Ausreichend Schlaf zu haben ist eine wichtige Voraussetzung dafür, den Alltag gut bewältigen zu können. Nachfolgend berichte ich darüber, wie ich über Jahrzehnte damit zu tun hatte, hinreichend Schlaf zu finden in genau der Zeit, die mein Körper brauchte und welche Lösung ich letztendlich finden konnte.
Jahrzehntelang kämpfte ich morgens um jede Minute. Nicht nur Essen und Kultur, sondern auch Schlaf ist, jedenfalls nach meinem Verständnis, Lebensmittel. Mein Problem manifestierte sich in der Schulzeit. Der zwangsweise festgesetzte Schulbeginn um 8:00 Uhr stresste enorm. Aufstehen, Wasser ins Gesicht, Anziehen, Frühstück und der Schulweg, es blieb keine Zeit zum Trödeln. Meine um Pünktlichkeit besorgte Mutter kümmerte sich dennoch jeden Morgen darum, dass ich so zeitig los musste, dass ich einige Minuten früher da war als ich musste. Dennoch würde ich behaupten, dass ich in der jeweils ersten Stunde nie etwas gelernt habe. Wach wurde ich erst so im Verlauf der zweiten Stunde, alles davor war ein Zwangsabsitzen mit einem bleiernen Gefühl im ganzen Körper. Erst im Verlauf der Oberstufe gab es Möglichkeiten, durch geschickte Wahl der Kurse wenigstens das eine oder andere Mal in der Woche nicht um 8:00 Uhr vor Ort sein zu müssen.
Um den Solidaritätseinsatz in einer Kaffee-Ernte-Brigade in Nicaragua zu finanzieren, habe ich sogar einen Job im Schichtbetrieb angenommen. Bei FKF, einer Konservendosenfabrik. Weil dieser Job – aus meiner damaligen Sicht – habwegs gut bezahlt war. Um den Beginn um 6:00 Uhr zu schaffen, musste ich gleichsam vom Hochbett durch die Hose in die Stiefel springen, die bereits am Vortag vorbereitete Thermoskanne Kaffee ergreifen und mit Höchstgeschwindigkeit unter Missachtung jeder (!) roten Ampel mit dem Fahrrad zur Fabrik fahren, um im Laufschnitt, mich umziehend, wenige Sekunden vor Schichtbeginn, noch rechtzeitig (!) die Stempeluhr zu erwischen. Zum Glück waren die Arbeitsabläufe derart monoton, dass ich dabei psychisch nicht anwesend sein musste. Heute dürften ausschließlich Roboter die Arbeit des Umschichtens der gekochten Dosen auf die Etikettiermaschine übernehmen.
Es wurde lange Jahre nicht besser, weil ich im Rahmen selbständiger Arbeit immer am Vorabend todo-Listen verfasste, die davon ausgingen, dass ich gegen 9:00 Uhr ausgeschlafen, gewaschen, angezogen und mit einer Tasse Kaffee in der Hand am Schreibtisch sitezen würde. Wenn ich dann um 10:00 Uhr oder später aufwachte, war klar, dass der Zeitplan nicht zu halten sein würde und ich war regelmäßig demoralisiert.
Eine Wende brachte meine Twitter-Bekannte @bewitchedmind, die in verschiedenen Kontexten von einer „Frühaufsteherdiktatur“ sprach. Das war die gedankliche Wende. Nicht ich war das Problem, sondern das erbarmungslose Zeitdiktat einer rücksichtslosen gesellschaftlichen Gruppierung, von der noch nicht einmal klar ist, ob sie überhaupt die Mehrheit stellt. Ab diesem Zeitpunkt habe ich Frieden geschlossen mit dem Umstand, dass ich sowohl gerne lange nachts wach bin UND zugleich meine acht bis neun Stunden Schlaf brauche. Mit anderen Worten: Wenn ich um 3:00 Uhr zu Bett gehe, werde ich realistischerweise nicht vor 11:00 Uhr den Tag beginnen können. Alles andere ist – bis auf Ausnahmefälle – sinnlos. Und selbst im Fall einer Ausnahme will mein Körper immer die fehlenden Stunden Schlaf nachholen.
Seitdem ich mein Leben um meinen Rhythmus herum organisiere, bin ich wesentlich zufriedener. Ich nehme so gut wie keine Termine vor 11:00 Uhr an, reise bei auswärtigen Terminen am Abend zuvor an oder nehme an solchen Veranstaltungen erst gar nicht teil. Den anderen Menschen, die sich wundern, warum ich immer erst so spät erscheine, erkläre ich ganz einfach, dass ich von der Spätschicht bin. Das versteht in der Regel jeder und ich erhalte wohl wollende Zustimmung. Ja, sage ich dann immer, es muss ja auch jemand dann arbeiten, wenn ihr schon schlaft!, und lächele dabei still in mich hinein.
Berlin, 22.12.2014
Stefan Schneider
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