Aus der mail der Macher_innen von SozIn (siehe unten) spricht ein gehörig Maß an Frustration. Das ist völlig in Ordnung, aber das wird dennoch niemanden ernsthaft ermutigen, bei SozIn mitzumachen oder einzusteigen.
In der 1902 erschienenen Schrift "Was tun?" hat sich übrigens auch schon Lenin mit der Frage beschäftigt, wie eine gesellschaftliche Veränderung zu erreichen ist. Er hat damals empfohlen, eine Zeitung zu machen. Denn seiner Meinung nach ist eine Zeitung "ein kollektiver Organisator", der die Leute dazu zwingt, sich zueinander zu verhalten. Würde Lenin heute leben, würde er vermutlich empfehlen, einen Blog oder ein Internet-Portal zu betreiben, mit genau dem selben Argument: Ein Internet-Blog ist ein kollektiver Organisator. Aber hier sind wir genau beim Kern des Problems: Es gibt weltweit Millionen von Blogs. Warum also ausgerechnet Eurer, oder irgend ein anderer? Deswegen sagen Netztheoretiker wie z.B. Peter Kruse auch, das es im Kern darum geht, Resonanzen zu erzeugen, die sich gegenseitig aufschaukeln. Das heißt aber umgekehrt, ein Blog ist nicht mehr als ein Mittel zum Zweck, nicht schon der Zweck selbst. Wenn also SozIn Erfolg haben soll, dann wird sich der Erfolg dadurch herstellen, dass über das Portal Ideen und Projekte kommuniziert werden, die den Menschen gefallen, die Spaß machen, die sinnvoll sind und die einen realen Mehrwert herstellen. Das passiert nicht von heute auf morgen, und nicht per Knopfdruck. Es sind letztlich immer noch Menschen, die überzeugen, mitreißen und agieren. Und Menschen, die sich überzeugen und mitreißen lassen und die bereit sind, selbst zu Akteur_innen zu werden. Und es gibt eben auch noch die vielen anderen, die ähnliche oder vergleichbare Blogs betreiben. Das ist das, was der Blogger Michael Seemann alias mspr0 als Ctrl-Verlust bezeichnet. Das heißt, Veränderung zu Beginn des 21. Jahrhunderts muss gänzlich anders als Veränderung zu Beginn des 20. Jahrhunderts verstanden werden. Viele Sachen passieren gleichzeitig, und damit entstehen unübersichtliche Situationen. Wenn also die Menschen, die sich auf dem Treffen der Menschen mit Armutserfahrungen in Berlin getroffen und verabredet haben, an einem neuen Portal mitzuwirken, dies dann doch nicht tun, kann das unterschiedliches heißen. Es kann heißen, dass sie an anderer Stelle tätig sind. Es kann auch sein, dass sie den Sinn noch nicht verstanden haben. Vielleicht fehlen auch noch die richtigen Ideen und Visionen. Das heißt aber nicht, dass deswegen nichts passiert.
Das wollte ich einmal loswerden und dazu einladen, dass wir bei alle dem, was wir machen, einen langen Atem haben. Denn selbst nach der Veröffentlichung von Was tun? hat es nochmal 15 lange Jahre gedauert, bis es in Russland zu einer Revolution kam, und ob Zeitungen für das Zustandekommen dieser Revolution maßgeblich verantwortlich zu machen sind, möchte ich vorsichtig bezweifeln. Und selbst diese Revolution, die dann stattgefunden hat, war nicht gut genug, was die Millionen Toten des Gulags eindrucksvoll belegen. Nicht zuletzt deswegen ist das Projekt des real existierenden Sozialismus noch im gleichen Jahrhundert wieder beendet worden. Wir stehen jetzt an einer neuen Etappe eine vollends digitalen Weltgesellschaft. Ich glaube, dass überall auf der Welt Orte identifizierbar und ausweisbar sind, wo Menschen, die jetzt kein Dach über dem Kopf haben, warm, trocken, sicher, mit Mindeststandards an Hygiene, Schutz, Sicherheit, Kommunikation und Privatheit dauerhaft und rechtlich gesichert preisgünstig zu den real existierenden Kosten wohnen können. In den sog. armen Ländern können solche Orte preisgünstig hergestellt werden, und in den reichen Ländern stehen geeignete Räume nachweisbar und massenweise leer. M.E. sind das Internet und Portale wie SozIn Instrumente, die gerade arme und wohnungslose Menschen nutzen können, solche Orte zu fordern, sich gegenseitig über solche Orte zu informieren und diese gemeinsam zu besetzen.
Am 21.07.2010 14:27, schrieb SozIn:
Liebe TeilnehmerInnen der Tagung der NAK im Juni 2010,
wie versprochen steht die Webseite www.sozin.de seit 23. Juni 2010 im Netz. Unser Besucherzähler zeigt seit dem 13. Juli knapp 800 Besucher an. Auf der Tagung in Berlin wurde der Ruf nach Zusammenarbeit aller von Armut und sozialer Ausgrenzung betroffenen laut. Ist der Ruf verhallt? Die Reaktionen der in Berlin Anwesenden sind äußerst spärlich. Schade! Für uns stellt sich die Frage nach der Mentalität der Deutschen. Schaut euch im Ausland um:
http://www.waarkanikheen.nl/portal/
Diese Seiten leben, weil viele leidenschaftlich und gerne mitarbeiten,
Eine Tagung ist dazu da, Leitfäden und Anregungungen zu erarbeiten. Die Umsetzung erfolgt (in der Regel) danach. Vorher meckern darf sein, hinterher machen ist gefordert. Mitmachen ist gar nicht so schwer;
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