Entfernung. Der Freundschaftsverein Berlin – Mersin war an einer Städtepartnerschaft zwischen dem Berliner Bezirk Pankow und der Stadt Mersin interessiert und organisierte eine einwöchige Fahrt einer großen Delegation in diese, weit im Osten der Türkei am Mittelmeer gelegenen Stadt mit einem ebenso interessanten wie anspruchsvollen Besuchs- und Begegnungsprogramm. Bei einem Termin mit einer Frauenorganisation fiel sie mir auf: Sie war vielleicht Anfang dreißig, klein, fast zierlich, hatte schulterlange braune Haare, trug eine randlose Brille und hatte tiefbraune Augen und ein schönes, offenes und markantes Gesicht. Viel mehr noch als ihr Äußeres imponierte mir ihr selbstbewusstes Auftreten – sie unterbrach die ständig redenden türkischen Männer und erklärte, dass es völlig überflüssig sei, dass Männer in einem Frauenprojekt irgendwelche Erklärungen zur Rolle der Frau in der Türkei abgäben. Das könnten türkische Frauen besser und durchaus authentischer. Später erfuhr ich, dass sie Anwältin war, überaus kniffelige Fälle vertrat und oft in Ankara zu tun hatte. Wir tauschten Visitenkarten aus und ich merkte mir ihren Vornamen: Aslihan. Sie war eine außergewöhnliche Frau, aber ich bin Realist und mir war jede Minute bewusst, dass ich schon bald tausende Kilometer entfernt in Berlin sein würde.
Empörung. Diese Begegnung hätte ich fast vergessen, wenn nicht für einige Monate später ein Gegenbesuch der Mersiner Delegation angekündigt gewesen wäre. Ich hatte keine Ahnung, ob sie Mitglied der Delegation war und ging zum ersten Treffen eigentlich nur deshalb, weil ich die Hoffnung hatte, das sie dabei sein könnte. Es war eine Annäherung ohne viele Worte. Sie wollte in den Arm genommen werden – ihr war kalt. Auf dem Weg zu ihrem Hotel in irgendeiner verlassenen Gegend in Marzahn gingen wir Arm in Arm im Nieselregen, und als wir uns spät abends dem Hotel näherten, in dem ihre Delegation untergebracht war, verlangsamten wir unsere Schritte und blieben auf der Brücke stehen. Wir küssten uns, und es war einer der Momente, in denen ich wünschte, die Zeit anhalten zu können. Am übernächsten Tag verabschiedete ich Sie in aller Frühe auf Flughafen mit einer Rose. Mit dem Fahrrad fuhr ich durch strömenden Regen und war klitschnass bis auf die letzte Faser, aber dieser Abschied war es mir wert. Später hörte ich, dass sie viel Kritik für ihr Verhalten anzuhören hatte – weil sie nicht am offiziellen Programm der Delegation teilnahm, sondern sich stattdessen mit mir herumtrieb.
Enttäuschung. Natürlich war ich mächtig enttäuscht, dass sie sämtliche Versuche, sie in der Türkei zu besuchen, abblockte und von mir höflich aber bestimmt nichts mehr wissen wollte. Es brauchte einige Monate, bis ich verstand und auch akzeptieren konnte, dass es ihr um das erotische Erleben ging und nicht darum, eine Beziehung aufzubauen. Mich wiederum reizte die Möglichkeit einer Beziehung zu einer emanzipierten, schönen Türkin und das daraus resultierende Abenteuer des Lebens und der Auseinandersetzung mit einer ganz anderen Kultur. Heute habe ich die Begegnung mit ihr in positiver Erinnerung - und Asli ist verheiratet und Mutter eines Kindes.
No borders. Nicht immer ergibt sich aus einer von gegenseitiger Anziehung getragene Begegnung eine kurze erotische Episode oder eine längere Beziehung. Gerade für Menschen, die einen ernsthaft und dauerhaft einen Partner finden wollen, gibt es gute Gründe, gezielt im Internet auf einem Portal der Partnervermittlung zu suchen, vor allem dann, wenn dieses Portal Menschen aus unterschiedlichen geografischen Orten zusammen bringen will. Natürlich bleibt die Frage im Raum, welches die jeweiligen Motive, Ziele und Hintergründe sind, die die jeweiligen Partner verfolgen und ob das gut zueinander passen kann. Und natürlich kommt oftmals die kulturelle Differenz in Werten, Normen, Gebräuchen, Sitten und Traditionen als weitere Herausforderung hinzu, an der sicher nicht wenige scheitern. Aber die Erfahrungen und die Möglichkeiten, den eigenen Horizont zu erweitern, sind es sicher wert, dieses kleine Risiko einzugehen. Denn Liebe kennt keine Grenzen.
Düsseldorf, 14.03.2012
Stefan Schneider
Dieser Text wurde parfümiert.