Prenzlauer Allee 87 - Rigips, Ständerwerk und alles für den Innenausbau
EINS
Wer den Schläferraum unseres Treffpunktes betritt, sieht zunächst einen mit Doppelstockbetten vollgestelltes Zimmer. Gleich links an der Wand steht eins davon, an der rechten Wand quer hintereinander weg die drei anderen, getrennt nur durch metallene Spindwände, wie man sie von Betrieben her kennt. Ganz hinten links am Fenster, das zugleich als Notausgang dient, ist eine Sitzgarnitur zu erkennen, ein kleiner Tisch, in der Ecke ein gespendeter Fernseher mit kleinem Bild. Irgendwo an der Wand hängt ein Feuerlöscher, und daneben ein Zettel: Das Rauchen im Bett ist strengstens untersagt. Es herrscht eine drangvolle Enge, hier und da in den engen Gängen zwischen den Betten steht eine Plastiktüte oder eine Tasche, und man fragt sich, wie mag die Luft hier wohl sein, wenn acht Menschen hier übernachten? Seit geraumer Zeit ist die Notübernachtung tip top in Ordnung, jeden Tag wird gefegt, häufig auch gewischt, man muß sich nicht mehr schämen, wenn man Gästen den Schläferraum zeigt. Nicht zuletzt H., die seit einigen Wochen hier lebt, hat ein wachsames Auge auf Sauberkeit und Ordnung. Es wäre schön, noch einen zweiten Raum zu haben, sagt Ronald, der den Treffpunkt leitet. Einen nur für Frauen. Es gibt nur wenige ganzjährig in Berlin geöffnete Notübernachtungen, die einen separaten Raum für Frauen anbieten.
ZWEI
Die Notübernachtung und der Treffpunkt ist geöffnet an dreihundertfünfundsechzig Tagen im Jahr rund um die Uhr. Sie wird bezahlt durch die Kostenbeiträge der Übernachter und durch Spenden. Es gibt keine öffentliche Förderung durch das Land Berlin oder den Bezirk Pankow. Die Einrichtungen, die öffentliche Förderung erhalten, haben oft nur wenige Stunden in der Woche geöffnet. Vertrackte Logik: Staatliche Förderung für weniger Leistung. Aber das ist ein anderes Thema. Neben dem oben beschriebenen Schläferraum bietet der Verein mob e.V. in diesem Treffpunkt folgendes an: eine kleine Kleiderkammer, eine Dusche, eine Waschmaschine, eine Küche, in welcher die Lebensmittelspenden der Berliner Tafel verarbeitet werden für Frühstück und warme Mahlzeiten, einen eigenen Treffpunktraum mit Theke und 25 Plätzen an 5 Tischen, eine Büro mit Telefon, Faxgerät, einem Kopierer und ein Internetanschluß. Gelegentlich wird der Treffpunkt auch noch genutzt für kleine Ausstellungen oder Versammlungen. Für diese ganze - und sicherlich noch unvollständig aufgezählte - Palette an Angeboten steht uns eine Fläche von 104 Quadratmetern zur Verfügung. Effektiver können Räume wohl nicht mehr genutzt werden. Auf der anderen Seite reicht der Platz nicht mehr aus: Die Sanitärräume sind eigentlich zu klein, die Küche auch, für eine Kleiderkammer ist kaum mehr Platz vorhanden, die Lebensmittelspenden sind in Tiefkühlschränken im Büro eingelagert, auch der Keller ist voll gestapelt, und wir haben null Platz für die Einlagerung von Möbelspenden und sonstigen Einrichtungsgegenständen, die dringend benötigt werden von Menschen, die sich wieder eine Wohnung einrichten.
