[Rekonstruktion] Meine Zähne sind braun, da beißt die Maus keinen Faden ab. Auch die Ursachen sind kein Geheimnis. Die Aufforderungen an mich, doch regelmäßig die Zähne zu putzen waren eher halbherzig, und lange Zeit hielt ich Zähneputzen auch für uncool. Hinzu kamen 175.000 gerauchte Zigaretten – täglich 20 Stück über einen Zeitraum von gut fünfundzwanzig Jahren. Wenn schon die Fingerspitzen vom Rauchen ständig braun waren, dann auch die Zähne. Etwa ab dem Jahr 2000 begann ich mein Leben aufzuräumen, die Zähne waren ab dem Jahr 2003 an der Reihe und ich erinnere ich noch, dass ich über ein Jahr lang mehr oder weniger regelmäßig bei meiner Zahnärztin war. Stück für Stück haben wir alle Baustellen abgearbeitet und es hat auch nicht wenig gekostet. Zum Glück ist meine Zahnärztin Dr. Marchlewitz in der Kastanienallee eine hervorragende, akribische und akkurat arbeitende Handwerkerin – wenn sie etwas repariert, hält es auch. Dann haben wir auch noch die Lücke im Unterkiefer geschlossen. Dazu war ich fast ein Jahr lang beim Kieferorthopäden Dr. Subklew, einem Experte mit sehr viel Erfahrung. Als Ergebnis dieser Behandlung ist die Lücke jetzt vollständig geschlossen und hinter den Zähnen ist ein kleiner Draht verklebt, der alles zusammen hält. Jetzt habe ich ein sehr schönes, wenn auch leicht bräunliches Gebiss, auf das ich zu Recht stolz sein kann.
[Report] Neulich bei einer Intensivzahnpflege, zu der ich eingeladen war, wurde ich dann aufmerksam auf eine neue Generation von elektrischen Zahnbürsten. Die Philips Sonicare DiamondClean Wiederaufladbare Schallzahnbürste, so wurde mir gesagt, sei eine, die mit Schall ganz besondere Reinigungsergebnisse erzielen könnte. Also bestellte ich mir diese und nach einigem Hin- und Her wurde mir eine Lieferung auch zugesagt. Für die Größe einer Zahnbürste kam ein doch erstaunlich großes Päckchen an. Die eigentliche Putzeinheit ist ein weißer Stab, auf den ein Bürstenaufsatz aufgesetzt wird. Durch Knopfdruck sind 5 Einstellungen möglich: Clean, White, Polish, Gum care und Sensitive. Ich war erstmal überrascht, wie klein der Bürstenkopf ist – deutlich kleiner als bei üblichen Zahnbürsten. Als ich Zahnpasta auftrug und die Zahnbürste einschaltete, flog die Pasta aufgrund der Vibrationen erstmal in das Spülbecken. Beim dritten Versuch kapierte ich, die Zahnbürste erst dann anzuschalten, nachdem ich den Bürstenkopf schon an den Zähnen angesetzt habe. Das Vibrieren ist erstmal gewöhnungsbedürftig. Dennoch hatte ich den Eindruck, dass eine ganz andere Reinigungsintensität erreicht wird. Ein etwas irritierendes Gefühl entsteht, wenn das vibrierende Plastik Zähne oder Knochen berührt. Die Maschine vibriert so ungefähr 2 Minuten, was für mich ziemlich gewöhnungsbedürftig war. Aber das ist nicht schlimm. Es gibt 3 sehr kurze Unterbrechungen. In der Gebrauchsanleitung steht, dass das daran erinnern soll, die Seite zu wechseln: Oben links, oben rechts, unten links, unten rechts. Dann gibt es noch eine Ladestation, und dazu ein passendes Glas. Die Aufladung erfolgt drahtlos. Der Stromverbrauch wird mit 2,0 Watt angegeben und der Akkutyp ist ein Lithiumpolymerakku – offenbar etwas ganz leistungsfähiges. Ob allein schon durch den Standby-Betrieb ein Stromverbrauch entsteht, habe ich nicht herausfinden können. Und weil versprochen wird, das der Akku 3 Wochen halten soll, wäre es auch gar nicht notwendig, die Ladestation auf kürzere Reisen mitzunehmen. Für Reisen ist wohl das Etui vorgesehen und ich entdeckte den Anschluss für ein USB-Ladekabel. Also könnte ich auch den Zahnbürstenakku unterwegs von meinem Laptop aus aufladen. Für kurze Städtereisen ist das unnötig, wenn der Akku wirklich drei Wochen lang hält. Aber für die neue nomadische digitale Boheme sicherlich eine interessante Option.
