Ein Umzug stand an. Ich meine, dass es Krampitz war, der zu mir sagte: Schneider, jetzt besorgen wir Dir mal eine Wohnung in Prenzlauer Berg! Er schleppte mich in das Büro der WIP (Wohnungsbaugesellschaft in Prenzlauer Berg mbH) und ich trug mein Anliegen vor. Bitte in der Nähe vom Pfefferberg, gerne Ofenheizung, gerne Altbau, gerne renovierungsbedürftig. Ich bekam drei Adressen genannt und – heute unvorstellbar – die Schlüssel in die Hand gedrückt. Die erste Wohnung kam nicht in Frage, schlauchartig, ungemütlich, in einem dunklen Hinterhof in der Fehrbelliner Straße. In gedämpfter Stimmung zog ich weiter. Das kann ja heiter werden, wenn die alle so sind. Die zweite Wohnung war Schwedter Ecke Christinenstraße, im ersten Stock des Vorderhauses. Ich war keine Minute in der Wohnung und mir war klar, die ist es. Zwei Zimmer nach vorne zur Straße und dazu ein anheimelnder weißer großer Kachelofen, eine geräumige Küche nach hinten raus, Flur mit Klo und Badewanne(!). Ansonsten deutlich renovierungsbedürftig. Aber der blaugefärbte Putz, der unter den teilweise abgerissenen weißen Rauhfasertapeten hervorlugte, der hatte einen ganz eigenen Charme, der mich betörte. Die Elektrik war neu gemacht worden.
Noch am selben Tag machte ich den Mietvertrag startklar, handelte drei Monate Mietfreiheit aus (ich hätte ein ganzes Jahr ausverhandeln müssen, das wäre dem Zustand der Wohnung angemessen gewesen, aber verhandeln ist nicht immer meine Stärke) und konnte auch gleich in die Wohnung rein. Meine erste eigene Wohnung. Ich hatte jetzt fünfzehn Jahre in der gleichen WG gewohnt und es waren bestimmt drei Jahre zuviel. Die Konstellation, mit der ich 1984 dort einzog, hielt gerade mal ein halbes Jahr. Mein damals bester Freund Clemens hatte bald seine Tine gefunden und zog aus, auch Lemmi und Doris hatten andere Pläne. Danach zog meine Freundin Bettina ein und mit ihr Jutta und Petra. Das war für einige Jahre eigentlich die beste Zeit. Dann begann der Niedergang, oder änderten sich nur meine Bedürfnisse?
Ein weiteres Problem war, dass die alte WG-Wohnung in Schöneberg lag und mein Büro nach Prenzlauer Berg auf den Pfefferberg umgezogen war. Das bedeutete, hochlaufen bis zum U-Bahnhof Bülowstraße und mit der U2 bis zum Senefelder Platz fahren. Fast eineinhalb Stunden war ich jeden Tag unterwegs. Morgens habe ich immer den Tagesspiegel gelesen – aber auf der Rücktour langweilte ich mich. Dass musste sich ändern, ebenso wie die WG, in der ich mehr oder weniger nur noch in meinem Zimmer verweilte. Jetzt also meine erste eigene Wohnung. Zum Glück hatte ich gerade ein Auto zur Verfügung. Ich schnappte also Matratze, Bettzeugs, Kaffeemaschine, Musikanlage sowie einige Habseligkeiten und zog erstmal provisorisch in die neue Wohnung. Im Grunde war es mehr eine Flucht als ein Auszug. Der Weg zur Arbeit betrug nur noch 50 Sekunden und ich konnte die so gewonnene Zeit nutzen, die neue Wohnung Stück für Stück zu renovieren.
Nach drei Monaten der Renovierung in den so gewonnenen freien Stunden neben der Arbeit war die Zeit endlich reif für den „richtigen“ Umzug. Das wäre ein Fall für die Umzugshelfer Berlin gewesen. Ein Auto und Leute zum Tragen. Vor allem die Bücher waren schwer – insgesamt 40 Kisten kamen zusammen. Und ein weiteres Problem stellten die Pflanzen da. Ich überlegte lange, welche von den vielen ich mitnehmen sollte. Eines Nachts erschienen mir die Pflanzen im Traum und sagten: Wir sind ein Pflanzenkollektiv. Alle oder keine! Also kamen alle mit. Aber das ist eine andere Geschichte.
Berlin, 10.12.2014
Stefan Schneider
[Abbildung] https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Duct-tape_Moving_Van.jpg:Duct-tape_Moving_Van.jpg