Kampagne Noteingang Berlin

Im November 2000 wurde die Kampagne Noteingang – in Anlehnung an eine Brandenburger Initiative – in Berlin von Bündnis 90 / Die Grünen mit dem Gesamtverband des Einzelhandels Berlin (GdE), dem Internationalen Bund (IB) – Freier Träger der Jugend-, Sozial- und Bildungsarbeit e.V., dem Türkischen Bund Berlin Brandenburg e.V., der Vereinigung Türkischer Reiseagenturen Berlin (BETÜSAB) sowie des Berliner Landesverbandes der SPD  am 24.11.2000 als gemeinsame Aktion gegen Fremdenfeindlichkeit und Rassismus gestartet.


Der Aufkleber

Was ist Sinn und Ziel der Berliner “Kampagne Noteingang”?

Die Kampagne Noteingang ist sicherlich nicht die eine Maßnahme, mit der sich das Problem der rechtsextremen und rassistischen Gewalt schnell und komplett beseitigen ließe. Solch eine Maßnahme gibt es nicht. Sie ist aber eine Initiative, die sich bestimmter Teilprobleme annimmt und den Bürgerinnen und Bürgern in Berlin eine Möglichkeit bietet, sich gegen den Rechtsextremismus zu positionieren. Das Symbol, der leuchtendrote Aufkleber mit der Aufschrift “Wir bieten Schutz vor fremdenfeindlichen Übergriffen”, erfüllt dabei mehrere Funktionen:

  1. Sensibilisierung für das Problem der Fremdenfeindlichkeit in Berlin
    Viele Menschen in Berlin wollen das Problem der Fremdenfeindlichkeit und der rassistischen Gewalt in ihrer Stadt nicht wahrhaben. Man verdrängt entweder das Problem oder verweist auf Brandenburg oder andere Gegenden, wo ja ‚alles viel schlimmer‘ sei. Das mag verständlich sein, ist aber gefährlich. Die meisten deutschen Mitbürgerinnen und Mitbürger bekommen diese Probleme nur über die Medien und das Fernsehen mit, selten aus eigener Erfahrung. Der Aufkleber, wenn er häufig genug im Stadtbild auftaucht, soll den Leuten bewusst machen, dass das Problem auch in ihrem unmittelbaren Lebensumfeld präsent ist. Das mag schmerzlich sein, ist aber nötig. Nur wenn sich die Menschen des Problems als solchem – und als ein Problem ihrer eigenen Umgebung - bewusst sind, kann die Bereitschaft zur Initiative entstehen.

  2. Herstellung von Gesprächsbedarf und –bereitschaft
    Die Auseinandersetzung mit dem Problem setzt eine Anerkennung der Situation als Problem voraus. Wenn dies geschehen ist, werden die Menschen über das Thema sprechen. Die Gespräche beginnen bereits in der Belegschaft der Betriebe, die sich entschließen, den Aufkleber anzubringen, Gespräche finden zwischen Kundinnen und Kunden sowie den Angestellten der Läden und Betriebe, der Behörden und Organisationen statt, die sich beteiligen. Diese Gespräche werden sicherlich vollkommen unterschiedlich verlaufen, je nach Situation und Ausgangslage. Dies ist ein wesentlicher Unterschied zur Aktion Noteingang in Brandenburg, wo die Gespräche zwischen Initiative und Ladenbesitzerinnen und Ladenbesitzern im Mittelpunkt standen. Dies ist in Berlin nicht so. Von uns werden diese Gespräche an Aktionstagen, bei denen wir Ladenbesitzer und Passanten ansprechen und über die Kampagne informieren, angestoßen.

  3. Förderung des subjektiven Sicherheitsgefühls bedrohter Gruppen
    Je mehr Aufkleber in Berlin hängen, um so größer wird das Sicherheitsgefühl von Angehörigen potentiell bedrohter Opfergruppen, also aller Menschen, die nicht in das beschränkte Weltbild der Rechtsextremisten und Rassisten  passen, da sie wissen, wo sie Hilfe finden können. Doch nicht erst im Ernstfall ist das Schild wichtig; es symbolisiert auch im Alltag Solidarität mit den bedrohten Gruppen.
    Angst macht Opfer. Wenn wir diese Angst verringern können, betreiben wir Opferprävention.

  4. Verunsicherung rechtsextremer Gesinnungsträger und potentieller Gewalttäter
    Im Gegenzug wird rechtsextremen/rassistischen Gewalttätern signalisiert, dass sie nicht auf das stillschweigende Einverständnis einer gesellschaftlichen Mehrheit bauen können, sondern dass ihr Verhalten abgelehnt wird. Es gilt, die ‚Schweigende Masse‘ dazu zu bewegen, Stellung zu beziehen. Der Aufkleber bietet eine Möglichkeit dazu, ebenso wie der “Pin” (s.u.).