[Review] Die Zahlbürste kostet im Moment mehr als 150€, für Geringverdiener, Grundsicherungs- und Sozialhilfebezieher eine deutliche Hürde. Ob die versprochene Ladedauer von 3 Wochen auch tatsächlich durchgehalten wird, konnte ich noch nicht feststellen. Die Zahnbürstenköpfe sollen bis zu 3 Monaten halten. Der Nachkauf von 4 Köpfen kostet gegenwärtig auch so um 25 €, so dass hier weitere Kosten entstehen, die möglicherweise höher sind als bei der Verwendung konventioneller Zahnbürsten. Im Etui ist leider kein Platz für eine Zahnpastatube vorgesehen und es ist - wie auch die Zahnbürste überhaupt - ziemlich groß. Das Etui mit dem hellen Grau und dem zarten Hellgrün trifft meinen persönlichen Farbgeschmack leider gar nicht. Auch ist nicht unbedingt einsichtig, warum der aufsetzbare Bürstenkopf so lang sein muss und es nicht einfach ausreicht, den eigentlichen Kopf nach Verschleiß auszuwechseln. Für mich überzeugend aber ist die Bürstleistung – die den Eindruck hinterlässt, dass hier eine deutlich gründlichere Zahnreinigung möglich ist als mit konventionellen mechanischen Zahnbürsten.
[Resultat] Ich bin ein hochmobiler Vielreisender mit Handgepäck und bevorzuge kleine, kompakte Lösungen. Deshalb brauche ich eine deutlich kleinere und leichtere elektrische Reisezahnbürste mit auswechselbarem Bürstenkopf in einem Etui in poppig bunten Farben, in dem auch die Zahnpasta verstaut werden kann zu einem Preis von maximal 60 €. Die Philips Sonicare DiamondClean ist aus meiner Sicht ein Schritt in die richtige Richtung, aber noch nicht das, was ich wirklich brauche.
Berlin, 01.07.2012
Stefan Schneider
PS: Die Rezension des zweiten Geräts erfolgt voraussichtlich im August 2012.
Exitus. Genau weiß ich es nicht mehr, aber ich meine, dass ich meiner erste Uhr anlässlich meiner Erstkommunion geschenkt bekam. Das war im Frühjahr 1974 und ich war neun. Die Uhr war golden und hatte ein Uhrband mit elastischen Gliedern. Da diese Uhr irgendwie wertvoll sein sollte, bekam ich noch eine zweite für den Alltag. Lange hielt die nicht, denn ich entwickelte die dumme Angewohnheit, sie alle paar Minuten neu aufziehen zu wollen. So zerstörte ich eine Uhr nach der anderen und ärgerte mich über meine Nervosität. Eine Tages kam ich auf die naheliegende Idee, die Uhr am rechten Arm zu tragen. Das war die Rettung. Da das Rädchen zum Aufziehen auf der rechten Seite verbleibt, ist es nahezu unmöglich und bedarf einiger Verrenkungen, sie zu überdrehen. Trotzdem nahm mein Uhrenverschleiss nur geringfügig ab. Zersprungene Gläser und vor allem Wasserunfälle waren jetzt die neuen Ursachen. Da stand zwar fast immer etwas von wasserdicht oder water proof auf dem hinteren Deckel, aber wenn ich wirklich mit der Uhr – aus Versehen – unter der Dusche war, war das Glas meistens beschlagen und ich konnte auf den Exitus warten.
