Hector Hodler Bibliothek, England 1963 - Quelle: WikiCommons[Thema] E-Book–Reader sind in aller Munde. Beim U-Bahn-Fahren in New York im Mai 2012 sind mir viele Menschen aufgefallen, die die lange Fahrzeit in Zügen ganz offensichtlich mit dem Lesen von digitalen Büchern verbringen. Natürlich gab es auch noch einige andere, die papiergebundene Bücher lasen. Bücher – also komplexe Wissensspeicher – sind ein zentraler Bestandteil menschlicher Kulturgeschichte. Das in ihnen festgehaltene Wissen ist eine Art kollektives Gedächtnis der Menschheit. Dieses Gedächtnis enthält enorm viel Triviales und Belangloses, einiges an gut zu gebrauchender Ware und wenige Perlen. Auch ist, wie beim menschlichen Gedächtnis, nicht alles völlig klar, logisch, eindeutig, widerspruchsfrei oder systematisch. Aber das macht in der Regel nichts. Mit der Einführung des Computers wurden – obwohl auf dem Bild-Schirm visuelle Eindrücke dominieren – Schrift und Buch keineswegs überflüssig, im Gegenteil, erst jetzt wird es überhaupt möglich, das, was bisher in Bibliotheken einer kleinen Gruppe an Forschenden zugänglich war, der gesamten Menschheit zur Verfügung zu stellen. Das ist die Theorie. In der Praxis stehen Bücher und der Hypertext des Internets immer noch weitgehend unverbunden neben einander, und statt alle Bücher zu digitalisieren und online zu stellen , wird im Internet bestenfalls auf Bücher hingewiesen und umgekehrt. In diese Lücke stoßen – auf der Ebene der Technik – die sogenannten E-Book-Reader. Sie erinnern ein bisschen an ein ganz ganz dünnes Buch, fast schon an eine Broschüre, tragen aber in sich das Versprechen, Bücher aller Art in sich aufnehmen und dann zeigen zu können. »Das ist doch spannend!«, dachte ich. Und weil die Freundin, mit der ich in New York unterwegs war, zufällig auch so eins hatte, dachte ich mir, »Das musst Du jetzt testen mal!«

Da kam mir der Weltbild-Verlag gerade recht. Ich hasse Werbung, und genau eine solche fand ich in meinem Postkasten. In großen Lettern wurde mir versprochen, dass ich so eins haben kann. Das war gut. Ganz klein in der Ecke stand aber, dass ich dafür Geld bezahlen soll. Das gefiel mir weniger. Also bestellte ich ein Rezensionsexemplar und bekam nach einigem Quengeln dann auch eines zugeschickt.

[Produkt] Zugeschickt bekam ich einen eBook Reader 4 von der Firma Trekstor. Dieses wird für 59,99 € von der Firma Weltbild und von der Firma Hugendubel mit jeweils unterschiedlichen Bestellnummern angeboten. Es hat einen Digital Ink Display in der Größe von 6 Zoll (15,2 Zentimeter) und produziert eine Auflösung von 600 x 800 Pixeln. Die Speicherkapazität ist bei 2 GB, es wird aber versprochen, dass diese mit einer extra zu kaufenden microSD/SDHC Speicherkarte bis 32 GB erweiterbar ist. Der eBook Reader 4 hat die Maße 16,7 x 12,3 x 0,9 cm bei einem Gewicht von 216 Gramm. Der eBook Reader 4 kann auf vier verschiedene Schriftgrößen eingestellt werden von ganz klein bis ganz groß, es ist auch möglich, im Querformat zu lesen. Verarbeitet werden die Text-Formate html, rtf, txt, epub, pdf, fb2, PDB und die Bildformate bmp, jpeg, gif mit Einschränkungen sowie png. Als Anschlüsse für externe Datenträger steht ein Slot für die bereits erwähnte extra zu kaufende microSD/SDHC Speicherkarte zur Verfügung sowie ein USB 2.0 Anschluss. Über den USB-Anschluss kann auch gleich der interne Akku etwa von einem Computer aus geladen werden, ein passendes USB-Kabel wird mitgeliefert. Unterstützt werden die Betriebssysteme Windows 8, 7 und Vista und auch XP sowie Mac ab 10.4x sowie Linux.

