Sonja Kemnitz & Stefan Schneider
randständig - abwegig - unbedacht
motz und Konsorten - ein Programm
Wir sind einfach mobil, Straßenmenschen - Obdachlose, Heimatlose, Sehn-Süchtige.
So gründeten wir unser Berliner Konsortium motz. Nicht als fünfte Obdachlosenzeitung Berlins, sondern als Bund/ Bündnis von Träumern und Engagierten. Weder mob noch haz, sondern das Beste von den beiden ersten "Pennerzeitungen", was wir erhalten und fortsetzen wollen.
Wo den mobbern die Kraft ausging, fehlte der haz der entscheidende Wille. Den treuen Konsorten beider Projekte bleibt die Kraft und die Entschlossenheit für ein gemeinschaftliches Sozialprojekt. Sie fühlen sich den Erwartungen der Verkäufer verpflichtet, wissend, wie schwer diese Erwartungen zu erfüllen sind.
Gefunden haben sich jene, die mit Obdachlosen leben und arbeiten, selbst süchtig waren oder gefährdet sind, sich heimatlos fühlen und doch immer wieder Heimat suchen. Sucht kommt eben von Suche und süchtig wird, wer die Suche nicht aufgeben kann. Ob Verdrängung von Problemen oder Suche nach Gerechtigkeit als Ursache, wo ist der Unterschied? Wir machen keine Geschäfte mit der Schwäche und geben nicht vor, etwas zu sein, was wir nicht sind.
Alles Positive zweier Redaktionen aus den letzten Monaten bringen wir zusammen und lassen zugleich viele Fragen offen. Aber wir beenden eine blockierende und kräftezehrende Konkurrenz, zumindest teilweise.
In unserem redaktionellen Selbstverständnis wollen wir die Sicht derer von Unten, der Ausgegrenzten drucken und manchem Ängstlichen helfen, seine Stimme zu erheben. Insbesondere Obdachlose sind unsere wichtigsten Korrespondenten, aber auch jene, die sich in der gefahrenvollen Welt der Armen und Heimatlosen bewegen. Wir sind ein Armenjournal, reich an Ideen für einen lebendigen, anspruchsvollen und kritischen Journalismus sowie hintergründige Informationen. Wir wollen etwas bewegen und werden auch Bewegung einfordern - nicht nur bei den Politikern. Wir schauen aus der SZENE heraus nach draußen, nicht von draußen auf die Szene drauf.
Am Rand stehend oder an den Rand gedrängt - wir sind RANDSTäNDIGE. Die Wege, die wir gehen, sind nicht etabliert oder vermögensträchtig - wir sind ABWEGIGE. Wir reden nicht UNBEDACHT, sondern als Unbedachte für mehr als nur ein Dach über'm Kopf.
Um es klar zu sagen: Wir wollen Überschüsse erwirtschaften, denn Selbsthilfe geht eben nicht ohne Geld. Was wir einnehmen, fließt in die öffentliche Redaktionsstube Boxhagener Straße oder in unser Wohnprojekt in der Kleinen Hamburger Straße. Wir werden das offenlegen. Wir wollen von diesem Projekt profitieren, indem wir anbieten: Arbeit und Möglichkeiten für Selbstbewußtsein und Selbstwertgefühl. Wer sich selbst noch nicht verloren gegeben hat, wird bei uns eine Chance haben - auch wenn einer motzt.
Sonja Kemnitz & Stefan Schneider
In: motz & Co. randständig - abwegig - unbedacht. Ausgabe 0/95 vom 19.05.1995. Berlin 1995, S. 3.