Gut sein? Geht nicht. In einer der haltbarsten Parabeln aus Bertholt Brechts Ideen- und Stücke- Werkstatt ist die Frage danach, ob denn für Menschheit und Welt wohl noch Hoffnung besteht auf Güte und Glück, sehr verbindlich beantwortet: Die Verhältnisse, sie sind nicht so; nicht so jedenfalls, dass noch Aussicht bestünde in der wirklichen Welt für einen Menschen, der dem ureigensten Menschentrieb folgt und nur gut sein will, und ein bisschen glücklich auch - aber nicht sehr viel mehr. Damit das Gute nämlich gut sein und gut bleiben kann, das ist zu lernen in Sezuan, wird es stets das Böse brauchen.
Brecht hat diese einfache Fabel, dieses Lehrstück ohne Leere, wie früher schon die richtigen Lehrstücke in ein chinesisches Märchen verpackt. Weil weltweit die Zweifel daran wachsen, dass diese Welt die Beste aller möglichen sei und der Wille der Götter weise, begeben sich drei dieser himmlischen Geister unter das irdische Fußvolk, um für die Welt, wie sie (von ihnen gemacht) nun mal ist, eine Rechtfertigung zu finden, einen Grund: einen guten Menschen, wenigstens einen. Nach langer, vergeblicher Reise landen sie, schon stark an sich selber zweifelnd, in Sezuan - und vom ersten Menschen, den sie treffen, wird ihnen eine gewisse Shen Te als „wirklich gut“ empfohlen: Shen Te, eine Hure. Die hat nicht viel, aber sie teilt das wenige mit den Göttern auf Durchreise. Die Götter schenken ihr dafür ein wenig Besitz - und mit diesem Besitz beginnt das „Experiment Güte“, das beweisen soll, dass die Welt mit gutem Willen noch zu meistern ist.
Es wäre schnell am Ende, wenn nicht Shen Te in letzter Not eine Maske für sich selbst erfände: den Vetter Shui Ta, der „böse“ ist - das heißt: er funktioniert, wie es verlangt wird von ihm im kapitalistischen System, in dem er lebt; und nicht in der Ordnung der Götter. Der Kampf zwischen Moral und Überleben zerreißt Sezuan, die Welt, den Menschen, diesen Menschen - in das Mädchen Shen Te und den Jungen Shui Ta. Der Rest ist Scheitern.
Aber auch: Der Vorhang zu, und alle Fragen offen. RATTEN 07, Brecht-erfahren seit dem „Brotladen“, erzählen die Fabel aus der Perspektive eines Alltags, in dem verkannte Götter auch in Suppenküchen oder Wagenburgen anzutreffen sind - und dort nach letzter Güte suchen, fröhlich und ohne allzu viel Hoffnung.
Flo Teipen ist Shen Te und Shui Ta, Manne, Heinz und Anne-Ly sind die Götter auf Reisen im 18köpfigen Ensemble dieser neuen Brecht-Erkundung aus der RATTEN-Perspektive.
Regie: Gunter Seidler
Bühne: Bernd Schneider
Kostüm: Tula Garcia de Leite-Perry
Premiere am 17. Juli 2008 um 20:00 Uhr im Theaterforum Kreuzberg in der Eisenbahnstr. 21
(Text & Foto: Presseankündigung)