[Anspruch] Um Missverständnisse von vorne herein auszuräumen, sei gesagt, dass ich erstens sehr ungeduldig bin und zweitens Wissenschaftler. Das bedeutet, dass ich mir keine Gebrauchsanleitung durchlese, sondern stets versuchen würde, die Dinge intuitiv zu verfassen. Ja, ich meine sogar, alle guten Produkte sollten so beschaffen sein, dass zentrale Funktionen intuitiv erfassbar sind. Bei Autos oder Staubsaugern ist dies meist vorbildlich gelöst, auch bei CD Playern meistens. Und ich arbeite mit sehr vielen Büchern gleichzeitig, will schnell den Aufbau erfassen oder das Literaturverzeichnis, springe oft mitten in Passagen hinein, will unterstreichen, anmerken, zitieren, liegen lassen, wieder finden. Und schließlich drittens bin ich ein Fan von Open Source. Ich bin nicht bereit, für Dinge prinzipiell zu bezahlen, sondern denke, dass alles, was gebraucht wird, gemeinfrei produziert und für alle kostenfrei zur Verfügung gestellt sein sollte. Das gilt gerade für Bücher und insbesondere für Bücher aus dem wissenschaftlichen Bereich. Im Grunde sind diese bereits vollkommen bezahlt, denn die Autoren verdienen Geld damit, dass sie forschen, denken, untersuchen, analysieren, debattieren und anschließend ihre Ergebnisse »zu Papier bringen«. Die so hergestellten Texte dann noch einmal extra vermarkten zu wollen, ist ein großer unnötiger Popanz der Buchindustrie. Dieser Popanz schützt den elitären Status der wissenschaftlichen Elfenbeitürme und sorgt so für allerlei akademischen Unsinn, aber das ist eine andere Debatte. Kurzum: Ich habe hohe und anspruchsvolle Anforderungen an einen Ebook-Reader.

[Test] Eines Tages kam das avisierte Päckchen und ich riss es auseinander. Den E-Book-Reader in den Händen haltend, wollte ich sofort loslegen. Ich fand den Ein-Knopf nicht sogleich. Er verbirgt sich unscheinbar an der Unterkante. Als das dann anging, entdeckte ich irgendwelche Leseproben, die mich aber nicht interessierten. Also lud ich mit Hilfe des Kabels ein paar PDF-Bücher und ein paar E-Books, die ich auf meinem Rechner hatte, auf den E-Book-Reader. Die Identifizierung des E-Book-Readers auf meinem Rechner war unproblematisch, und auch das rüberkopieren der Bücher war ein Kinderspiel. Die Freude dann beim Lesen war weniger groß. Die PDF-Bücher ließen sich nicht gut lesen, kein Wunder, denn der E-Book-Reader macht die Anpassung der großen PDF-Formate auf den kleineren Bildschirm nicht automatisch mit. Es bleibt also die Wahl zwischen dem Lesen von Ausschnitten einer Seite oder das Lesen mit der Lupe. Keine guten Alternativen. Mit den im epub – Format vorliegenden Büchern war das schon erheblich besser, da konnte ich die Schrift auf eine mir angenehme Größe einstellen. So habe ich tatsächlich mal während einer Zugreise ein ganzes Buch gelesen. Genervt hat allerdings, dass der Bildschirm beim Umblättern der Seiten (mit den Tasten links und rechts am Rand, unten weiter, oben zurück) immer kurz schwarz wird. Beim schnellen Lesen oder Überfliegen des Textes ist das unschön.

Als ich dann mehrere Bücher geladen hatte und über eine Menüführung auswählen wollte, hat das Zwangsmenü ebenfalls gestört. Das, was gerade angeklickt werden kann, ist unterstrichen. Die Bewegung ist immer nur von oben nach unten möglich. Das fand ich nicht sehr praktisch. Natürlich bin ich verwöhnt vom Computer, wo es einen Rollbalken gibt zum Scrollen oder die Gesten, die bei einem Smartphone verwendet werden können. Das alles ist auf diesem Gerät nicht möglich.