DREI
Es war der (ehrenamtliche) Leiter des Treffpunktes, der sich nach Feierabend auf den Weg machte und die Straßen der Umgebung absuchte nach geeigneten Objekten und wurde fündig. Nach intensiven Verhandlungen mit dem Eigentümer kam der Verein mob e.V. zu einer tragfähigen Einigung für ein neues Objekt:
In der Prenzlauer Allee 87 genau gegenüber des S-Bahnhofes Prenzlauer Allee hat mob e.V. Räumlichkeiten gefunden, in denen all diese Projekte Platz finden werden. Alle Beteiligten freuen sehr darauf, weil durch kurze Kommunikationswege ein professionelleres Arbeiten möglich ist, die Räume des Cafes sich vergrößern und ein Treffpunkt möglich wird, mehr Plätze für die Notübernachtung geschaffen werden, sanitäre und feuerschutztechnische Vorschriften erfüllt werden und Werkstätten für Integration in Arbeit entstehen. Der Ausbau des Objektes wird durch Obdachlose in Selbsthilfe ausgeführt.
VIER
Herr Brodthuhn, der zusammen mit Herrn Hegener am Aufbau dieses neuen Objekts am Wirken ist, hat einmal für die Redaktion aufgeschrieben, was zusammen benötigt wird. Er schreibt:
"Daher benötigen wir dringend Spenden. Unbedingt benötigt wird Rigips, Ständerwerk und alles, was für den Innenausbau benötigt wird. Für jede Sachspende, die Sie uns zukommen lassen, stellen wir Ihnen selbstverständlich Spendenquittungen aus. Durch die aktive Mitarbeit der Betroffenen in den oben genannten Projekten werden diese Menschen wieder in sozialversicherungspflichtige Arbeitsverhältnisse gebracht.
Wir werden dieses Projekt in unserer Zeitung Strassenfeger redaktionell und mit Fotos begleiten, um den Fortschritt der Arbeiten zu dokumentieren. Sämtliche Firmen, die uns mit Sachspenden unterstützen, werden regelmäßig namentlich (auf Wunsch auch anonym) als Sponsoren genannt. So bieten wir Ihnen die Möglichkeit, mit ihrem sozialen Engagement in der Öffentlichkeit aufzutreten.
Rigips (Feuchtraum und Trockenraum) zzgl. Ständerwerk (Wand + Decke)
Dämmstoffe, Rotband, Füllspachtel
Grundierung, Ausbaukleber, Tapeten
Dispersionsfarben
Fliesen, Kleber, Fugenmasse, Silikon
Sanitäranlagen (Dusche, Rohre, Garnituren)
Werkzeuge allgemein
Bodenbeläge
Wir sind mehr als zufrieden, wenn Sie uns bei einigen der Punkten auf unserer "Wunschliste" behilflich sein können. Es muß auch keine Ware der ersten Wahl sein. Wenn Sie aufgerissene Säcke Putz oder ähnliches haben, die auf Grund dessen nicht mehr an Kunden zum Verkauf abgegeben werden können, wäre es uns eine große Hilfe.
FÜNF
Sie erreichen uns wie folgt:
mob - obdachlose machen mobil e.V.
Treffpunkt Prenzlauer Allee
Herr Brodthuhn: 030 - 467 9 xxxx
Herr Hegener: 030 - 447 36 xxx oder
Fax: 030 - 447 36 xxx
SECHS
Klaus, den inzwischen alle nur noch Hausmeister Krause nennen, ist einer der Pioniere des neuen Standorts. Klaus ist als Übernachter in unserer Notübernachtung zum Verein gekommen und wurde von Andreas B. angesprochen, ob er nicht mithelfen möchte bei dem Aufbau der neuen Räumlichkeiten in der Prenzlauer Allee 87. Und er wollte. Alles, was an Abbruch und Beräumungsarbeiten ansteht, hat Krause zusammen mit seinen beiden rührigen Kollegen aus dem Weg geschafft. Für Krause hat das neue Vorhaben eine wichtige Bedeutung. Er wird gebraucht, kann seine Arbeit unter Beweis stellen, sieht wieder eine Perspektive in seinem Leben. Jetzt könnte es weitergehen mit weiteren Ausbauarbeiten, etwa um Räume abzutrennen. Jetzt sind Sie gefragt, damit Krause und seine Kollegen weiterarbeiten können. Wir halten Sie auf dem Laufenden.
