Aussichten. Mein Freund Manni aus Erkenschwick war schon in jungen Jahren ein begnadeter Handwerker und Bastler. Wir kamen immer zu ihm, wenn irgendetwas nicht funktionierte, sei es das Fahrrad oder das Kofferradio. Sein Werkzeugvorrat war einfach gigantisch und er fand für jedes Problem eine Lösung. So wunderte es mich auch nicht, dass er später ein Werkzeugfachgeschäft eröffnete. Manni war in seinem Element. In acht Jahren, so hoffte er, hätte er seinen Kredit abbezahlt, und mit 40 wollte er sein Haus gebaut haben. Manni war allseits beliebt, weil er den Kunden immer auch den einen oder anderen Tipp mit auf den Weg geben konnte, egal ob es jetzt um Betonfundamente, Abflussrohre oder eine Antenneninstallation ging.
Abzahlen. Alles änderte sich schlagartig, als die neue Umgehungsstraße gebaut wurde. Denn dort, unmittelbar am Zubringer, entstand auch ein riesiges Einkaufszentrum und dazu ein gigantischer Baumarkt. So erwischte es nicht nur den den Bäcker, den Zeitungsladen und das Lebensmittelgeschäft in seiner Straße, eines Tages musste auch Manni aufgeben. Denn alle fuhren jetzt zum Einkaufszentrum und kauften auch ihr Baumaterial dort ein. So stand er da mit 40.000 € Schulden. Vor sechs Jahren kam er nach Berlin heuerte bei einer kleinen Sanitärinstallationsfirma an und begann, seine Schulden abzubauen. Das war langsam und mühevoll, denn die Konkurrenz war groß und der Lohn niedrig. Große Sprünge waren da nicht drin.
Ausfahren. Letztens wollte Manni dann doch mal zwei Wochen Urlaub machen. Tapetenwechsel. Er überlegte lange, ob er mit einem Kredit trotz Schufa eine kleine Pauschalreise nach Mallorca machen sollte. Dann aber borgte er sich von mir das Fahrrad, schnallte ein paar Klamotten, seinen Schlafsack und ein Zelt auf den Gepäckträger und machte sich auf den Weg zur Ostsee. Dort kam er auch nach vier Tagen an. Irgendwo in der Nähe von Boltenhagen schlug er in den Dünen sein Zelt auf. Neun Tage ging alles gut und Manni erholte sich prima. Bis die Mitarbeiter vom Ordnungsamt kamen. Sie fragten nach der Kurtaxe und verlangten ein Ordnungsgeld wegen wildem Campen in den Dünen. Manni gab sich einsichtig und zückte seinen Ausweis. Die Beamten schrieben alles ab und Manni versprach, unverzüglich sein Zelt zu beräumen und seine Schuld zu begleichen. So ging ein preisgüstiger Urlaub vorzeitig zu Ende. Die Post von Ordnungsamt hat Manni aber nie erhalten – in Erkenschwick hatte er sich längst abgemeldet.
Berlin, 27.03.2012
Stefan Schneider
Abbildung: http://commons.wikimedia.org/wiki/File:Darss_K%C3%BCste.jpg?uselang=de