  5. Symbolische Solidarisierung mit den Opfern rechtsextremer / rassistischer Gewalt
    Der Aufkleber soll zudem eine Solidarität mit den Opfern signalisieren, ein “so geht es nicht weiter” zum Ausdruck bringen. Gewaltopfer brauchen Solidarität, sie dürfen nicht alleine gelassen werden mit dem Gefühl, die Menschen in diesem Land interessierten sich nicht für ihr Schicksal. Es muss immer wieder klargemacht werden, dass rassistisch motivierte Überfälle einen schwer wiegenden und nicht hinnehmbaren Angriff auf die Menschenwürde darstellen.

Der Noteingangs-Pin


Der Pin ist ein kleiner Anstecker in Form des Männchens, das auf dem Aufkleber dargestellt ist. Man trägt ihn, um seine Einstellung deutlich zu machen und Solidarität zu demonstrieren, ähnlich dem “Red Ribbon”, der roten AIDS-Schleife. Des Weiteren ist er auch ein Zeichen dafür, dass die jeweilige Person in der konkreten Gefahren- und Bedrohungssituation Hilfe leistet (auch wenn es “nur” das Rufen der Polizei oder das Ziehen der Notbremse ist).

Vor allen Dingen jedoch bietet der Pin Privatpersonen die Möglichkeit – im Gegensatz zu den Aufklebern, die ja meist Geschäftsinhabern vorbehalten sind – Stellung zu beziehen und Gesicht zu zeigen.

Im Laufe der Kampagne konnten eine ganze Reihe von UnterstützerInnen gewonnen werden. Eine stets aktualisierte Liste findet sich im Internet auf unserer Homepage www.kampagne-noteingang-berlin.de . Hier seien nur einige wenige genannt: BVG, S-Bahn Berlin GmbH, die Berliner  Apothekerkammer, die Evangelische Kirche in Berlin und Brandenburg, die SPD, Bezirksämter mehrerer Berliner Bezirke, die Humboldt-Universität Berlin, das Studentenwerk sowie eine ständig steigende Anzahl von Berliner Schulen.


Wie beteiligt man sich an der Kampagne Noteingang?

Sämtliches Infomaterial, den Pressespiegel, die Aufkleber sowie den Pin und die “Grüne Karte Nr.1” kann man über die Kampagne gegen Rechtsextremismus bei der Berliner Landesgeschäftsstelle von Bündnis 90 / Die Grünen beziehen: Oranienstrasse 25, 10999 Berlin, Tel: 615 005-30, -72, Fax: 615 005 66. Bestellungen können Sie zudem per Internet unter www.kampagne-noteingang-berlin.de tätigen. Aufkleber u.a. können aber auch während der Bürozeiten der Landesgeschäftsstelle (Mo-Fr 11:00 – 16:00) abgeholt werden. Aufkleber (Euro 0,24), Pins (Euro 0,25) und die “Grüne Karte Nr.1-3” (je Euro 0,15) werden zum Selbstkostenpreis abgerechnet, zzgl. Versandkosten. Die Bezahlung erfolgt per Rechnung oder (bei Selbstabholung) durch Barzahlung. 


Wie können Sie sich in einer Bedrohungssituation verhalten?

  1. Vorbereiten!
    Bereiten Sie sich auf mögliche Bedrohungssituationen – egal, ob Sie nun Opfer oder Zeuge sind - innerlich vor. Spielen Sie Situationen für sich allein und im Gespräch mit anderen durch. Es ist gut, auf Eingeübtes zurückgreifen zu können, da alles relativ schnell ablaufen wird.

  2. Ruhig bleiben!
    Machen Sie möglichst keine hastigen Bewegungen; ein sich bedroht fühlender Angreifer kann mitunter noch brutaler werden. Durch ruhiges Auftreten Ihrerseits entziehen Sie dem anderen den Angriffspunkt.

  3. Nicht drohen oder beleidigen!
    Machen Sie keine geringschätzigen Äußerungen über den Angreifer. Kritisieren Sie sein Verhalten, aber werten Sie ihn nicht persönlich ab.

  4. Gehen Sie die Ihnen zugewiesene Opferrolle nicht ein!
    Wenn Sie angegriffen werden, flehen Sie nicht und verhalten Sie sich nicht unterwürfig. Der Täter könnte sich hierdurch unter Umständen als Herr der Situation bestätigt fühlen. Ergreifen Sie die Initiative, agieren Sie!

  5. Halten Sie Kontakt (Reden-Zuhören-Blickkontakt)!
    Sagen Sie irgend etwas. Ein stummes, dumpfes “Etwas” mag ein leichteres Opfer sein als ein Mensch, der sich bemerkbar macht. Hören Sie zu, was der Angreifer sagt. Aus seinen Antworten können Sie Ihre nächsten Schritte ableiten.