Jetzt eben, wo ich diese Zeilen schreibe, war das Gerät in den Standby-Modus gefallen. Ich habe alle Knöpfe gedrückt, aber nichts passierte. Bis ich auf die Idee kam, den Ein-Knopf zu drücken. Dann war ich wieder auf der Seite, wo ich vorhin stehen blieb. Die Möglichkeit, das Gerät vom Laptop aus zu laden, fand ich ganz praktisch. Wie lange ich allerdings laden muss, bis der Akku wieder voll ist, habe ich nicht herausgefunden. Mir schien, dass die Akkuladezeit nicht sehr lang ist, aber irgendwo meine ich auch gelesen zu haben, dass die volle Akkukapazität erst nach einigen vollständigen Aufladungen erreicht wird. Das ist bei meinem Mobilfunktelefon deutlich einfacher gelöst. Es macht einfach »piep«, wenn die volle Ladung erreicht ist. Aber vielleicht habe ich auch nicht lange genug aufgeladen. Als ich einmal eine Freundin vom Bahnhof abholte und damit rechnen musste, dass der Zug Verspätung hat, habe ich versucht, den E-Book-Reader in die Jacke zu stecken. Es dauerte eine Weile, bis ich ein Tasche fand, die breit genug war, um das Ding mitzunehmen. Also ganz klein ist der E-Book-Reader auch nicht. Gebraucht habe ich es dann nicht, weil der Zug pünktlich war.

Positiv für den E-Book-Reader spricht, dass das Schriftbild in Ordnung ist, und dass auf dem matten bleichweissen Hintergrund die Schrift gut zu lesen ist und dass die Oberfläche des E-Book-Readers nur wenig Tages- oder Kunstlicht reflektiert. Die eingebaute Suchfunktion, die erfordert, aus einem Tastaturfeld Buchstabe für Buchstabe zusammenzusuchen (noch umständlicher, als ich es bei Navigationsgeräten gesehen habe) war sehr umständlich und nervte mich sehr. Während der Testzeit habe ich keine einzige Suchanfrage zu Ende gebracht. Meine Ungeduld oder einfach nur grauenhafte Technik – oder beides? Also, ich habe den E-Book-Reader beiseite gelegt und meine Begeisterung hält sich in Grenzen.

[Diskussion] Der E-Book-Reader ist ja dafür da, elektronische Bücher zu lesen. Die E-Books, die bei weltbild.de/ebooks angeboten werden, sind ganz schön teuer, wenn mensch bedenkt, dass weder Papier noch Druckerfarbe benötigt werden, sondern dass einfach nur eine Kopie einer digitalen Datei automatisch per Knopfdruck erzeugt wird. Leider gibt es im Moment nur wenige gute Alternativen, aber vielleicht liegt es auch daran, dass ich noch nicht intensiv genug danach geschaut habe. Die Suchanfrage »ebooks kostenlos« bringt ja durchaus einige Treffer, und die dort gelisteten Seiten bieten schon einige Angebote, aber nur selten das, was ich für meine wissenschaftliche Arbeit brauche.

Der Weltbild Verlagsgruppe, die den E-Book-Reader verkauft, ist ein sehr seltsames Unternehmen. Es hat etwa 6.500 Mitarbeiter_innen [2010] und erzielt einen Umsatz von 1,65 Milliarden Euro [2009/2010]. Gesellschafter sind zwölf katholische Bistümer in Deutschland, dazu der Verband der Diözesen Deutschlands und die Soldatenseelsorge Berlin. Seit 2008 gab es eine Debatte über das angebliche Angebot an „Sexbüchern, gewaltverherrlichenden, esoterischen, magischen und satanischen Schriften“, das mit einem katholischen Verlag unvereinbar sei. Der Beschluß der Deutschen Bischofskonferenz aus dem Jahr 2011, sich von diesem Verlag zu trennen, wurde nie umgesetzt, statt dessen beschloß die Gesellschafterversammlung im Juni 2012, sämtliche Anteile an der Verlagsgruppe Weltbild in eine neu zu gründende gemeinnützige kirchliche Stiftung öffentlichen Rechts einzubringen [vgl. Seite Verlagsgruppe Weltbild. In: Wikipedia, Die freie Enzyklopädie. Bearbeitungsstand: 16. Dezember 2012, 13:26 UTC. URL: http://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Verlagsgruppe_Weltbild&oldid=111731027 (Abgerufen: 2. Februar 2013, 14:01 UTC)]. Darüber ist allerdings auf der Homepage der Verlagsgruppe (Stand JAN 2013) nichts zu finden. Auch verschweigt das Unternehmen die Höhe seiner Gewinne.