Bruno Katlewski
Land in Sicht: Zum Stand unseres Bauvorhabens
In der Oderberger Str. 12 in Berlin - Pankow im Ortsteil Prenzlauer Berg ist der Obdachlosenhilfeverein mob e.V. gegenwärtig als Bauherr tätig. Für das Vorder- und Hinterhaus, jeweils gebaut um 1880, hat der Verein für die Dauer von 50 Jahren mit der Eigentümerin einen Erbbaurechtsvertrag abgeschlossen. Beide Häuser sind dringend sanierungsbedürftig und werden gegenwärtig im Rahmen des Programms "Wohnungspolitische Selbsthilfe" der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung instandgesetzt und modernisiert, insgesamt über 1200 qm an Wohnfläche. Nach Fertigstellung werden 18 Wohneinheiten und 2 Einheiten für gemeinnütziges Gewerbe entstehen. Von den 18 Wohneinheiten kann der Verein mob e.V. über 10 Wohnungen selbst verfügen, hier werden nach Fertigstellung 17 Selbsthelfer und Selbsthelferinnen wohnen. Die anderen Wohnungen unterliegen einer Belegungsbindung durch das Bezirksamt, hier werden sanierungsbetroffenen Mietern Umsetzwohnungen angeboten. In den gemeinnützigen Gewerbeeinheiten wird unter anderem der Verein mob e.V. seine Räumlichkeiten beziehen und so dauerhaft eine Anlaufstelle für verschiedenste Aktivitäten anbieten können.
Der gemeinnützigen Vereins mob - obdachlose machen mobil e.V. ist bekannt geworden durch verschiedene Aktivitäten der Selbsthilfe und Hilfe für Wohnungslose und Arme, am bekanntesten sind die Obdachlosenstrassenzeitung strassenfeger, hinzu kommt eine Notübernachtung, ein Treffpunkt für arme und obdachlose Menschen namens Kaffe Bankrott in der Schliemannstr. am Helmholtzplatz in Prenzlauer Berg sowie ein Projekt Wohnungseinrichtungen und Trödel, das sich gegenwärtig neu im Aufbau befindet.
Bedeutsam an dem Bauvorhaben in der Oderberger Str. ist, daß ein Anteil von 17% in Selbsthilfe in Form von Arbeitsstunden geleistet wird, sowohl von den zukünftigen Bewohnern als auch von den Mitwirkenden des Vereins, der natürlich für seine Räumlichkeiten auch Selbsthilfe erbringen muß. Insgesamt müssen alle Beteiligten während der Bauzeit etwa 43.000 Stunden in Eigenleistung erbringen. Zur Zeit sind etwa 1/3 des Bauvolumens geschafft, wir nähern uns den 50% und hoffen, zum September 2002 den ersten Bauabschnitt fertigstellen zu können, das heißt 8 Wohneinheiten für die Selbsthelfer und etwa 56qm Vereinsräume. Für spätestens März 2003 ist die Fertigstellung des zweiten und letzten Bauabschnitt geplant.
Zur Selbsthilfegruppe gehören 17 Personen, davon sind 3 Kinder, die natürlich nicht mitarbeiten müssen, sowie 3 Hunde und 1 Katze. Die Selbsthilfe wird verstärkt durch einen Selbsthilfebauleiter, der eine halbe Stelle bei uns hat, durch eine junge Mitarbeiterin, die 1 Jahr lang im Rahmen eines Freiwilligendienstes die Selbsthilfegruppe und den Selbsthilfebauleiter organisatorisch unterstützt, durch 4 Arbeitskräfte über das Förderprogramm des Sozialamts "Integration durch Arbeit", durch Menschen, die über das Sozialamt gemeinnützige zusätzliche Arbeit leisten, durch einen Zivildienstleistenden, der auf dem Bau mitarbeitet, durch Menschen, die ihre Freie Tätigkeit (Arbeit statt Strafe) bei uns ableisten, sowie durch einen Maurer, den wir mit Hilfe eines Eingliederungszuschusses des Arbeitsamtes für die Dauer von einem Jahr bei uns eingestellt haben.
