Polska Eye by DodoOder: Warum eine fast fertige Arbeit auch fertig werden kann.

Die Stimme am Telefon klang einigermaßen aufgeregt. Ich verstand nur Jeannette Lander, dass es um einen Roman ging und dass die Abgabe in 10 Tagen erfolgen müsse. Die junge Frau war etwas nervös und brauchte Unterstützung. Es gäbe vor allem Probleme mit den Zitaten, und ganz fertig sei die Arbeit auch noch nicht. Ein schneller Blick ins Internet zeigte, dass Jeannette Lander noch lebte und in Brandenburg wohnte und einen jüdischen Hintergrund hatte. Ich ließ mir die aktuelle Fassung der Arbeit schicken und stellte fest, dass die Arbeit Potenzial hatte und mich auch interessiert. Wenn mich eine Sache interessiert, dann steige ich auch voll darauf ein. Es ging in dem Roman um drei Töchter, die überall in der Weltgeschichte verteilt sich auf die Suche nach ihrem Vater machten, der 1941 nach Polen zurückkehrte. Gegenstand der Arbeit war das Polenbild im Roman.

Den Text hatte schon jemand Korrektur gelesen. Die Hauptprobleme waren, dass die Korrektorin die Fülle an Wikipedia - Zitaten bemängelte (ob Wikipedia tatsächlich eine gute Quelle für wissenschaftliches Arbeiten ist, darüber gehen die Meinungen auseinander. Ich meine, Wikipedia taugt letztlich nur zur Orientierung, aber das ist eine Frage) und vor allem die Aufforderung, in der Arbeit Zitate zu belegen. Eine kurze Prüfung meinerseits ergab, dass hier tatsächlich Zitate eins zu eins aus dem Internet übernommen worden sind.

In vier Tagen konzentrierter Arbeit habe ich die Studentin dabei unterstützt, diese Fehler abzubauen. Wir haben uns in Berlin getroffen und gemeinsam an einem Tisch Stück für Stück die Probleme gelöst.

Zuerst haben wir die nicht gekennzeichneten Zitate rausgeworfen und ich habe die junge Frau dabei unterstützt, in eigenen Worten zu formulieren. Stunde um Stunde gelang dies besser. Denn dass sie sich mit dem Material auseinander gesetzt hatte, war eindeutig zu erkennen. Dann haben wir passende Textstellen herausgesucht und Zitate eingefügt und alles ordentlich belegt.

In einem zweiten Schritt habe ich die Studierende ermutigt, im Roman Polenbilder herauszuarbeiten und zu charakterisieren. Für die Auswertung habe ich vorgeschlagen, eine Matrix zu bilden mit den Dimensionen objektiv – subjektiv, positiv – negativ. Durch das einordnen der verschiedenen Fragmente ergab sich so ein Bild, das wir zusammen besprachen. Ich ermutigte die Studierende, die Ergebnisse niederzuschreiben und zu bewerten.

Damit war die Arbeit im Prinzip getan. Das ist zwar eine etwas verkürzte Darstellung des Gesamtprozesses, und aufgrund des hohen Zeitdrucks war es sicher nicht möglich, so in die Tiefe zu gehen und auch konsequent alle Texte nochmals durchzusehen und zur Auswertung heranzuziehen, dass man von einer herausragenden Arbeit sprechen könnte. Aber innerhalb von vier Arbeitstagen ist eine 40seitige Arbeit fertig geworden, in der stringent argumentiert wird, die ein Ergebnis hervorbringt und die vor allem den Regeln für seriöses wissenschaftliches Arbeiten voll entspricht.

Und, was das wichtigste ist: Die junge Frau hat die Arbeit selbst erstellt, mit eigenen Worten formuliert und kann fristgerecht ihre Arbeit einreichen und so ihr Studium beenden. Eine mündliche Prüfung sollte nur noch eine Formsache sein, zumal die Studierende ja weiß, was sie gemacht hat.

Mir selbst hat diese Arbeit großen Spaß gemacht und gibt ein einigermaßen gutes Bild davon, wie eine Textassistenz aussehen kann.

Hannover, 07.09.2011

Dr. Stefan Schneider

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