[Debatten] Während meiner Jugend war die Frauenbewegung sehr stark. Ina Deter sang Neue Männer braucht das Land, und wir neuen Männer lassen Bücher wie Unser Körper – unser Leben, Das andere Geschlecht von Simone de Beauvoir, und auch an die Sexualität von Männern wurden hohe Erwartungen gerichtet. Themen waren der Orgasmus der Frau, Sex ohne Penetration, sowie die verschiedenen Methoden der Verhütung. Es wurde von den Männern erwartet, dass sie sich nicht nur mit den verschiedenen Verhütungsmethoden auskannten, sondern auch selbst Verantwortung dafür übernahmen. Die Pille war in einigen Kreisen verpönt, vor allem, weil ökobewusste Frauen den hormonellen Eingriff in den eigenen Körper ablehnten. Also besprachen wir in unserer WG und auf allen möglichen Seminaren Themen wie natürliche Verhütungsmethoden, Kondome, Diaphragma, Spirale und Temperaturmessung. Wir maßen Körpertemperaturen, übertrugen die Ergebnisse in Tabellen und versuchten, daraus Erkenntnisse über das Datum des Eisprungs und die kritischen Tage drum herum zu ermitteln. Tatsächlichen Sex hatte wir – oder zumindest ich - in jenen Jahren eher weniger.
[Dämonen] Mit der Verbreitung von AIDS und der öffentlichen Debatte darüber kamen Kondome in Mode. Zwar sagten fast übereinstimmend alle, dass Sex mit Kondom nicht so viel Spaß mache, weil das Empfinden im Vergleich zu ungeschütztem Verkehr etwas beeinträchtigt sei, aber immerhin gab es mehr Sex – zumindest bei mir. Dass es noch die Pille danach als Möglichkeit der Empfängnisverhütung im Notfall gibt, war mir, ehrlich gesagt, gar nicht bewusst. Das aber wurde Anfang des Jahres 2013 Thema einer breiten Medienberichterstattung. Der Anlass war: Im Januar 2013 wurde eine vergewaltigte Frau, die im Krankenhaus Hilfe suchte, von zwei katholisch geführten Kölner Krankenhäusern abgewiesen, weil die Kliniken ihr die Pille danach nicht verschreiben wollten. Der Kölner Kardinal Meisner ruderte danach zwar zurück, aber der fade Nachgeschmack blieb.
[Online-Praxis] Die Pille danach ist gegenwärtig in Deutschland, Polen und Italien verschreibungspflichtig, in den meisten anderen Ländern der Europäischen Union jedoch nicht. Es ist auch möglich, die "Pille danach" auf DrEd.com zu beziehen. Auf der Webseite ist ein medizinischer Fragebogen mit zwanzig Fragen auszufüllen. Ein Arzt der Online-Praxis sichtet die Angaben und stellt ein Rezept aus und das Medikament kann von einer Versandapotheke per Express-Lieferung gleichsam über Nacht ausgeliefert werden. Zeit spielt hier eine wichtige Rolle, denn die Wirksamkeit des Wirkstoffs nimmt mit der Zeit ab. Natürlich ist die Online-Verschreibung der Pille danach nicht unumstritten, wie der Beitrag zu DrEd auf Spiegel Online zeigt. Vor allem sind es aber die (möglichen) Nebenwirkungen wie Übelkeit, Erbrechen, Kopfschmerzen, Unterleibsschmerzen, Brustspannung, Schwindel, Schmierblutungen die klar machen, dass die Pille danach nur eine Notfalllösung sein kann.
[Zeitpunkte] In ihrem Beitrag Idioten wie Assange berichtet die Zeitrafferin über Kondom-Muckler, die ihr den Spaß am Sex verderben: Wie kann ich mich auf ihn verlassen, wie soll ich denn so einen Orgasmus bekommen? Meinen Kommentar: Mir scheint, dass kurz vor dem Vögeln die Kondomfrage zu besprechen, der denkbar schlechteste Zeitpunkt ist kommentierte sie nur trocken mit einem: Gut, nech – besser als gar nicht, wa? Theorie und Praxis eben.
Berlin, 17.02.2013
Stefan Schneider
[Abbildung] March 8 rally in Dhaka, organized by Jatiyo Nari Shramik Trade Union Kendra (National Women Workers Trade Union Centre), an organization to the Bangladesh Trade Union Kendra. Photo: Soman, Quelle: http://commons.wikimedia.org/wiki/File:8marchrallydhaka_%2855%29.JPG