Dieses Bauvorhaben ist insgesamt ein logischer und wichtiger Schritt innerhalb unserer Vereinsentwicklung, das wir aber ohne das Förderprogramm "Wohnungspolitische Selbsthilfe" nie in Angriff hätten nehmen können. Wir glauben, mit der Fertigstellung von dauerhaft sicherem und preisgünstigen Wohnraum einen Beitrag dazu leisten zu können, für 17 Selbsthelfer das Thema Wohnen langfristig beantworten zu können, und somit einen Beitrag zur Verhinderung von Obdachlosigkeit leisten zu können. Damit das Bauvorhaben zu einem Erfolg wird, freuen wir uns über jeden Beitrag zur Unterstützung unserer Selbsthilfe. Nähere Informationen entnehmen Sie bitte der folgenden Seite. Wir werden auch in Zukunft an dieser Stelle fortlaufend berichten.
Stefan Schneider
Wohnungspolitische Selbsthilfe -
Als im Dezember des Jahres 1998 die Eigentümerin des Hauses in der Oderberger Straße in Berlin - Prenzlauer Berg auf uns zukam und für ihr leerstehendes Quergebäude einen Partner suchte, der dort ein soziales Projekt realisieren würde, konnte der Verein mob - obdachlose machen mobil e.V. nach einigen Wochen der Prüfung beherzt ja sagen und damit den Startschuß geben für ein Vorhaben, das jetzt mitten in der Bauphase ist.
Grundlage für diese Entscheidung war ein Förderprogramm des Senats, welches seit 1982 exisitiert: "Wohnungspolitische Selbsthilfe". Dieses Programm wurde 1982 eingerichtet auf dem Höhepunkt der Hausbesetzerzeiten im damaligen Westberlin. Die Idee war, daß jede Gruppe, die es schafft, mit dem Eigentümer eine Regelung zu treffen, die Chance hat, "ihr" Haus - und das waren in der Regel stark sanierungsbedürftige Altbauten - instandzusetzen und zu modernisieren, entsprechend den Standards des sozialen Wohnungsbaus. Das grundlegende Problem, daß die jungen Leute - Auszubildende, Studenten, Wehrdienstflüchtige usw. -, in der Regel nicht über die entsprechende finanzielle Kraft verfügen, um solche Millionenvorhaben durchzuführen, wurde ebenso einfach wie elegant gelöst: Was an Geld fehlt, kann an Arbeitsleistung eingebracht werden.
Dies war die Geburtsstunde einer baulichen Selbsthilfebewegung, die in den knapp 20 Jahren ihres Bestehens beachtliche Erfolge vorweisen konnte: Insgesamt konnten bis zum Jahr 2000 in Berlin dreihundertsiebenundsechzig Vorhaben verwirklicht werden, verteilt über alle Bezirke, seit dem Fall der Mauer auch im Ostteil der Stadt, hier insgesamt einhundertundelf Projekte, davon allein 44 im Bezirk Prenzlauer Berg. Daß sich dabei ein besonderer Schwerpunkt in den Innenstadtbezirken wie Mitte, Kreuzberg, Prenzlauer Berg und Wedding entwickelte, erklärt sich aus dem erhöhten Altbaubeständen. Damit konnte vieles erreicht werden: Sicherung von städtischen Wohnungsbeständen zu einem sozialverträglichen Preis, die Aufwertung von Stadtteilen, die Integration von Bürgern und eine hohe Identifikation der Bewohner mit ihrem Haus und ihrem Wohnumfeld, und vor allem ein erhebliches Stück an sozialer und künstlerischer Bereicherung des Stadtlebens. Projekte von Punks wurden ebenso gefördert wie Künstlergruppen, junge Familien, Ausbildungsprojekte, nachbarschaftliche Initiativen, Vereine, Genossenschaften und vieles mehr.
