In meiner Studienzeit habe ich mich nicht nur mit Pädagogik und den angrenzenden Sozialwissenschaften sowie Theologie befasst, sondern auch mit Kunst bei der Firma Kunsttransporte Belaj. Das war gar nicht mal ein schlechter Job, wir trudelten so gegen halb neun ein, checkten die LKWs, bekamen unsere Kundenzettel in die Hand gedrückt und donnerten los. Manchmal war ich auch für zwei, drei oder vier Tage unterwegs durch Deutschland. Dabei gab es ein paar Gesetzmäßigkeiten: Immer wenn wir glaubten, einmal früh Feierabend zu haben, kam noch mindestens ein Auftrag rein, wenn wir gebeten wurden, noch mal schnell nur zwei oder drei Bilder abzuholen waren es meistens zwanzig oder dreißig, und große und schwere Bilder waren eigentlich grundsätzlich nur in Ateliers im Dachgeschoss abzuholen, passten in keine Aufzüge und mussten umständlich und kräftezehrend durch enge Treppenhäuser bugsiert werden, während kleine und leichte Bilderchen in der Regel im Vorderhaus Parterre abzuholen waren. Freundliche Künstler_innen und Galerist_innen mit Verständnis für die schwere Arbeit, die einem einen Kaffee und Kekse anboten und ganz selbstverständliche Einblicke in Ihre Arbeitsweise gewährten waren ebenso dabei wie arrogante und hochnäsige Leute, für die wir nur lästiges Fußvolk waren.
Für den Philosophen Lew Wygotski ist Kunst die Vorwegnahme dessen, was noch nicht gesagt werden kann, für das es noch keine Worte gibt. Das begriffen selbst wir und waren stets neugierig, welche Aussage, welche Position, welches künstlerische Statement uns beim nächsten Auftrag erwarten würde. Und während wir so Bilder und Skulpturen verpackten, schleppten, stapelten, stauten, zwischenlagerten und umpackten und kreuz und quer durch die Lande karrten, lernte ich, dass die in den Museen und Galerien gezeigte Kunst mehr ist als nur ein exklusives Geschäft mit den feinen Unterschieden. Damals gab es noch kein Internet, aber es ist naheliegend, dass das gewerbliche Geschäft mit den Objekten der Kunst auch im world-wide-web Einzug halten würde.
Ich kann mich an viele Künstler nicht mehr erinnern und deshalb auch nicht sagen, ob ein James Rizzi Bilder dabei waren, aber neulich in Tel Aviv bei einem Spaziergang am Strand fand ich eine Skulptur, die mir bekannt vorkam und nach einigen Recherchen fand ich den Künstler, dessen schwere Granitblöcke ich damals bewegt hatte. Es war Ilan Averbuch, und mit dem bin ich heute bei Facebook befreundet und werde ihn hoffentlich kommenden Mai in New York wieder treffen können.
Milanowek bei Warschau, 13.01.2012,
Stefan Schneider
Inspiriert durch night rider.