Skulptur Koppenplatz Berlin - Der verlassene Raum - Quelle: WikiCommons[Eindruck] Dass ein Stuhl mehr ist als nur ein Sitzmöbel, das war mir schon sehr früh bewusst. Bei allen nur erdenklichen Situationen war zu beobachten, dass Personen, die eine besondere Rolle für sich beanspruchten, stets einen besonderen Stuhl hatten, der häufig auch an einem herausragenden Ort stand. Diese Stühle waren in der Regel außerordentlich groß und hatten vor allem Rückenlehnen, die imposant wuchtig waren und in den meisten Fällen den Sitzenden deutlich überragten. Das war schon klar: Die Person sollte durch den Stuhl noch größer gemacht werden. Auch das Arrangement war häufig so gewählt, dass diese Person isoliert war von den anderen, die sich ihm gegenüber befanden und häufig in stehender Position ausharren mussten. Oder deutlich kleinere Stühle hatten. Oder wenigstens weniger hohe Stuhllehnen. Ein Stuhl, so war mir klar, kann ein – kleines aber wichtiges – Instrument von Macht und Herrschaft sein.  

[Statement] Da war ich nun zum Schulsprecher am Hugo-Eckener-Gymnasium in Berlin-Mariendorf gewählt worden wollte auch einen besonderen Stuhl haben. Irgendwo in einer Ecke fand ich noch einen alten, wurmstichigen knarzigen Holzstuhl, auf dessen Lehne ich Chairman pinselte und den ich fortan immer mit mir mitschleppte, da die Unterrichtsräume beständig wechselten. Das war der ausschließlich mir vorbehaltene Stuhl und das sollte bitteschön respektiert werden. Als ich später am Lehrstuhl für systematische Pädagogik wissenschaftlicher Mitarbeiter war, fiel mir sofort auf, dass auch Georg Rückriem eine Vorliebe für solche Understatements hatte. Er arbeitete an einem simplen, an der Wand stehenden Tisch und nutzte dazu einen ganz gewöhnlichen Bürostuhl wie alle anderen auch – und dabei war er immerhin Institutsleiter und Professor.  

[Selbstverständnis] Später in meiner Zeit als gewählter geschäftsführender Vorsitzender bei einer Selbsthilfeorganisation nahm ich diese Tradition wieder auf. Ich hatte einen simplen Holzhocker vor einen an der Wand stehenden Schreibtisch in einem Büro, dass ich mir mit meinen Mitarbeitern teilte. Es kam mir darauf an, zu zeigen, dass es bei zeitlich begrenzten, demokratisch legitimierten Leitungspostionen eben nicht darauf ankommt, durch Äußerlichkeiten und Arrangements einen bestimmten Eindruck zu erzeugen und einen Status gegenüber anderen auszudrücken. Mit ging es darum, deutlich zu machen, dass Chef-Sein eine Arbeit ist wie jede andere auch und dass mir alle dabei zusehen dürften. So zu arbeiten hat mir großen Spaß gemacht – auch wenn es oftmals sehr belastend war, sich mich den sogenannten Detail auseinander zu setzen. Aber mir war klar – und mir wurde auch oft genug klar gemacht – dass, wenn die Details nicht stimmen, auch die große unternehmerische Linie nicht stimmen würde. Und umgekehrt. Und deshalb – in einer Chefsessel Übersicht – ist derjenige Chefsessel am Besten, der am bequemsten bei der Arbeit ist. Und die ist vielfältig. Angefangen von der Büroarbeit am Schreibtisch über das Nachdenken und Zuhören bis hin zum Sitzplatz bei Besprechungen, Konferenzen oder Sitzungen, bei denen es oftmals hoch hergeht. In diesem Sinne hat bisher noch jeder Stuhl seinen Chef gefunden – oder umgekehrt. Mein Chefsessel war stets ein einfacher Holzstuhl.

 Berlin, 19.07.2012

Stefan Schneider

Abbildung: http://de.wikipedia.org/wiki/Datei:Koppenplatz_Der_verlassene_Raum.jpg

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