Abstract für den Kongress: Figurationen der Wohnungsnot, Kontinuität und Wandel soziale Praktiken, Sinnzusammenhänge und Strukturen am 29./30. September 2018 an der TH Nürnberg
Die Worte, mit denen wohnungslose Menschen sich selbst bezeichnen, sind nicht nur Räume zur Herausbildung einer individuellen und gelegentlich gemeinsamen Identität und Abgrenzung (auch einer Binnendifferenzierung), sie sind auch Schnittstellen in der Kommunikation mit anderen. Dabei ist häufig nicht eindeutig feststellbar, ob und wie im Zuge der Etablierung von Bezeichnungen Begriffe selbst gefunden oder adaptiert werden, mit anderen Worten, Begriffe bezeichnen auch einen Verhandlungs,- Interpretations und Aneignungsraum. Eine dritte Dimension ist die mit dem Begriff verbundene, im Grunde positiv oder negativ verschlagwortete Programmatik der Selbstbezeichnung, die durchaus handlungsleitend oder -orientierend (selbst)wirksam werden kann.
Wir haben es also tun mit einem komplexen politischen, sozialen und psychisch wirksamen Bedeutungs-, Interaktionsraum und Handlungsraum, der in Begriffen wie Nichtseßhafte, Clochards, Kunden, Berber, Vagabunden, Fahrende, Landstreicher, Stadtstreicher, Stadtratte, Penner, Obdachlose, Betroffene, Selbstvertreter usw. mitschwingt.
In diesem Beitrag wird versucht, einige zentrale Linien der Begriffsgeschichte aufzugreifen und kritisch zu beleuchten. Einen Schwerpunkt bildet dabei die Zeit ab 1980 bis heute. Die Hinwendung kritischer Sozialarbeiter zu den „Berbern“ in den frühen 80er Jahren ging einher mit der Bezugnahme auf die wieder entdeckte Bruderschaft der Vagabunden in den 20er Jahren des vergangenen Jahrhunderts, aber letztlich etablierte sich Mitte der 90er Jahre der Begriff der „Betroffenen“. Vor dem Hintergrund neuerer Vorhaben der Selbstorganisation ist aber auch zu fragen, ob und inwieweit die Figur des „Betroffenen“ in eine Sackgasse geführt hat und eine Ablösung durch das Projekt der Selbstvertretung und Selbstermächtigung im Raum steht.
Literatur (Auswahl)
- Ayaß, Wolfgang: "Vagabunden, Wanderer, Obdachlose und Nichtsesshafte": eine kleine Begriffsgeschichte der Hilfe für Wohnungslose, in: Archiv für Wissenschaft und Praxis der sozialen Arbeit 44 (2013), S. 90–102. Heins, Rüdiger: Von Berbern und Stadtratten. Lamuv, Göttingen 1998.
- Kiebel, Hannes: „Na, du alter Berber“ - Beschreibung einer Spurensuche zum Begriff „Berber“. In: wohnungslos 3/95. Bielefeld 1995, S. 102–105.
- Leontjew, Alexei Nikolajewitsch: Tätigkeit, Bewußtsein, Persönlichkeit. Köln 1982
- Schneider, Stefan: Zwischen Platte und Plenum – auf dem Weg zu einer Selbstvertretung Vereinter Wohnungsloser. Veröffentlicht in: Wohnungslos. Aktuelles aus Theorie und Praxis zur Armut und Wohnungslosigkeit. Berlin 2017, Ausgabe 4. Quartal 2017, S. 117-121.
- Trappmann, Klaus (Hrsg.): Landstrasse, Kunden, Vagabunden. Gregor Gogs Liga der Heimatlosen. Gerhardt Verlag, Berlin 1980.
Abbildung: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Sukkah_of_the_Signs.JPG:Sukkah_of_the_Signs.JPG
Foto: Matthew McDermott
"Sukkah of the Signs" BY Ronald Rael and Virginia San Fratello, Oakland. It is traditional to eat and sleep in the sukkah for one week each fall, as a way of practicing a kind of ceremonial homelessness and empathizing with those who don’t have a roof over their heads. As a political statement, and as a way of transferring the prize money to those in need, Sukkah of the Signs is clad with cardboard signs purchased from destitute individuals across the country.