[Kundenbindung] John D. Rockefeller gilt als einer der ersten Multimillionäre. Er machte seine Millionen, in dem er die von seiner Firma entwickelten Petroleumlampen mehr oder weniger verschenkte. Was auf den ersten Blick wie ein schlechter Witz anmutet, war in Wirklichkeit eine kühl kalkulierte unternehmerische Investition. Natürlich rissen ihm die Amerikaner (und später die Chinesen) in den 1880er Jahren seine Petroleumlampen aus den Händen. Und dann stellten die Benutzer_innen wenig später fest, dass diese Lampen hervorragendes Licht erzeugten – wenn sie das ebenfalls zufälligerweise im Laden erhältliche Petroleum von Standard Oil verwendeten. Mit dem bisher verwendeten Pflanzenöl brannten die Lampen weniger gut. Ein Musterbeispiel für eine Produktspezifizierung mit dem Ziel, Käufer_innen an sich zu binden. Rockefeller war sicher nicht der erste und lange nicht der letzte, die dieses Prinzip anwandte.
[Verwertungslogik] Als wir gute 100 Jahre später in der Werkstatt Computer und Bildung an der Hochschule darüber witzelten, dass einige Nutzer_innen den PC im Grunde nur als digitale Schreibmaschine nutzen, hatten wir die Vision von einem allseits programmierbaren Automaten vor Augen, der alles können könnte, was Menschen jeweils gekonnt haben und können würden – nur sehr viel schneller und fehlerfreier. Ein Blick auf die gegenwärtige Durchdringung immer neuer Lebensrealitäten durch digitale und global vernetzte Rechnertechnik zeigt, dass diese Vision in greifbare Nähe gerückt ist, und niemand kann so ganz genau sagen, ob dies nun ein wirklich gewordener Traum oder doch eher ein Alptraum sein wird. Die Anwendung mächtiger Algorithmen auf privaten Servern einiger Konzerne, die durch jeden Klick, jedes Like, jeden Upload, jede Suche, jeden Kauf mehr über uns wissen und dieses Wissen zu verwerten gedenken, zeigt, dass wir es nicht zu mehr als jenem digitalen Kapitalismus gebracht haben, den Peter GLOTZ bereits 1999 beschwor.
[Handlungsfreiheit] Proprietäre Technik ist das Stichwort, über das wir in diesem Zusammenhang reden müssen. Es ist eine Strategie zur Sicherung von Profiten, und sieh hat das Potential, weil im Hintergrund große Geldmengen bewegt werden, auch globale Standards festzusetzen. Wir sehen häufig eine Bequemlichkeit von Kunden, die gar nicht so genau wissen wollen, was hinter dem Produkt steckt und wie es funktioniert. Wir haben auf der anderen Seite Kunden, die sagen, mit dem Kauf ist ein Produkt vollständig in mein Eigentum übergegangen und das beinhaltet, vollkommen frei damit umgehen zu können. Im Fall vom Apple I-Phone beispielsweise hilft iPhone 4S Unlock, die Handlungsfreiheit der Nutzer_innen wieder herzustellen. Denn gesellschaftlicher Fortschritt kommt in der Regel dadurch zustande, dass Menschen mit einer Situation unzufrieden sind und andere, neuere, bessere Lösungen anstreben. Oder beleuchtet irgendjemand seine Wohnung heute noch mit einer Petroleumlampe?
Berlin, 22.11.2012
Stefan Schneider
[Literatur] Glotz, Peter: Die beschleunigte Gesellschaft. Kulturkämpfe im digitalen Kapitalismus. Kindler, München 1999.
[Abbildung] Standard Oil Refinery No. 1 Cleveland, Ohio 1889 - Quelle: WikiMedia