Von den insgesamt 367 Projekten wurden 41% von gemeinnützigen Trägern, in der Regel Vereinen, 39% von Mietergemeinschaften und 20% von Genossenschaften durchgeführt. Entsprechend der vermuteten Finanzkraft hatten Vereine 15%, Mietergemeinschaften in Form von GbRs 25% und Genossenschaften 20% des Bauvolumens an Selbsthilfe durchzuführen. Für die Restfinanzierung wurde vom Senat von Berlin in den letzten Jahren in der Regel ein Finanzvolumen von 35 Millionen DM zur Verfügung gestellt - im Vergleich zum gesamten Haushalt der Stadt eine vergleichsweite geringe Summe mit großer Wirkung, sowohl für die mittelständische Bauwirtschaft als auch die beteiligten Bewohner.
Der Verein mob - obdachlose machen mobil e.V. wird aus Mitteln des Programms "Wohnungspolitische Selbsthilfe" in der Oderberger Str. insgesamt 18 Wohneinheiten herstellen. Arme und gesellschaftlich benachteiligte Menschen haben die Möglichkeit, ihre Arbeitskraft sinnvoll in ein Bauvorhaben einzubringen und so für ihren eigenen, preisgünstigen und dauerhaft sicheren Wohnraum zu arbeiten. Aus Sicht des Vereins mob - obdachlose machen mobil e.V. ist dieses Vorhaben ein wichtiges soziales Experiment und ein Beitrag zur Vermeidung und Verhinderung von Obdachlosigkeit. Zwar wird allenortes von der gegenwärtig großen Zahl leerstehender Wohnungen in Berlin gesprochen, aber damit ist nicht gesagt, daß dieser Wohnraum auch preiswert ist und zum anderen wissen wir aus den Erfahrungen der letzen Jahre, daß sich dies sehr schnell wieder ändern kann. Der Verein mob - obdachlose machen mobil e.V. wird aufgrund vertraglicher Bindungen sein Vorhaben in der Oderberger Str. zu Ende bringen können, aber aufgrund der Entscheidung des Rot-roten Senates ist mit dem Förderprogramm Soziale Stadt und damit auch mit dem Fördersegment Wohnungspolitische Selbsthilfe Schluß. Damit bekommt unser Vorhaben eine traurige Note: Wir werden in zirka 6 Wochen unser erstes Richtfest feiern, wenn das Dachgeschoß im Vorderhaus fertiggestellt wird. Auf der anderen Seite werden wir wissen: Modelle und Vorhaben dieser Art wird es in absehbarer Zeit in Berlin nicht mehr geben. Der Arbeitskreis berliner Selbsthilfegruppen im Altbau hat dazu eine Reihe von Protestmaßnahmen angekündet. Wir werden an dieser Stelle fortlaufend darüber berichten.