  6. Holen Sie sich Hilfe!
    Sprechen Sie nicht eine breite Masse an, sondern einzelne Personen. Viele sind bereit zu helfen, wenn ein anderer den ersten Schritt tut oder sie persönlich angesprochen werden.

  7. Aktiv werden!
    Falls Sie Zeug/in von Gewalt werden, zeigen Sie, daß es Ihnen nicht gleichgültig ist, was passiert. Ein einziger kleiner Schritt, ein kurzes Ansprechen, jede Handlung verändert die Situation und könnte andere dazu bringen, ebenfalls einzugreifen.
    Schauen Sie nicht weg! Denn genau damit rechnet der Täter.

  8. Vermeiden Sie möglichst jeglichen Körperkontakt!
    Wenn Sie jemandem zu Hilfe kommen, vermeiden Sie es – so weit es geht -, den Angreifer anzufassen. Körperkontakt ist in der Regel eine Grenzüberschreitung, die zu weiteren Aggressionen führt. Wenn möglich, nehmen Sie lieber direkten Kontakt zu dem Opfer auf.

  9. Risiken abwägen!
    Falls direktes Eingreifen zu gefährlich ist, bzw. Sie sich aus irgendwelchen Gründen nicht dazu in der Lage sehe, holen Sie in jedem Fall so schnell wie möglich Hilfe herbei, alarmieren Sie umgehend die Polizei. Ein Handy hat inzwischen fast jeder, und die 110 ist auch hier kostenfrei! Tragen Sie zur Aufklärung der Tat bei!  

Typische Vorurteile und deren Gegenargumente: eine kleine Hilfe für Gesprächssituationen

Ich habe Angst, durch das Anbringen des Aufklebers (Tragen des PIN) selbst zur Zielscheibe rassistischer Gewalt zu werden.
 - Dies ist zwar unwahrscheinlich, ganz auszuschließen ist es jedoch leider nicht. Allerdings zeigt diese Befürchtung, daß sich noch viel mehr Menschen und Ladenbesitzer daran beteiligen müssen. Denn je mehr mitmachen, desto breiter ist die Front gegen solche Übergriffe. Irgendwo muß der Anfang ja gemacht werden – wenn alle wegsehen oder Angst haben, wird es so weitergehen oder noch schlimmer werden!

Das ist doch ganz selbstverständlich, daß ich einem Menschen in Not helfe. Dafür brauche ich keinen Aufkleber oder PIN.
 - Sie vielleicht nicht. Aber es ist auch ein Zeichen für die Anderen, daß Sie etwas tun. Und besonders der PIN soll ja gerade die Solidarisierung untereinander in Gefahrensituationen fördern, da Sie ja nie wirkliche wissen können, welchen Standpunkt ihr Gegenüber oder Banknachbar hat.

Wir haben hier in meinem Bezirk diese Probleme nicht. Daher brauche ich auch keinen Aufkleber an meiner Tür.
 - Dies ist Augenwischerei. Denn überall existiert das Problem rassistischer Übergriffe – es geht ja nicht nur um die rechtsextremen Angriffe, sondern um sämtliche Bedrohungssituationen.

Ich möchte als Ladenbesitzer überparteilich bleiben. Außerdem fürchte ich, durch den Aufkleber meine Kundschaft zu verlieren.
 - Der Aufkleber ist bewußt neutral gehalten, eben da es nicht vordergründig um eine Partei-Aktion geht, sondern um Hilfe für bedrohte Menschen. 


HILFE Notfalltelefone

Polizeiliche Dienststellen
Polizei    110
Politisch Motivierte Straßengewalt / Berliner Polizei     030/ 691 11 83
BGS (Hotline des Bundesgrenzschutzes)        01805-23 45 66 


Adressen antirassistische Initiativen und Notfalltelefone

Amadeu-Antonio-Stiftung Mo-Fr 10-18 Uhr; 030/ 240 45 450
RAA (Regionale Arbeitsstellen für Ausländerfragen, Jugendarbeit und Schule e.V.)    
Mo-Fr 8:30-17 Uhr; 030/ 240 45 100
ADB (Antidiskriminierungsbüro):  Mo 10-13 Uhr, Di + Do 12-19 Uhr ;       030/ 204 25 11
Antirassistische Initiative,  tagsüber 030/ 785 72 81
Kampagne Noteingang Berlin    030/ 615 005-30/-72
Potsdamer Verein Opferperspektive e.V. (unterstützt Opfer rechtsextremer Gewalt)        
0171/ 193 56 69

 

 


Juristische Unterstützung

Geschäftsstelle des deutschen    Anwaltvereins    (stellt und vermittelt kostenlose Rechtshilfe)
030/ 726 15 20

Nachtrag: Stefan Schneider unterstützt diese Kampagne ebenfalls.

Solidarische Hinweise

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