[Barrieren] In meiner Zeit als Bürgerdeputierter und später als Bezirksverordneter im Berliner Bezirk Pankow war ich ein gutes Jahrzehnt lang aktiv und dabei zuständig für den das große Politikfeld Soziales. Dem zugeordnet war auch der Bereich der Behindertenarbeit. Direkt beim Bürgermeister angesiedelt war die Stelle des Behindertenbeauftragten, der zusammen mit dem bezirklichen Behindertenbeirat die Schwerpunkte seiner Arbeit vorstellte. Das war eine wirkliche Querschnittsaufgabe, und der Handlungsplan mit den einzelnen Zielen, die umgesetzt werden sollten, war ausgesprochen umfangreich und komplex. Eines der ersten Dinge, die ich lernte, war, nicht von behindertengerechten Zugängen, Straßen, Plätzen usw. zu sprechen – um nicht immer wieder den Aspekt der Behinderung zu thematisieren – sondern statt dessen von barrierefreien oder – präziser – barrierearmen Zugängen zu sprechen. Allein schon dieser Begriff veränderte maßgeblich die Perspektive. Es war augenscheinlich, dass der Abbau von Barrieren mehr Lebensqualität für alle bedeutete. Straßenkreuzungen, die besser einsehbar und mit abgesenkten Bordsteinkanten und einem Blindenleitsystem auf der Straße versehen waren, erhöhten die Verkehrssicherheit nicht nur für Rollstuhlfahrer und Gehbehinderte, Blinde und Sehbehinderte, sondern erleichterten auch Kindern und Famlilien mit Kinderwagen die Straßenquerung. Auch die Verkehrsbetriebe konnten davon überzeugt werden, auf allen U-Bahnstationen endlich Aufzüge einzubauen, was sie auch, mit einigen Jahren Verzögerung, dann flächendeckend taten. Als ich ich Jahr 2009 mit einem gebrochenen Bein durch die Stadt krückte, konnte ich mich von den Vorteilen von Aufzügen höchstpersönlich überzeugen, aber auch von niederflurigen Straßenbahnen und Bussen mit Neigetechnik.
[Teilhabe] Enthinderung und der Abbau von Barrieren ist aber nicht nur eine technische und bauliche Herausforderung, sondern muß selbstverständlich auf Teilhabe zielen in den Lebensbereichen Soziales, Politik, Bildung, Kultur und Kunst. Im Zuge des demographischen Wandels wurde beispielsweise die Anschaffung von Büchern mit Großbuchstaben diskutiert, ein Blindenleitsystem auf den Ämtern und weitere Erleichterungen für Blinde und Sehbehinderte. Als ich vor einigen Jahren einmal zu einem Essen in einem Dunkelrestaurant eingeladen war, wurde mir sehr schnell die enorme Einschränkung deutlich, mit denen Blinde zurecht zu kommen haben. Das hat mir noch einmal mehr die Bedeutung von Angeboten wie Hörbücher und Hörspiele deutlich gemacht. Auch im Internet gibt es bereits seit Jahren stetig wachsende Portale, auf denen teilweise kostenlos Hörbücher und Hörspiele zum Download zur Verfügung gestellt werden. Nicht ganz zur Unrecht wird in diesem Zusammenhang gerne vom Kino für blinde Menschen gesprochen, wie ich in einem Beitrag im Internet gelernt habe. Und mit Sicherheit kein Zufall ist es, dass einer der bedeutendsten Preise, die für Hörspiele verliehen werden, der Hörspielpreis der Kriegsblinden ist. Und auch ich kann mich daran, wie ich in meiner Kindheit fasziniert am Radio hing, wenn Samstag vormittag im RIAS-Berlin eine neue Folge von Damals war’s – Geschichten aus dem alten Berlin gesendet wurde. Diese Hörspielreihe könnte eigentlich mal wiederholt werden. Aber den RIAS gibt es ja nicht mehr.
Berlin, 12.12.2012
Stefan Schneider
[Abbildung] Girl listening Radio - Quelle WikiCommons
http://commons.wikimedia.org/wiki/File:Girl_listening_to_radio.gif