Emanzipation. Uhren kamen und gingen. Nur an die wenigsten habe ich Erinnerungen. Einmal kaufte ich mir eine Taschenuhr. Eines Tages sprang der Deckel auf und riß ab. Auch an dieser Uhr hatte ich keine lange Freude. Durch meine soziologischen Studien lernte ich, dass die allmähliche Etablierung und Durchsetzung immer genauerer Uhren ein wichtiges Instrument kapitalistischer Disziplinierung der Menschen ist – und so betrachtet kann niemand wirklich stolz sein, der eine Armbanduhr trägt. Auf meinem Weg neulich nach New York City war meine Armbanduhr stehen geblieben. Die Reparatur vor Ort erwies sich als langwierig und kam schlussendlich nicht zu Stande, eine neue Uhr wollte ich nicht kaufen und so sah ich das als Chance, mich an an ein Leben ohne Zeiteisen zu gewöhnen. Das gelang ber nicht wirklich, denn es ist ja nicht nur die Armbanduhr, sondern die überall wie ein Netz über unser Leben gelegte Zeitstruktur, die wir derart massiv adaptiert haben, dass wir verunsichert sind, wenn uns die Orientierungsmöglichkeit in diesem Zeitraum fehlt. Pessimistisch ausgedrückt: Ich werde es nicht mehr schaffen, die Emanzipation von der mir (selbst) auferlegten Zeitherrschaft. (1)
Einsatz. Unterwerfung hin oder her, eines Tages hatte ich genug von diesem Uhren – Verschleiß. Ich wollte für den Rest meines Lebens eine gute, präzise, hochwertige Uhr haben. Es wird schon einen Grund haben, wenn sich die, die es sich leisten können, wirklich Luxusuhren kaufen. Meine Aristo, ursprünglich für U-Boot-Fahrer gefertigt, ist aus blank poliertem Edelstahl, hat ein ausgesprochen kratzfestes Glas, ist wasserdicht bis 100 Meter Tauchtiefe und hat ein Zifferblatt mit einem unbedenklichen und nicht-radioaktiven Leuchtstoff – ideal für mich, da ich häufig auf dem Wasser und in der Nacht unterwegs bin. Nur das Armband sieht nach mehr als 10 Jahren Dauereinsatz schon ziemlich mitgenommen aus.
Berlin, 30.06.2012
Stefan Schneider
Abbildung: Aristo Armbanduhr - Foto: Stefan Schneider
(1) Die Emanzipation von der Zeitherrschaft gelingt mir dann, wenn ich mir frei nehme und beschließe, die nächsten 36 oder 72 Stunden gehören nur mir und ich mache, was ich für richtig halte. Dann ist die Uhr nur notwendig, um anzuzeigen, wann diese Zeit abgelaufen ist.
Fluchten. Es klingt pathetisch, wenn ich beiläufig erwähne, dass ich im Winter 1986/87 als Mitglied einer Solidaritätsbrigade in Nicaragua war und dort durch tatkräftige Mitwirkung an der Kaffee-Ernte die Sandinistische Revolution unterstützte. In Wahrheit war ich im Frühjahr 1986, als ich mich zu der Brigade anmeldete und an den Vorbereitungstreffen im Solidaritätsbüro in der Crellestraße teilnahm, ziemlich am Ende. Mit meiner ersten richtigen Freundin war es zu Ende (darüber habe ich schon an anderer Stelle geschrieben), das Studium der Erziehungswissenschaften mit Schwerpunkt Sozialpädagogik erwies sich als absolut desillusionierend (Bindekitt für den Kapitalismus – das wollte ich nun wirklich nicht sein) und das Theologiestudium ließ mich mehr und mehr an der Existenz eines Gottes zweifeln und auch in der WG gab es erste Auflösungserscheinungen. Mit anderen Worten: Alles in allem war meine Situation ziemlich Scheiße und irgendwie war mir auch klar, dass diese Reise nach Nicaragua mehr oder weniger eine Flucht nach vorne war.
Trübsal. Dass die solidarische Unterstützung der Kaffee-Ernte in aller erster Linie propagandistischer Popanz war, merkten wir recht schnell. Auf der Finca in den Kaffee-Plantagen waren wir gute eineinhalb Stunden Fußmarsch von der nächsten Stadt Matagalpa entfernt irgendwo im Nirgendwo, und auch mit der Erntehilfe war es nicht weit. Die geübten Kaffeepflückerinnen, die davon lebten, schafften mit ihren Kindern an einem Tag drei oder vier Säcke, während unser bester und schnellster Kaffeepflücker gerade mal mit einem halben Sack anmarschierte. Um die Einkommen der einheimischen Frauen nicht zu schmälern – was ja richtig war – wurden wir im Grunde immer nur zum zweiten Erntedurchgang durch die Reihen geschickt. Der Kaffee schmeckte mehr oder weniger nach Abwaschwasser, und die Brigadeleitung maßregelte uns, wenn wir am Wochenende in Matagalpa uns einfach mal umsehen wollen. Solidarität nach ihrem Verständnis bedeutete, das ganze Wochenende dort in der Pampa abzuhängen. Damals habe ich mir wirklich gewünscht, über eine praktische Kompetenz zu Verfügen und vor Ort aus drei kaputten ein funktionierende Auto zusammen schrauben zu können – oder irgend etwas anderes nützlich. Meine sehr defizitären Sprachkenntnisse verstärkten das Trübsal noch weiter.
