Stefan Schneider

Erste Tagung der Wohnungslosenzeitungen in Loccum vom 4. - 6. Oktober 95

Loccum, die erste gemeinsame Tagung der deutschen Straßenzeitungen vom 4. - 6. Oktober 95, veranstaltet von der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe (Werena Rosenke) in Kooperation mit der Evangelischen Akademie Loccum (Dr. Christoph Hüttig) - mehr als 50 TeilnehmerInnen vertraten über 20 Wohnungslosenzeitungen in ganz Deutschland.

Durch den Ausschluß von Öffentlichkeit war es möglich, intern zu diskutieren und die vielfältigen Probleme der alltäglichen Arbeit (im Aufbau) solcher Projekte auf den Tisch zu bringen, angefangen mit der schwankenden Höhe der Auflage, über Fragen der Redaktion, des Vertriebs und des Verkaufs, bis hin zu typischen Startschwierigkeiten und rechtlicher Absicherung. Kleinere Projekte wie die Braunschweiger Parkbank bestehen aus 8 Leuten - Redaktion, Vertrieb und Verkäufer in Personalunion - bei einer Auflage von 1.500 Stück pro Monat. Bei großen Projekten wie motz & Co in Berlin dagegen sind über 25 Personen irgendwie an Produktion und Vertrieb der Ausgabe beteiligt (VerkäuferInnen noch nichteinmal mitgerechnet), und das bei einer Auflage von 30.000 Stück und 14tägigem Erscheinen. Obwohl es alles Selbsthilfeprojekte sind, lastet großen Projekten - in der Regel zu Unrecht - der Ruf professioneller Komerzunternehmen an, weil eben in großen Städten viele Zeitungen verkauft werden (können), die Zeitung bunt, die Gestaltung professionell ist, Anzeigen drin zu finden sind und eben viele MitarbeiterInnen benötigt werden. Oftmals zeigten sich zwischen den unterschiedlichen Projekten Vorurteile, die sich aber schnell ausräumen ließen, wenn in persönlichen Gesprächen Projektidee und Organisationsstruktur offengelegt wurden.

Wichtig war, KollegInnen kennnenzulernen, über die Projekte (selbst-)kritisch zu diskutieren und zu den kompetenten Experten Kontakte zu knüpfen. Zeitungmachen bringt ein hohes Maß an Professionalisierung, Spezialisierung und Arbeitsteilung hervor, was insbesondere bei großen Projekten wie Hannover, Hamburg, München und Düsseldorf sichtbar wird. Der Vergleich bestätigte zum einen bisherigen Erfahrungen und Entscheidungen (klare Trennung der Arbeitsbereiche und Zuständigkeiten, parallele Entwicklung eines Sozialprojekts als zusätzliches Angebot für unsere VerkäuferInnen usw.), und brachte zugleich wichtige neue Anregungen, etwa für den Bereich der Verwaltung, Arbeiten, die in Umfang und Bedeutung nicht zu unterschätzen sind.

Ein großes und emotional diskutiertes Thema war das der Konkurrrenz der Zeitungen, insbesondere wenn sie in Städten ausgetragen wird, wo bereits Zeitungen existieren oder im Aufbau sind. Die Entrüstung war groß und es gab Meinungen, sich in Erklärungen dagegen auszusprechen. Marktwirtschaft (und Wohnungslosenzeitungen sind ohne Zweifel ein Teil davon) ist ohne seine negativen Seiten (und dazu zählt auch Konkurrenz) eben nicht zu haben, und niemand kann daran gehindert werden, sich mit seinem Produkt etablieren zu wollen, wo, wie und wann er/sie will. Wettbewerb oder auch Konkurrenz muß fair ausgetragen werden (in diesem Sinne lautete dann auch die verabschiedete Erklärung), dann ist sie produktiv und deckt schonungslos auch die eigenen Schwächen in Projektidee und Konzeption auf. Zur Idee der Wohnungslosenzeitungen gehört eben auch die Möglichkeit des Scheiterns, des Bankrotts. Nur im günstigen Fall können Wohn- und Sozialprojekte finanziert werden, vor allem dann, wenn ein Projekt sich aus eigener Kraft finanzieren will und/oder muß.

Eine weitere Frage war die der Kooperation und Vernetzung. Auch hier ging es zunächst um Allgemeinplätze, philosophische Diskurse und Absichtserklärungen im Stile von "man könnte, müßte, sollte..." Konkret wurde ein gegenseitiger Austausch von Artikeln und Beiträgen vereinbart, etwas, was in Ansätzen ohnehin schon praktiziert wird. Dies gilt es weiter auszubauen, auch wenn es zusätzliche Arbeit bedeutet.

Zum Schluß war es einhellige Auffassung, die Tagung in einem Jahr fortzuführen. Mit einigen Vorbehalten könnte Berlin ein denkbarer Tagungsort sein, allerdings sind dazu bis zum kommenden Frühjahr einige Dinge zu klären, angefangen von einer vernünftigen Finanzierung bis hin zu personellen Kapazitäten für Vorbereitung und Durchführung. Einen Bedarf gibt es wohl - genug Fragen sind offengeblieben...

Stefan Schneider


In: motz & Co ***

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