.
Hochstadenstr. 33
50674 Köln
Tel: 0221 - 24 70 22.Bankverbindung
Benedikt-Labre-Hilfe e.V.
Stichwort: "Bankexpress"
Stadtsparkasse Köln
Kto.Nr. 165 020 31
BLZ 370 50 198
Nachbemerkung
Zur OASE und dem Bankexpress gäbe es noch mehr zu sagen. Das Redaktionsteam ist nur eine von mehreren Gruppen, es gibt ein angegliedertes Wohnprojekt, eine Videogruppe hat inzwischen ein eigenes sehenswertes Video zu Obdachlosigkeit aus Ihrer Sicht produziert, eine Theatergruppe ist in Aufbau. Das bemerkenswerte an diesem Treffpunkt für und von Obdachlosen, ehemaligen Obdachlosen und anderen Menschen ist, daß er fast gänzlich ohne sozialpädagogische "Betreuung" auskommt. Abgesehen von einem Zivildienstleistenden, der in das Team der OASE integriert ist, und einem Pfarrer, der das Team supervisierend (regelmäßig wöchentlich) begleitet, sind es im wesentlichen Wohnungslose oder ehemalige Wohnungslose, die die Arbeit und das Angebot leisten und auftretende Konflikte und Schwierigkeiten nach Möglichkeit selbst regeln. Nicht zuletzt der Erfolg des Bankexpress macht einen solchen Selbstorganisationsansatz plausibel und wirft die Frage auf, inwiefern diesem konkreten Ansatz Modellcharakter zukommt. Mit Sicherheit ist es lohnenswert zu prüfen, was die vorliegenden Erfahrungen für Berliner Verhältnisse bedeuten könnten.
Auch noch zu berichten wäre über den Namensgeber des Vereins, Benedikt Labre, der lange Jahre seines kurzen Lebens wohnungslos auf den Straßen lebte und von dem die Katholische Kirche hundert Jahre nach seinem Tod meinte erklären zu müssen, daß er ein Heiliger sei. Doch davon ein anderes Mal.
Stefan Schneider
aus: Schneider, Stefan: Der Kölner Bankexpress - eine etwas andere Zeitung. In: "Binfo" - Informationsdienst der Berliner Initiative gegen Wohnungsnot e.V./ BIN. Nr. 22 vom Oktober 1993. Berlin 1993, S. 18.