Erkundungen. Deutlich besser wurde es, als Jörg, Norbert und ich die Brigade vorzeitig verließen und das Land erkundeten. Wir zivilisierten einen flüchtigen Soldaten, der nach einem halben Jahr seine inzwischen geborene Tochter besuchen wolle und trafen ihn in seinem Dorf bei Esteli in den Baumwollfeldern am Fuße des Vulkans, wir badeten im Pazifik und sahen die Sicherheitsmaßnahme im Hafen von Corinto, ich besuchte die Kathedrale von Granada, fuhr über den Nicaraguasee nach San Carlos und beobachtete wilde Affen auf dem Archipel von Solentiname. Ich fuhr mit dem komplett überfüllten Bus nach Rama und von dort aus auf dem Fluss zur Atlantikküste nach Bluefields und mit einem rostigen Schiff auf einer waghalsigen Sturmüberfahrt nach Corn Island, wo ich 14 Tage mehr oder weniger von Langusten, Kokosnüssen, Kaffee, Bier und Rum lebte.
Träume. Die meisten Brigadisten beneideten mich, als ich am Tag des Abfluges von meinen Eindrücken erzählte. Ich hatte wirklich etwas von dem Land, von den Leuten und ihren Kämpfen, von ihrer Sehnsucht nach Gerechtigkeit erfahren und war an einigen wichtigen Schauplätzen der Kämpfe und Auseinandersetzungen. Und ich habe die vielfältige Schönheit Nicaraguas mehr als nur genossen. Das ist jetzt gut fünfundzwanzig Jahre her. Dennoch gehe ich fest davon aus, dass ich eines Tages mit http://www.nachhaltiger-reisen.de wieder in Nicaragua unterwegs sein werde um zu sehen, was in der Zwischenzeit passiert ist und wie die Jugendlichen von damals heute darüber denken und wovon ihre Kinder heute träumen. Ernesto Cardenal und seine Gemeinde auf Solentiname waren damals jedenfalls überzeugt von der Heiligkeit der Revolution.
Berlin, 29.06.2012
Stefan Schneider
Abbildung: http://dc37.dawsoncollege.qc.ca/northsouth/fieldtrips/folkart.php(Christo Guerillero by Gloria Guevara. From E. Cardenal, Tocar el cielo, (Poesías illustrado con pinturas de Solentiname y fotografías del nuevo Nicaragua), Managua: Editorial Nueva Nicaragua, Ediciones Monimbó, nd.)
Profitrate. Eine wahre Goldgräberstimmung herrschte in den ersten Wochen und Monaten. Die schrägsten Typen schauten vorbei und fragten nach der Zeitung. Einige kauften gleich paketweise - das waren immerhin einhundert Exemplare. Trotzdem kamen sie meist schon am nächsten Tag wieder. Die Zeitung war damals neu, und entsprechend groß die Neugier bei den Berliner_innen – aber auch bei den zahllosen Tourist_innen. Wer zur richtigen Zeit am richtigen Ort war, konnte wirklich gut Geld machen. Armut wirkte damals nicht grau, sondern bunt. Das änderte sich mit der Zeit, immer mehr Verkäufer_innen kamen hinzu, die Idee nutzte sich ab, die ersten Verteilungskämpfe setzten ein, und obwohl die Auflage noch einige Jahre lang kontinuierlich stieg, dürfte der Gewinn der Einzelnen drastisch zurückgegangen sein.