Stefan Schneider
Oderberger Str. 12 - Ich bin ja hier nur Bauhelfer... Ich bin ja hier nur Bauhelfer, sage ich immer. Mache das, was die Chefs mir sagen. Soll so ein soziales Projekt hier werden. Also nicht Obdachlosenheim, wie ich zuerst dachte, das wollen sie gar nicht, aber Wohnungen für sozial Schwache, so habe ich das jedenfalls verstanden. Und die sind auch schon alle da und am Arbeiten jedenfalls. Obwohl die Wohnungen noch gar nicht fertig sind. Frühestens im Spätsommer. Also September oder sowas. Hat mich auch gewundert. Sie haben mir das erklärt von wegen Selbsthilfe. Also, wenn sie jetzt daran mit arbeiten, können sie später, wenn das fertig ist, preisgünstig wohnen. Ist gefördert vom Staat direkt. Bei den Zahlen jedenfalls ist mir schwindlig geworden, als ich das hörte. Da ging es gleich um Millionen. Dabei sehen die Leute gar nicht danach aus, alle nicht. Und daß mindestens so und so viel in Eigenleistung zu erbringen ist. Zuerst jedenfalls sollte ich eine Wand abreißen im dritten Stock, und das war schon nicht leicht, weil da ist gerade das Baubüro, und danach im zweiten Stock, und da sitzen noch die Leute von dem Verein, die das ganze machen. Mob e.V. heißt der, aber an der Tür steht strassenzeitung. Tatsächlich habe ich dann da auch einige Pakete von der Zeitung gesehen. Das ist eine von denen, die immer in der U-Bahn und in der S-Bahn verkauft werden. Ich dachte immer, das wäre Quatsch mit den ganzen sozialen Projekten, die die angeblich von der strassenzeitung aus mit machen. Aber das hier scheint zu stimmen. Steht auch unten auf dem Bauschild, was sie jetzt von hinten nach vorne zur Straße aufgehängt hatten. Jedenfalls sollte ich beim Abbruch der Wand im Zwischenraum vorsichtig sein, damit das nicht alles einstaubt, die Akten und die Computer und so. Wir haben dann Staubwände gezogen mit Plane, und die Türen sorgfältig abgeklebt. Und den ganzen Schutt von der Wand auch gut gewässert, damit es nicht so staubt. Vier Gießkannen voll, ganz sorgsam. Waren auch alle gut zufrieden, als wir fertig waren, mitgeholfen haben sie auch. Aber Trinkgeld gab es trotzdem nicht. Dafür gibt es unten im Pausenraum immer frischen Kaffe, da kann man nicht meckern. Jedenfalls ist die Arbeit hier sehr abwechslungsreich und die Leute auch. Nach der Wand kam dann die Bauwagenaktion. Also die Truppe hat Bauwägen organisiert, und weil die aber nicht unten auf der Straße stehen dürfen, müssen sie hinten auf den Hof. Nun paßte das Monstrum nicht durch die Durchfahrt, 10 Zentimeter haben gefehlt. Jetzt war guter Rat teuer. Aber hinten rum, durch die Nachbargrundstücke gehts. Ich hab's ausgemessen. Also haben wir eine kleine Tour gemacht mit dem Bauwagen um die Ecke. Nur leider hat es an dem Tag geregnet wie aus Kübeln, und am Ende war ich klatsche naß. Der Tag war gelaufen. Jedenfalls kann hinten im Hof jetzt prima Werkzeug gelagert werden und nach Baubeginn kann der Wagen ja in eine kleine Gartenlaube umgewandelt werden. So würde ich das jedenfalls machen. Ein bißchen anstreichen und ein paar Blumenkübel drumrum pflanzen. Jetzt die Tage war auch großes Meeting. Selbsthelferplenum hieß das und alle waren mächtig aufgeregt. Die Vereinschefs waren da und hohe Tiere vom Senat, und dann wurde mächtig palavert. Wie das denn aussieht mit den Mietverträgen und der Sicherheit und wie das denn ist den Selbsthilfestunden und wie die denn angerechnet werden und ob das Geld reicht und dies und das. Meine Güte, dachte ich, das ist ja eine Wissenschaft für sich. Ich bin froh, daß ich meine acht Stunden mache und dann nach Hause gehen kann. Jedenfalls dachte ich am nächsten Tag, wird vielleicht miese Stimmung sein. War aber gar nicht. Muß doch was gebracht haben, diese Runde. Sind ja im Prinzip alle ein kleines bißchen Bauherren und Baufrauen, jedenfalls haben sie das mir so erklärt. Und deswegen muß man ja Bescheid wissen, wie das langgeht. Ganz demokratisch, auch wenn das manchmal ein bißchen umständlicher ist. Und dann muß ich ja noch sagen, mit dem Alkohol, da hat es die Truppe ja. Da will ich nur mal kurz in der Pause mein Bierchen trinken, ganz in Ruhe und friedlich so für mich. Und wie der Zufall es will, der Bauleiter hat mich doch gesehen, wie ich die Pulle ansetze. Hat aber nichts gesagt. Das dicke Ende kam aber noch. Kurz vor Feierabend kam dann gleich der Bauherr an und hat Vortrag gehalten. Von wegen alkoholfreie Baustelle und Vorbildfunktion und trockene Mitarbeiter und was nicht alles. Hat auch ziemlich deutlich gesagt, daß ich meine Sachen packen kann, wenn das nochmal vorkommt. Nach Feierabend ist das was anderes, sagt er. Hab jedenfalls einen Schreck bekommen. Kann mich aber zusammenreißen. Schließlich macht es doch hier irgendwie Spaß und ich will mein Jahr hier anständig zu Ende bringen. Aber, wie gesagt, ich bin hier nur der Bauhelfer.
