Öffentliche Büchereien waren lange Zeit für mich das Maß aller Dinge. Erst die Bezirksbüchereien, dann die Fachbibliotheken, später die Universitätsbibliotheken. Bücher suchen, auswählen, ausleihen, lesen, durcharbeiten und zurückbringen. In den letzten Jahren bin ich auf der Suche nach Literatur häufiger im Internet fündig geworden. Ich schickte dann eine email an den Buchladen meines Vertrauens und häufig war, wenn nicht ohnehin schon im Regal vorhanden, das Buch schon am nächsten Tag da. Mit einem Teil des Buchpreises würde ich diesen Buchladen in meiner unmittelbaren Nachbarschaft unterstützen und hätte zudem noch eine kompetente persönliche Beratung – die auch durch ein Online-Bewertungssystem nicht ersetzt werden kann.
Während ich in den ersten Jahren auf jedes neu hinzukommende Buch in meiner Wohnung stolz war, hat sich nach nunmehr drei Jahrzehnten wissenschaftlicher Arbeit meine Haltung dazu geändert. Nicht mehr jedes Buch ist es wert, aufbewahrt zu werden. Das hat mehrere Gründe. Oft hat sich die Forschungsfrage oder das Thema für mich erledigt und ich komme nicht mehr darauf zurück, zweitens es ist auch nicht meine Aufgabe, Bücher zu sammeln und wohl am wichtigsten ist drittens, immer genug Platz für Neues zu schaffen. Und trotzdem sind die Bücher, die ich nun nicht mehr brauche, einigermaßen neu, aktuell und in einem guten Zustand. Nun tun sich öffentliche Bibliotheken oftmals schwer mit der Einarbeitung von angebotenen gebrauchten Büchern – und ein Buch, das nicht benutzt wird, ist in gewisser Weise wertlos.
Eine naheliegende Alternative besteht darin, Bücher zu verkaufen. Eine auf Fachbücher spezialisierte Plattform ist Studibuch. Die für das Smartphone erhältlich Studibuch-App ermöglicht zudem, den Barcode zeitsparend einzuscannen und der Versand der Bücher erfolgt klimaneutral.
Wissenschaft ist in gewisser Weise ein angstfreier Raum. Bücher widersprechen einem nicht, und oft sind auch die Autoren schon lange tot und können sich gegen Kritik nicht wehren. Das war mir im Moment, als ich damit anfing, so aber nicht klar. Ich genoss es, durch die Gänge der Bibliotheken zu streifen, nach immer neuen Büchern Ausschau zu halten und sie dann beliebig zu benutzen. Das Inhaltsverzeichnis zu durchstreifen mit analytischem Scharfsinn, das Literaturverzeichnis prüfend zu durchblättern und dann beliebig irgendwo mittendrin mit der Lektüre zu beginnen – auf der Suche nach einer genialen Formulierung, einer neuen Sichtweise, einer überraschenden Argumentation. Oder nach dem Gegenteil. Eine fadenscheinige Begründung, ein schwacher Einwand, eine vorgeschobene Behauptung. Es gibt eben kluge Bücher und nicht so kluge.
Heute sind mir Bücher nicht mehr ganz so wichtig. Aber ich benutze sie dennoch oft, um darüber mit Menschen ins Gespräch zu kommen.
Berlin, 19.05.2016
Stefan Schneider
Abbildung: Vincent van Gogh, Stilleben mit Bibel (1885), Van Gogh Museum-Amsterdam.
Quelle: WikiCommons.
URL: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Vincent_van_Gogh_-_Still_life_with_Bible_-_Google_Art_Project.jpg
PS: Als ich dieses Bild von van Gogh unlängst eher zufällig in Amsterdam im Van Gogh Museum erblickte, hätte ich wetten können, daß beim Nähertreten Zeile für Zeile präzise erkennbar und vor allem lesbar sein würde. Also ich dann unmittelbar vor dem Bild stand, war ich völlig fertig. Nicht einen einzigen Buchstaben hat van Gogh auf die Leinwand gemalt. Es ist vielmehr ein einziges Spiel mit den Farben.