Teambildung. Im Laufe der Zeit hat das Selbsthilfeunternehmen noch viele andere Menschen angezogen, auch welche, die nicht unbedingt gut Zeitung verkaufen konnten. Ich selbst habe das auch getestet und verstanden, dass diese Arbeit nicht jedem liegt. Es mussten andere Arbeitsfelder aufgebaut und entwickelt werden, und die Bedarfe lagen ja auf der Hand. Neben der Arbeit in der Redaktion der Zeitung und im Vertrieb war einiges an organisatorischer Arbeit zu erledigen. Im Verlauf weniger Jahre sind weitere Projekte entstanden, deren Reihenfolge sehr viel über die damaligen Prioritäten aussagt. Eine Notübernachtung, ein Wohnprojekt, ein Treffpunkt, ein Gebrauchtwarenhandel, eine Essensversorgung, ein Waschsalon, ein Selbsthilfehaus. Daneben gab es ein Vereinsbüro, später eine Finanzabteilung, eine Buchhaltung und eine Baugruppe. Eine wichtige Aufgabe hatte die IT-Abteilung, denn sie musste die interne Computerkommunikation gewährleisten, und später auch die Verbindung mit dem Draußen, dem Internet und die Pflege der eigenen Webseite. Da die besten Mitarbeiter_innen immer schnell weg waren, wenn sie lukrative Jobangebote fanden, blieben bei uns immer die, die weniger gut waren. Um dennoch ein hohes Niveau halten zu können, setzten wir bald auf Teambildung. Immer mehrere waren für ein Arbeitsgebiet gemeinsam verantwortlich und sollten sich gegenseitig unterstützen, anregen und austauschen. Das funktionierte in der Regel auch gut, die Teams waren über längere Zeit mehr oder weniger stabil.
Gerechtigkeit. Für mich lag die Bedeutung des Unternehmens immer in der geschaffenen Infrastruktur. Ich verstand die Projekte als eine Art Sozialversicherung, die ein Überleben gewährleisten sollen unter der Annahme, dass eines Tages der Staat nicht mehr zuständig sein wollen würde. Deshalb bestand lange Zeit die höchste Priorität auch daran, die vorhandenen Mittel möglichst gerecht zu verteilen. So, dass alle etwas abbekamen und jede_r sagen konnte: Ich habe hier einen kleinen, aber stabilen Zuverdienst. Und Zugriff auf Ressourcen wie Nahrung, Kleidung, Unterkunft, Einrichtungsgegenstände, Kommunikation und Kultur, um einigermaßen zurechtzukommen.
Umverteilung. Als 2007 eine Clique sich des Unternehmens bemächtigte, bauten sie dieses System um und bevorteilten ihre Freunde und vor allem sich selbst mit größeren Privilegien. Alle anderen mussten im Grunde dafür arbeiten. Ungeliebte Mitarbeiter_innen mussten gehen. Hätte es zum damaligen Zeitpunkt schon einen Betriebsrat gegeben, hätte dieser wenigstens eine Sozialplan Beratung erzwingen können. So weit war dieses Sozialunternehmen zu jenem Zeitpunkt aber noch nicht, sonst hätte es sich erfolgreich gegen diese Clique gewehrt. So bleibt von dem einstigen Selbsthilfeunternehmen nur noch das soziale Etikett über. Bis zur Revolution. Danach dürfen die jetzigen Profiteur_innen die Toiletten putzen gehen.
Berlin, 29.06.2012
Stefan Schneider
Abbildung: http://commons.wikimedia.org/wiki/File:N%C3%B8rrebro_Riot.jpg
Gelände. Ich habe erst relativ spät, ich glaube mit 11 Jahren das Fahrradfahren erlernt. Und zwar am Berliner Reichstagsgebäude. Dort, wo heute das Paul-Löbe-Haus steht, befand sich am Spreeufer eine unbefahrene und leicht abschüssige asphaltierte Straße. Wir, also meine Mutter und ich, trafen uns dort auf der Wiese am Reichstag mit meinem Vater, der aus Reinickendorf von der Arbeit kam. Wir verbrachten im Sommer die Nachmittage mit Ballspielen und Picknick. Ich brauchte auch nicht sehr lange, um auf dem 20-Zoll-Klappfahrrad das Fahrradfahren zu lernen. Wie ich das Gleichgewicht auf der abschüssigen Strecke halten konnte, verstand ich mehr oder weniger intuitiv, und es brauchte ein paar Versuche und ein bisschen Übung, bis das Fahrrad da hin fuhr, wo ich es wollte.