Der von der Verlagsgruppe vertriebene E-Book-Reader wird von der Firma TrekStor zwar entwickelt, die Herstellung aber erfolgt in China, was auf dem E-Book-Reader auch unschwer zu erkennen ist. Und selbst wenn von der avisierten Weltbild-Verlagsstiftung die mit diesem Geschäft erzielten Gewinne für gemeinnützige Zwecke verwendet würden, stellt sich dennoch die Frage, wie diese Gewinne erzielt werden: Auf Kosten von unterbezahlten Chines_inn_en ohne freie gewerkschaftliche Organisationsmöglichkeit in einem Staat, der es mit Menschenrechten nicht so genau nimmt? Und wie sieht es mit der Ökobilanz des Produktes aus: Welche Rohstoffe werden verwendet, woher kommen die, wie gesundheitsschädlich ist die Fertigung, was passiert, wenn das Gerät eines Tages recyclet werden muß? Und überhaupt, wie lange halten diese Geräte? Warum ist im E-Book-Reader keine Solarzelle zum Aufladen implementiert? Fairerweise sei angemerkt, dass Anforderungen dieser Art auch bei anderen Elektronikprodukten nur selten gestellt oder diskutiert werden. Aber Fragen wie diese müssen an Masenartikel heutzutage gestellt werden, um sie beurteilen zu können.

[Fazit] Der E-Book-Reader mag in Ordnung sein für Menschen, die ein Buch nach dem anderen Lesen und die bereit sind, für einen einfachen Download auf E-Book-Portalen (unverhältnismäßig viel) Geld zu bezahlen. Ich bin Wissenschaftler, der mit vielen Büchern arbeiten muß, bekennender Fan von kostenlosen Open-Source-Lösungen und auch nicht bereit, im digitalen Zeitalter viel Geld für Bücher zu zahlen. Als Arbeitsinstrument ist dieser E-Book-Reader für mich nicht wirklich sinnvoll, und als Freizeit-Tool hatte ich wenig Freude daran. Damit dürfte es meinem E-Book-Reader so gehen wie den meisten anderen auch: Nach einer aktuellen Statistik landen bis zu 80% aller E-Book-Reader unbenutzt in der Schublade. Ein sehr praktischer Hinweise darauf, dass sich diese Technik wahrscheinlich nicht durchsetzen wird. Ich allerdings werde mit meinem Rezensionsexpemplar etwas anderes machen: Ich werde es dem Leihladen Pankow zur Verfügung stellen und dann mal weiter verfolgen, ob und wie dieses Ding angenommen wird, oder auch nicht. Ich persönlich werde mich mal weiter nach einem Tablet umsehen oder nach einem großen I-Phone, oder aber ich werde das tun, was ich jetzt auch schon mache: Texte entweder auf meinem Notebook lesen oder aber in Papierform – als Buch oder als Ausdruck.

[Vision] Träumen würde ich von einer A4 großen entspiegelten Folie, die, solarbetrieben, alles an Buch- und Textseiten abbilden kann, was mir so unter die Finger gekommen ist, vom Fotobildband über Roman bis hin zum Manuskript. Eine solche Lese und Schreibfolie müsste nicht nur absolut wasserunempfindlich, sondern selbstverständlich auch vollständig durch Gesten steuerbar sein: Umblättern, Markierungen und Anmerkungen setzen, Lesezeichen anbringen, Kontexte zeigen, Zitate entnehmen. Die würde ich dann in die Badewanne mitnehmen – und bei einem schönen Schaumbad nochmal in Ruhe »Vom Winde verweht« lesen.

Berlin, 02.02.2013

Dr. Stefan Schneider

[Abbildung] Hector Hodler Bibliothek 1963, England
http://commons.wikimedia.org/wiki/File:1963-BHHk.jpg

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