In den Jahren, in denen ich mehr oder weniger Single war, habe ich mich auf der einen oder anderen Single-Börse herum getrieben, eher weniger erfolgreich. Ein Vergleichsportal wie singlebörse.de zum Thema Singlebörsen, Partnerbörsen, Partnervermittlungen etc. hätte mir sicher damals helfen können, mich besser zurecht zu finden. Auch Ratgeber oder Artikel, die Hilfe, Orientierung sowie praktische Tipps geben, haben damals gefehlt. Oder ganz einfach Erfahrungsberichte.
Ich jedenfalls war damals recht frustriert, wenn keine Antwort auf meine tollen Anschreiben kam oder das Gespräch einfach einfror und nicht weiter ging oder weil das Profil plötzlich gelöscht war. Mein Gott, dachte ich, wollen die vielen tollen Frauen nun einen treffen oder nicht? Eines Tages kam ich auf die Idee, mir das mal aus der Perspektive einer Frau ansehen zu wollen.
Ich legte ein Profil an, besorgte mir aus dem Internet ein Foto einer großen, schlanken, blonden, langbeinigen Frau, die entspannt auf einer Treppe lümmelte und für jeden Mann zwischen 20 und 60 halbwegs attraktiv wirken könnte. Ich war 43 Jahre alt, keine Kinder, 172cm groß, Auslandskorrespondentin beim Radio und hatte Hobbys: Konzerte besuchen und Motorrad fahren. Mein Name war Lizzy78 und in meiner Selbstbeschreibung notierte ich:
„3 Fragen nur:
1. Hast Du eine eigene Meinung?
2. Kannst Du beim Saufen mithalten?
3. Bist Du gut im Bett?“
Das Profil war keine 20 Minuten online, schon wurde ich – also Lizzy78 - von Anfragen überschwemmt: Hallo, Hi! Tachjen, Lizzy! Wie geht’s? Gib mal Deine Nummer! Wollen wir essen gehen? Was sucht so eine Frau wie Du hier? Sollen wir uns mal treffen? Bla Bla Bla Bla Bla Bla. Dicke, Dünne, Kleine, Große, Hässliche, Schmierige, Smarte, Bärte, Glatzen, Zahnlücken, Pickel, Profile ohne Foto, mit Sonnenbrille, halbnackt, nackt, Pimmel, Säcke, Bäuche, Motorräder, Yachten, Autos, Häuser, Hunde, Pferde, Biergläser, Schnapsflaschen, Bierfässer, Gärten, Schrankwände, Gardinen, Gartenzwerge, Goldkettchen … Es war einfach alles dabei. Ein Panoptikum optischer Grausamkeiten, mehr oder weniger.
Ich antwortete einfach allen. Ich sei gerade von einem Arbeitseinsatz in England nach Hause gekommen, wolle mich noch ein bisschen frisch machen und dann heute abend noch ein paar Wodka kippen. Ob sie nicht Lust hätten, heute abend in den Blaumilchkanal zu kommen, das wäre meine Stammkneipe gleich um die Ecke, um mir ein paar Gläser Wodka auszugeben.
Natürlich wollten sie und schrieb nur: Dann bis gleich! Den Blaumilchkanal kannte ich gar nicht, war da nie drin, nur vom Vorbeifahren mit dem Fahrrad. Aber ich fand den Namen cool. Und so sind an diesem Abend bestimmt 30 Männer oder mehr da einmarschiert und haben sich nach mir umgeguckt. Naja, vielleicht waren es 5 oder 10, die sich umgesehen haben.
„Wo bist Du denn?“ „Bist Du schon da?“ „Ich sehe Dich gar nicht!“ - Nachrichten wie diese gingen jetzt vermehrt ein. Na guck mal, links an der Theke! Guck mal, ich habe gerade einen Vodka bestellt – und so weiter. Bald gingen mir die Ausreden aus. Einer nach dem anderen muß hereingekommen, sich umgesehen, nach mir gefragt haben. Und die, die schon da waren und auf mich warteten, mußten bald zur Kenntnis nehmen, dass ein böses Spiel mit ihnen getrieben wurde.
Nachts gegen ein Uhr brach ich das Spiel ab und löschte das Profil von Lizzy78. Ich hatte genug Bier getrunken, war seit 10 Stunden ununterbrochen an den Tasten und habe viel gelernt darüber, wie sich Männer in Dating Portalen verhalten.
Die wenigen Menschen, denen ich die Geschichte erzählt habe, fragten mich dann immer, warum ich nicht in der Kneipe gewesen und die Männer beobachtet habe. Aber irgendwie ging es mir darum nicht. Ich wollte irgendwie nur Genugtuung dafür haben, dass ich fast nie eine Antwort einer Frau erhalten habe, die ich angeschrieben hatte. Jetzt hatte ich eine Ahnung, warum.
Eine zweite Untersuchung habe ich später dann doch noch durchgeführt. Ich besorgte mir im Internet ein Foto von George Clooney, nannte mich Roger72 und war Geschäftsführer einer Company, die weltweit Immobilienprojekte entwickelt, hing gerade in Buenos Aires herum und wollte auf dem Weg zum nächsten Auftrag in New York City noch ein paar Tage Urlaub in der Karibik machen, weil es sich nicht lohnte, für 3 Tage nach Hause zu fliegen.
Aber das ist eine andere Geschichte …. zum Thema Dating- und Single-Portale.
Hannover, 27.02.2020
Stefan
Abbildungen
Foto oben: Urheber: Roy Lichtenstein, Kiss II (1962), Quelle: Wikipedia https://en.wikipedia.org/wiki/File:Kiss_II.JPG:Kiss_II.JPG
Foto mitte: Fotograf: Thurn, Joachim F. (Bundesarchiv) (1991), Quelle: WikiCommons: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Bundesarchiv_B_145_Bild-F088809-0038,_Berlin,_East_Side_Gallery.jpg:Bundesarchiv_B_145_Bild-F088809-0038,_Berlin,_East_Side_Gallery.jpg Bei dem Foto handelt es sich um das Grafitti von Dmitri Wladimirowitsch Wrubel, 1990: Mein Gott, hilf mir, diese tödliche Liebe zu überleben, der den Sozialistischen Bruderkuss zwischen Leonid Breschnew und Erich Honecker künstlerisch verarbeitet.
Foto unten: Fotograf: Victor Jorgensen, , Quelle: Wikipedia https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/8/87/Kissing_the_War_Goodbye.jpg. Die fotografierte Frau ist aller wahrscheinlichkeit nach Greta Zimmer Friedmann.
https://de.wikipedia.org/wiki/Mein_Gott,_hilf_mir,_diese_t%C3%B6dliche_Liebe_zu_%C3%BCberleben