Stoßgebete. Zu den traumatischen Erlebnissen meiner Kindheit gehörte der Schulsport. Eigentlich kam ich mit den Anforderungen ganz gut zu recht – Laufen, Ballspiele, Weitsprung – bis eines Tages das Thema Geräteturnen auf der Tagesordnung stand. Mir war das unheimlich, und sicherheitshalber stellte ich mich in der Schlange möglichst weit hinten an, in der Hoffnung, es könnte in der Zwischenzeit irgendetwas passieren, was mich von dieser Aufgabe erlöste. Das war dann in ganz ganz seltenen Fällen das Pausenklingeln. Und die hämischen Kommentare der Mitschüler taten ein übriges, um mir alle Freude zu nehmen. Guck mal, die Nulpe, der schafft das nicht! - das war das, was wir zu hören bekamen, ich und die anderen drei, vier Mitschüler, die sich fortan um die letzten Plätze stritten. Verängstigt, verkrampft, verunsichert – Sport- und Bewegungsförderung sieht sicher anders aus. Es gelang mir zwar noch einigermaßen, irgendwie über diesen niedrigen Bock hinweg zu kommen, aber sobald der Kasten aufgebaut war, war das für mich ein böses drohendes Hindernis. Ich hatte buchstäblich keine Vorstellung davon, wie ich über das Ding kommen sollte und, was fast genauso schlimm war, warum ich das können sollte. Das wurde mir auch nie erklärt und ich weiß es bis heute nicht. Also klatschte ich mehr oder weniger regelmäßig und unbeholfen in den Wintermonaten auf diese Geräte, holte mir blaue Flecken und litt still vor mich hin. Ich erinnere mich noch genau an meine Stoßgebete aus diesen Jahren: Lieber Gott, bitte mach, dass heute Sport ausfällt und wenn nicht, dass wenigstens kein Geräteturnen ist! Leider wurden diese Gebete fast nie erhört. Schon der Abend vor der Schulsportstunde war mir verleidet, denn ich musste die ganze Zeit daran denken, was am nächsten Tag schlimmes auf mich zu kommen könnte.
Rolle rückwärts. Die andere Perspektive auf dieses Thema ist, dass es natürlich Schüler gab, denen diese Übungen ausgesprochenen Spaß machten und die begierig darauf waren, ständig vor neue Herausforderungen gestellt zu werden. Ohne Angst – aber zunächst mit Hilfestellung – wagten sie sich an immer schwierigere Übungen. Ich hatte keine Schwierigkeiten, diese Leistungen anzuerkennen, denn mir war ja auch klar, dass um so intensiver die begabten Schüler übten, ich mich nicht mit diesen Folterinstrumenten auseinander setzen musste. In unseren modernen Zeiten gibt es inzwischen sogar eine Comunity Stipendium USA mit Uniexperts, die sich an Schüler und Studenten richtet, die über ihre sportlichen Leistungen ein Sportstipendium für die USA bekommen möchten. Dieses Portal erhöht die Chancen der Kandidaten in Form von individueller Beratung und Hilfestellungen. Meine Hilfestellung für einen Ausweg aus meiner Misere war, dass ich Jahre später im Gymnasium dann offen erklärte, dass mir diese Übungen Angst machten und dass ich mich gar nicht wohl fühlte. Der Lehrer verstand das Signal und erklärte mir, ich solle einfach das machen, was ich mir zutraute. Ich zeigte dann so vertraute Übungen wie Rolle rückwärts auf der Matte und sprang sogar – bei den Bundesjugendspielen – beherzt über einen niedrig eingestellten kleinen Bock. Dass ich später im Leben dann doch noch ganz andere Hindernisse überwinden würde, ist ein anderes Thema.
Milanowek, 16.03.2012
Stefan Schneider
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