Gewohnheit. Wir wohnten damals in der Nähe vom Volkspark Mariendorf und selbstverständlich holten wir meinen Vater nicht jeden Tag von der Arbeit ab, um irgendwelche Ausflüge zu unternehmen. Also machte ich es mir zur Gewohnheit, nach der Schule mein Fahrrad zu nehmen und erstmal alle Straßen der näheren Umgebung abzufahren. Mein Lieblingsziel war aber der Volkspark. Ich machte es mir zur Angewohnheit, nach einem bestimmten System alle Wege abzufahren, im Grunde um zu sehen, ob alles immer noch so war wie am Tag zuvor. Wichtiger aber war noch, es gab fast immer etwas zu sehen. Zwei Sachen faszinierten mich besonders. Da waren die Modellboote am Teich. Da musste man aber immer viel Geduld haben. Denn wenn die alten Herren mit ihren Modellbooten ankamen, hieß das noch lange nicht, dass es gleich los ging. Vielmehr haben sie erstmal alles in Ruhe getestet, ein Schwätzchen mit den Kollegen gehalten, eine Zigarre geraucht oder ein Bierchen getrunken und dann erst ließen sie ihr Boot – vielleicht – zu Wasser. Insbesondere jener grünweiße Rettungskreuzer der Deutschen Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger hatte es mir angetan. Denn der hatte ein Beiboot und das konnte über eine Heckklappe zu Wasser gelassen und separat gesteuert werden. Das Beiboot dann aber wieder hochzuziehen, klappte häufig nicht im ersten Anlauf und war immer mit einer gewissen Dramatik verbunden.
Gelegenheit. Mehr noch interessierte mich der Fußball. Das Mariendorfer Volksparkstadion, am östlichen Ende des Parks gelegen, ist das siebtgrößte Stadion Berlins, wurde aber kaum bespielt und durch einen Zaun gesichert – wohl um den Rasen zu schonen. Davor gab es zwei Schlotterplätze, und dort wurde häufig gespielt. Das ein Spiel bevorstand, konnte ich daran erkennen, dass die Umkleidehäuschen geöffnet waren und Leute mit großen Taschen ankamen. Dann wurden auch bald die Eck- und Seitenfahnen aufgestellt und die Mannschaften mit den Trikots kamen auf das Spielfeld. Ich hatte damals zwei Lieblingsplätze. Einmal hinter dem Tor und der andere Platz war genau an der Mittellinie. Wenn ich sah, dass das Spiel mehr oder weniger auf ein Tor ging, war es natürlich günstig, sich hinter dieses Tor zu stellen. Bei ausgeglichenen Teams war die Mittellinie besser, da das Spielgeschehen hin- und herwanderte. Ich war immer ganz stolz, wenn ich mich nützlich machen konnte. Wenn ein Ball ins Aus geschossen war in meiner Nähe, rannte ich immer, um den Spielern den Ball zu bringen. Welche Mannschaft den Ball dann bekommen sollte, begriff ich recht schnell. Manchmal passierte es auch, dass ein Ball in einer der hohen Pappeln, die hinter den Toren wuchsen, einfach hängen blieb. Dann versuchten manchmal die Spieler, auf die Pappel zu klettern. Oder aber sie warfen Knüppel in Richtung Ball. Nach einigen Versuchen kam der Ball dann meistens wieder runter. Aber das Spiel war doch einige Zeit unterbrochen.
Gegner. Ich weiss gar nicht, wie viele Spiele ich so verfolgte. An manchen Tagen beobachtete ich auch zwei oder drei Spiele hintereinander weg oder wechselte von einem Feld zum anderen, wenn das andere Spiel interessanter zu sein schien. Frauenfussball gab es damals allerdings noch nicht, jedenfalls kann ich mich daran nicht erinnern. In www.themenportal.de wird jetzt darüber berichtet, dass selbst Frauenfußball, der bisher immer als spielerisch und technisch anspruchsvoll charakterisiert worden ist, inzwischen schon als hart kritisiert wird, jedenfalls, wenn man Elizabeth Lambert glauben schenken darf. Ich für meinen Fall habe jedenfalls Fußball als Sportart für mich nie aktiv verfolgt. Mich hat das immer überfordert, wenn sofort nachdem ich den Ball hatte Menschen mit bösen Absichten auf mich zugerannt kamen. Ich bevorzugte dann doch lieber Sportarten, bei denen der Gegner auf der anderen Seite blieb. Volleyball zum Beispiel. Oder Tischtennis. Oder Billard.
Berlin, 25.06.2012
Stefan Schneider
Abbildung: http://de.wikipedia.org/wiki/Datei:Teich_im_Volkspark_Mariendorf.jpg