Bruno Katlewski
Staub, Schweiß und Baulärm - Oderberger Straße - neues von der Selbsthilfebaustelle
Im Moment ist das Haus Nummer 12 das wohl auffälligste Haus in der ganzen Oderberger Straße. Nicht nur, daß an der Fassade ein Gerüst gestellt ist, das gesamte Dach ist nunmehr überrüstet. In einer imposanten Aktion vor gut einer Woche rückte ein Baukran an, und Stück für Stück wurden die einzelnen Elemente zusammengesetzt und in 25 Metern auf das Fassadengerüst aufgesetzt. Diese Maßnahme war notwendig, weil in einem Zug das gesamte Dach abgerissen wird - da völlig marode - und ein neuer Dachaufbau durchgeführt wird. Es wäre aufwendiger und unkalkulierbarer gewesen, dies unter freiem Himmel zu tun: Jedes mal müßte das offene Dach zum Feierabend gegen Regen geschützt werden und bei Schnee - was ja dann auch der Fall war - wären die Bauarbeiten zum Erliegen gekommen. So aber kann, nach der einmaligen spektakulären Aktion des Überrüsten des Hauses, in einem Zug ohne Gefahr von Zeitverzug durchgebaut werden.
An und für sich ein nicht ungewöhnlicher Vorgang auf einer Baustelle. Das besondere aber ist, wer hier baut. Der gemeinnützige Verein mob - obdachlose machen mobil e.V. hatte die Chance, von der Eigentümerin das Objekt, bestehend aus einem Vorderhaus- und Hinterhaus für die Laufzeit von 50 Jahren zu pachten. Mit Hilfe des Programms "Wohnungspolitische Selbsthilfe" werden beide Häuser instandgesetzt, saniert und modernisiert. Das Förderprogramm sieht vor, daß etwa 17% der gesamten Bauleistung in Eigenarbeit geleistet wird. Für den Verein mob e.V. war die Kombination aus Pachtvertrag und Förderprogramm und zentraler Lage ausschlaggebend dafür, die Idee umzusetzen. Insbesondere, weil das Hinterhaus aufgrund der früheren Nutzung als Bürogebäude lange leer stand, können hier neue Wohnungen hergerichtet werden, die dauerhaften und preisgünstigen Wohnraum darstellen für Menschen in schwierigen Lebensumständen. Der Idee, als Verein Eigenleistung zu bringen, sehen wir als große Herausforderung und Chance an, ein hohes Maß an Identifikation mit dem Vorhaben zu erreichen.
