3. Lesung oder: Wie ein Antrag mit Empfehlung zur Ablehnung doch noch verabschiedet wurde
Guten Tag,
demokratische Legitimation von Gremien ist eine wichtige Sache. Nun hätten in einigen Betroffenenvertretungen in den Pankower Sanierungsgebieten schon lange eine Neuwahl (nach 3 Jahren laut Ausführungsvorschrift) erfolgen sollen, das aber ist nicht passiert. Der Ausschuss für Stadtentwicklung hat den Antrag zur Neuwahl von Betroffenenvertretungen beraten, dann aber zunächst abgeleht. Aus der Begründung der Ablehnung:
Der Ausschuss hat die Neuwahl der Betroffenenvertretung in zwei Sitzungen ausführlich diskutiert. Das Thema wurde außerdem im Sanierungsbeirat am 03.05.07 umfassen beraten. Dabei hat der Sanierungsbeirat sich sehr skeptisch zu Neuwahlen geäußert. Dieser Position schloss sich der Ausschuss mehrheitlich an.
Die positiven Effekte (Aufstockung des Personalsbestandes der Betroffenenvertretung, bessere Verankerung in der Bevölkerung) wurden nicht mit den Wahlen in Verbindung gebracht. Die möglicher Weise erhöhte Legitimation wurde zwar begrüßt, angesichts der sich als offene Gremien verstehenden Betroffenenvertretungen und den alsbald auslaufenden Sanierungsgebieten ständen diese aber in keinem guten Verhältnis zum Aufwand. Neue Leute sind angesichts der kurzen Zeit nicht zu gewinnen. Die Personaldecke der Betroffenenvertretungen würde sich demnach kaum verändern. Zu befürchten ist daher das Gegenteil: aktive Leute, die mit ihrer Erfahrung in der Endphase der Sanierungsgebiete benötigt werden, würden die Gelegenheit nutzen und ihre Aktivitäten beenden. Negative Effekte, die nicht gewollt sein können, wären die Folge. Letztlich wurden auch noch der organisatorische Aufwand (und wer diesen zu betreiben hat) sowie die hohen Kosten im Ausschuss thematisiert, welche die Neuwahlen ebenfalls in Frage stellen.
Auf der 5. Tagung der BVV am 13.06.2007 habe ich mich nochmal dafür eingesetzt, dass hier nochmals darüber diskutiert wird und eine Zustimmung zustande kommt. In meinem Redebeitrag in der BVV habe ich argumentiert, es würde mit Blick auf die nächsten Bezirkswahlen einen Aufschrei der Empörung geben, wenn jemand auch nur wagen würde, ein Vezicht auf die Wahlen vorzuschlagen mit den Argumenten:
- die Kosten seien zu hoch
- die Wahlvorstände würden vielleicht nicht erscheinen
- die Wahlbeteiligung könnte rückgängig sein,
- erfahrene Kommunalpolitiker könnten aufhören
- die Bürgerbeteiligung wäre ohnehin durch die Geschäftsordnung der BVV und eine Reihe anderer Regelungen gewährleistet.
Ich habe auch gesagt, dass es bei mir immer Mißtrauen verursacht, wenn in einer Demokratie gesagt wird, dass Wahlen nicht erforderlich sein. Eine Zustimmung zu dem Anliegen, Neuwahl zu befördern in den Betroffenenvertretungen der Sanierungsgebiete war dann möglich durch eine abgeschwächte Form des Antrags:
a) Das Bezirksamt soll eine Neuwahl 'unterstützen' statt 'organisieren', wie es ursprünglich hieß, und:
b) Wir haben auf eine Zeitnennung verzichtet, die Formulierung 'bis zur Sommerpause' wurde gestrichen, weil dies auch organisatorisch kaum zu schaffen gewesen wäre.
Wie auch immer: Die BVV hat dann mit Mehrheit beschlossen:
Neuwahlen von Betroffenenvertretungen
Das Bezirksamt wird beauftragt, in den Sanierungsgebieten Kollwitzplatz, Helmholtzplatz, Teutoburger Platz, Winsstraße und Bötzowstraße unter Einbeziehung der dem Bezirksamt und dem Sanierungsbeauftragten S.T.E.R.N. bekannten Akteure, wie Vereine und Initiativen, sowie den Betroffenenvertretungen Neuwahlen zu den Betroffenenvertretungen zu unterstützen.
Begründung (diese wird nicht abgestimmt):
Die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung hat in der Neufassung der „Leitsätze zur Stadter-
neuerung für die Sanierungsgebiete in Berlin“ vom 01.02.2005 unter Punkt 4 explizit darauf hin-
gewiesen dass, „ In den Sanierungsgebieten (...) Betroffenenvertretungen zu bilden“ sind. „ Bür-
gerschaftliches Engagement soll hinsichtlich der Beteiligung an Entscheidungen und der Über-
nahme lokaler Verantwortung motiviert und gefördert werden.“
Mit Blick auf die anstehenden Investitionen in die Erneuerung der öffentlichen Infrastruktur und
dem damit verbundenen öffentlichen Interesse, und mit Blick auf die sukzessive Entlassung der
Sanierungsgebiete in den kommenden Jahren, sind Neuwahlen in den Sanierungsgebieten
dringend geboten. Die Beteiligung und die Mitwirkung der alt-eingesessenen Bevölkerung sowie
der neu hinzugezogenen Bevölkerung erhöht die persönliche Identifikation mit Ihrem Wohnum-
feld und trägt nachhaltig zum Erfolg und zur Akzeptanz des Erneuerungsprozesses bei.
Entsprechend der Drucksache Nr. V-1292/06 hat das Bezirksamt Pankow mit dem Schlussbe-
richt vom 27.09.2006 die Ausführungsvorschriften (AV) des Landes Berlin zum Besonderen
Städtebaurecht für den Bezirk Pankow zur Anwendung gebracht [§§ 136-171 des Baugesetzbu-
ches (BauGB) – Städtebauliche Sanierungsmaßnahmen (AV BauGB – San) und – Städtebauli-
chen Entwicklungsmaßnahmen; Abschnitt: Beteiligung und Mitwirkung der Betroffenen]. In die-
ser AV ist u. a. geregelt, dass im Abstand von 3 Jahren die Betroffenenvertretungen neu zu
wählen sind.
Entsprechend der Antwort des Bezirksamtes auf die kleine Anfrage KA-0684/V haben über
einen Zeitraum von 3 Jahren hinweg keine Neuwahlen zu denen im Antrag genannten Betroffe-
nenvertretungen stattgefunden. Aufgrund des großen zeitlichen Abstands zwischen den Neu-
wahlen verfügen die derzeit gewählten Betroffenenvertretungen vermutlich nicht über die Kapa-
zitäten, selbstständig Wahlen zu organisieren und durchzuführen. Es bedarf deshalb der Unter-
stützung durch das Bezirksamt. Um den dem BauGB und der AV entsprechenden Mitwirkungs-
möglichkeiten der Sanierungsbetroffenen Rechnung zu tragen, möge das Bezirksamt in die
Pflicht genommen werden, Neuwahlen zu organisieren.
Nun bleibt abzuwarten, inwieweit das Bezirksamt aktiv wird, um tatsächlich Neuwahlen anzuregen.
Berlin, 29.06.2007
stefan schneider