Dieses Jahr 2010 war von Veränderungen gekennzeichnet. Im Winter 2009_10 entdeckte ich die Arbeiten von Hardt und Negri zu Empire und Multitude und begriff, dass sich hier eine völlig neue, erfrischende Sicht auf die Welt und die Möglichkeiten ihrer Entwicklung abzeichnen könnte. Es gibt keine Gründe mehr für Herrschaft, sondern wir haben alle Mittel zur Produktion unseres Lebens in unseren Händen. Wir brachen aber eine neue Form, wie wir mit den Mitteln unseres Lebens umgehen und zu ihnen kommen. Mit Commonwealth, dem in Frühjahr 2010 erschienenen Buch dieser Autoren ist dies angedeutet. Auch der Besuch bei der re:publica bestärkte mich daran, dass wir dabei sind, dramatisch unserer Welt zu verändern und dies auch sinnvoll tun können.
Mit dem Einstieg in soziale Netzwerke, in Microblogging und einer neuen Neugier auf das digitale Leben habe ich auch hier einen lange verloren geglaubten Anschluss wieder gefunden. Wenn ich arbeite, dann doch digital. Auch der neue Klassenkampf wird ein digitaler sein. hier zeichnet sich eine neue Qualität ab. Die von mspro entwickelte These vom absoluten Kontrollverlust ist kein Abschied, sondern der Gewinn neuer Handlungsfähigkeit. Wir können in der digitalen Welt loslassen, ja wir müssen es tun. Die Konsequenzen für die Wissenschaft und speziell der sozialen Arbeit sind zu durchdenken, aber auch im ganz persönlichen Leben. Materieller Besitz wird deutlich weniger wichtig, ich arbeite hart daran, mich von diesem Ballast zu befreien.
Viele neue Leute durfte ich kennen lernen in diesem Jahr, Freundschaften wuchsen daraus. Die Reisen nach Istanbul und Brüssel und anderswo waren eindrucksvoll und lehrreich. Mit dem Boot bin ich aufgelaufen, wer weiß, wo für das gut war. Dafür habe ich einen umso anspruchsvolleren Reiseplan für 2011. Die Auseinandersetzungen mit Ämtern und Behörden kosteten Kraft, aber auch hier war die Ebene der Auseinandersetzung von anderer Qualität, wenigstens von meiner Seite aus. Noch im frühen Sommer war nicht wirklich absehbar, dass ich meinen Vater verlieren würde. Ich bin dankbar, dass wir - meine Mutter, mein Bruder und ich - ihn bis zum Schluß begleiten durften. Es waren trotz des Leidens - erfüllte Tage und ein guter Abschied, der mir eher Hoffnung als Angst macht.
Um diese vielen Umbrüche deutlich zu machen, die meistenteils noch gar nicht abgeschlossen sind, habe ich ein Weihnachtsbild ausgewählt, das völlig konträr zu unseren Seherwartung steht. Dieses Bild von Egon Schiele stellt eine Familie dar, irgendeine. Ihre Nackheit fällt sofort auf und fasziniert, und ist doch keinen Moment lang pornographisch. Diese Darstellung legt vielmehr den Blick frei auf den ganzen Menschen - seine Sorgen, Gedanken und Ängste genauso wie seine Fähigkeit, einzugreifen und zu verändern.
In diesem Sinne freue mich mich, mit Euch kurz innezuhalten und Kraft zu tanken und neugierig zu werden auf das, was kommt im Jahr 2011.
Alles Gute und meine besten Wünsche zu Weihnachten und für das Neue Jahr!
Stefan Schneider