Rio, einer aus der Selbsthelfergruppe, berichtet über den Stand der Dinge wie folgt: "Die Sanierungsarbeiten im Quergebäude der Oderberger Str. 12 durch den mob e.V. gehen immer zügiger voran. Der Grund hierfür ist vor allem, daß es uns jetzt endlich gelungen ist, 15 Selbsthelfer zu finden, die bereit und in der Lage sind, die geforderten 1204 Arbeitsstunden Eigenbauleistung zu erbringen. Unser Selbsthelferkollektiv hat neben den Erwachsenen Zuwachs durch 3 Kinder, 2 Katzen und 1 Hund bekommen. (...) Unser Selbsthelferkollektiv besteht fast ausschließlich aus Menschen, die über wenig Geld verfügen, zum Beispiel auch Sozialhilfeempfänger und Arbeitslose. Dank der Hilfe von Freunden und Unterstützern des mob e.V. und auch Dank der Spenden, die durch die Strassenzeitung bei uns eingegangen sind, haben wir im Moment 60 Euro, die wir verkochen können. Wir würden uns über jede Spende die uns in der Selbsthilfe unterstützen würde, freuen, durch das Kochen auf der Baustelle schaffen wir ein Zusammengehörigkeitsgefühl und sparen auch Kosten."
Inzwischen hat die Selbsthilfegruppe in Andreas, der mit am längster dabei ist, einen Sprecher gefunden, der die Interessen der Gruppe gegenüber den bauleitenden Architekten und gegenüber dem Verein vertritt. Dies ist ein Resultat der Selbsthelferversammlung von letzten Sonnabend. Ein weiteres Resultat: Die Selbsthelferversammlung wird sich regelmäßig einmal im Monat treffen, um alle wichtigen Angelegenheiten miteinander zu besprechen: Dazu zählen Vorstellungen von dem Ausbau der Wohnungen und gestalterischen Wünschen, aber auch die Frage nach den Arbeitszeiten und vor allem eine permanente Kosten- und Leistungskontrolle: Wo liegen wir mit unserer Selbsthilfe und wieviel ist noch vor uns.
Die Arbeiten betreffen auch den Verein mob e.V. als Bauherr. Die Vereinsräumlichkeiten und auch die Redaktion der Straßenzeitung sind seit letztem Herbst ebenfalls provisorisch auf der Baustelle untergebracht, was bisher weitgehend unproblematisch war, weil sich die Bauarbeiten auf das Hinterhaus konzentrierten. Seit Anfang diesen Jahres wird auch im Vorderhaus gearbeitet, und das bedeutet für die gesamte Bürogemeinschaft von Redaktion über Buchhaltung bis hin zur Personalbetreuung richtig Streß. Erst kürzlich war der Schornsteinfeger da, der die Schornsteine ausbrannte. Wir versuchten zwar, alle Löcher und Ritzen abzudichten, der unerbittliche Ruß fand aber trotzdem seinen Weg. Ganz besonders schlimm traf es ein Büro. Weil eine Absprache nicht funktionierte, war das ganze Büro von einer Ruß- und Staubschicht überdeckt. Das bedeutete für uns: Einen ganzen Tag lang wischen, putzen, aufräumen. Das Ganze hatte dennoch ein Gutes: Das Büro konnte danach neu eingerichtet werden, die Möbel wurden komplett neu aufgestellt. Als nächstes steht an, daß in Bereich der Redaktion eine Wand abgerissen werden muß. Allerdings haben wir noch ein paar Tage Zeit, uns darauf einzurichten.
Die ganze Situation ist trotzdem noch halbwegs erträglich, weil Land in Sicht ist. Der zweite Teil des Winters war bei weitem nicht so schlimm, wie es hätte sein können, die Tage werden schon wieder länger, der Frühling steht vor der Tür. Für ein Bauvorhaben sind das wichtige Umstände. Und auch von der Arbeitsleistung her haben wir alle miteinander ein Ziel vor Augen: Im Spätsommer soll das Hinterhaus fertiggestellt sein. Damit hat nicht nur der überwiegende Teil der Selbsthelfer Wohnungen, die bezogen werden können (auch wenn drumherum noch gebaut wird), sondern auch der Verein mob e.V. kann dann seine endgültigen Räume beziehen. Und mit Blick auf diese Aussicht lassen sich vorübergehende Belastungen leichter ertragen. In diesem Sinne können wir festhalten: Trotz Staub, Schweiß und Baulärm: Es geht voran.
Stefan Schneider