Ibscha Relief Chnumhotep II. (6. Year of Sesostris II) - Quelle: Wikipedia Schon im Altertum: Mitbestimmung ist das wirksamste Mittel gegen Armut /Wohltätigkeit und Almosen verschleiern tatsächliche Machtverhältnisse

Gesellschaften und Kulturen, in denen Wohltätigkeit und Armenfürsorge eine große Bedeutung haben, sind im Kern ungerecht und undemokratisch: Reichtum und Besitz befinden sich in Händen weniger, der großen Zahl der Armen und Ausgegrenzten sind Aufstiegschancen in der Regel verwehrt. Regelmäßige freiwillige Armengaben (in der Regel Nahrung und Bekleidung) - moralisch begründet - zementieren eher die bestehende Ungleichheit, als dass wirklich Not und Elend überwunden werden könnte.

Das sind die überraschenden Ergebnisse einer vergleichenden Untersuchung über die vorchristliche Antike von Hendrik Bolkestein, Professor für Alte Geschichte an der Universität Utrecht (Niederlande). Gegenüber gestellt werden die Kulturen Ägyptens und Israels mit denen Griechenlands und Roms. Dass in der frühen griechischen und römischen Kultur Wohltätigkeit und Armenfürsorge keine bedeutende Rolle spielen, dürfe nicht als Hinweis für tatsächlich unsoziale Verhältnisse gewertet werden, so der Autor. Im Gegenteil böten nur Gesellschaftsformen, in denen arme und reiche Bürger sich auf gleicher Augenhöhe begegnen, wirkliche Vorraussetzungen zur Überwindung von Armut. Bedingung hierfür aber ist, dass in demokratischen Prozessen (Wahlen, Bürgerversammlungen, Bürger- und Vetorechte) über Politik und über die jeweils auf Zeit Herrschenden abgestimmt werden kann - und dass auch die Verteilung von Grund und Boden der gesellschaftlichen Mitbestimmung unterworfen ist. Gerade die regelmäßige Neuordnung von Besitzverhältnissen sichert der armen Bevölkerung ein dauerhaftes Auskommen, etwa wenn landwirtschaftlich nutzbare Fläche zur Neuverteilung ansteht. Dies war ein wesentliches Element der demokratischen Kultur der frühen griechischen Stadtstaaten, die auch im frühen Rom übernommen wurde. "Brot und Spiele" ist ein Rudiment dieser Traditionen in späteren römischen Kaiserzeiten, als die Bürgerrechte den Armen längst beschnitten waren, ihre bloße Existenz aber immer noch Anlaß zu Besorgnissen gab.

Anders in der Tradition Ägyptens und Israels, wo eigens für Hungersnöte Kornkammern eingerichtet wurden. Hier war die Unterstützung von Armen und Hilfsbedürftigen in erster Linie moralisch verankert. Auch wenn insbesondere die Propheten in leidenschaftlichen Ausbrüchen Mitgefühl mit den Armen zeigen, "weiter als bis zu einem Appell an das Gewissen der Vermögenden und Machthaber haben sie es nicht gebracht; sie waren nur Verkünder sozialer Ethik; (...) den Versuch, die Unterdrückten zum Widerstand aufrufen und so ihrer Passivität ein Ende zu machen, haben sie nicht unternommen", stellt Bolkestein fest.

So kommt er denn zu dem Ergebnis: "Das Geben ohne die Erwartung einer Gegengabe erscheint unzweifelhaft eine edlere Tat, jedoch nur solange man jeden Fall für sich betrachtet, ausschließlich einen individuell-ethischen Maßstab anlegt und außerdem allein die Gesinnung des Gebers im Auge hat (...). Betrachtet man aber den Vorgang vom sozialethischen Standpunkt (...) und denkt man sich eine Gesellschaft, in der nicht eine bestimmte kleine Gruppe von vermögenden Gebern einer ebenso bestimmten Gruppe vermögensloser Empfänger gegenübersteht, so gewinnt dieses Problem ein anderes Gesicht. Dann scheint doch eine Gesellschaftsordnung den Vorzug zu verdienen, in der beinahe jeder Mensch in der Lage ist, gegebenenfalls als ,Wohltäter" seines Nächsten aufzutreten, und deshalb auch leichter die Rolle des Empfängers (ohne das sonst unvermeidliche Minderwertigkeitsgefühl) spielen wird, da er sich auch zu Gegendiensten imstande fühlt. (...) Nur in einer Gemeinschaft, in der die Idee der Gleichheit und das Prinzip der Gegenseitigkeit ein kräftiges Leben führten, konnte jene Begriffsbestimmung von Recht und Gerechtigkeit entstehen, die die Grundlagen der modernen Rechtsidee geworden und geblieben ist: Gerechtigkeit ist die Bereitschaft, einem jeden zu geben, was ihm zukommt." Insofern ist diese Studie ein wichtiger Beitrag zur gegenwärtigen Debatte um Verteilungsgerechtigkeit im modernen Wohlfahrtsstaat, über Sozialhilfe, Almosen und die Frage, mit welcher Perspektive Armen- und Sozialpolitik betrieben werden muß. Das Votum von Bolkestein aus historischer Sicht ist klar: Bürgerrechte und Mitbestimmung statt Almosen und Armenpflege. Und das in einer Zeit, in der die Regierenden schon mal testen, mit welchen Widerständen sie zu rechnen haben, wenn sie weitere Leistungen abbauen: "Es gibt kein Recht auf Faulheit!" Natürlich ist es kein wirkliches politisches Problem, Leistungskürzungen durchzusetzen und Menschen so in Billiglohnjobs und soziales Elend zu drängen - nur zu welchem Preis?

Die Lektüre dieses Buches ist zu empfehlen, weil es zum Nachdenken und Vergleichen anregt, mit drei Einschränkungen: Es wurde 1939 geschrieben (und vom Fachhochschulverlag Frankfurt/Main wieder aufgelegt) und spiegelt damit Stil, Wissensstand und auch die Schranken dieser Zeit, viele im Text eingestreute griechische und lateinische Begriffe behindern das Verständnis, und mit fast 70 Mark ist der Wälzer nicht gerade preiswert.

Stefan Schneider

Hendrik Bolkestein: Wohltätigkeit und Armenpflege im vorchristlichen Altertum. Fachhochschulverlag, Frankfurt/M. 2001 (Nachdruck der Erstausgabe,
Utrecht 1939) 492 Seiten, 68,- DM* (Bezug: Buchhandel oder Fachhochschulverlag, Kleiststraße 31, 60318 Frankfurt am Main, Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein.)

http://www.grueneliga-berlin.de/rabe_ralf/rabe_archiv_2001/08_09_2001/buergerrechte.html    

Abgedruckt im strassenzeitung - straz Nr. 12/2001.

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