Richtung Wannsee und zurück
Vor 30 Jahren hat OKW den Zug verpasst. Heute passiert ihm das nicht mehr
Züge sind die Konstante in OKWs Leben |
S-Bahnhof Berlin-Schöneberg. Um neun nach neun Uhr beginnt OKW seine Tour. Dann fährt der Zug nach Wannsee ein, dann gehört die Linie S1 ihm – jeden Tag, auch samstags und sonntags. Um neun nach neun wird der Zug nach Wannsee zu so etwas wie OKWs Arbeitsplatz. Einen Arbeitsvertrag und festen Stundenlohn hat er nicht. Er verkauft die »motz«.
Morgens halb acht geht OKW aus dem Haus Weserstraße 36 in Berlin-Friedrichshain. Dort befinden sich die »motz«-Redaktion und die Notunterkunft, in der er seit ein paar Wochen abgestiegen ist, wobei »Abstieg« es recht gut trifft – ein Freund hat ihn vor die Tür gesetzt. Es ist nicht das erste Mal, dass er keine eigene Bleibe hat: Einmal hat er drei Jahre am Stück auf der Straße gelebt. Schlafen musste er in Bahnhöfen oder auf Dachböden, das will er jetzt nicht mehr. Aus dieser Zeit stammt übrigens auch sein Spitzname: OKW steht nicht für »Oberkommando der Wehrmacht«, sondern für »Ostkreuz-Wolfgang«. Er war damals einer der ersten, die in Berlin Obdachlosenzeitungen verkauften, und zwar am Bahnhof Ostkreuz. Der Name OKW gefällt ihm besser als einfach nur Wolfgang, sogar besser als sein Familienname. Auf diesen Namen kann er stolz sein: Er macht ihn zur Institution.
Um neun nach neun hat er auf dem Bahnsteig bei »Kings« schon seinen Kaffee getrunken. Und eine Zigarette geraucht. Rauchen ist sein einziges Laster; von Alkohol und Drogen lässt er die Finger. Bei »Kings« hält er sich immer ein paar Minuten auf: Mit den Verkäuferinnen versteht er sich. Sie palavern übers Wetter und auch schon mal über Politik, darüber, dass alles teurer geworden ist und es für kleine Leute wie sie immer enger wird. Irgendwann hat OKW ihnen wohl auch erzählt, wie sein Leben gelaufen ist: 1960 kam er in Leipzig zur Welt, im Frauengefängnis, wo seine hochschwangere Mutter wegen versuchter Republikflucht einsaß. So lautet seine Version der Geschichte. Vielleicht kennt er keine andere, vielleicht ist es diejenige, die am wenigsten schmerzt, vielleicht kommt sie einfach nur gut an – dass die deutsche-deutsche Grenze 1960 noch offenstand, fällt sowieso kaum jemandem auf. Und für den Fortgang seines Lebens spielt es ja auch keine Rolle: Den Vater hat er nie kennen gelernt. Im Alter von sechs Monaten brachte man ihn zur Uroma nach Bernburg und, als er sechs geworden war, in verschiedene Kinderheime. Mit fünfzehn durfte er »im Rahmen der Familienzusammenführung« zur Mutter nach Westberlin, die einen Tag vor dem Mauerbau »doch noch abgehauen« war. Sie steckte ihn, weil sie mit ihm nicht zurechtkam, nach einem halben Jahr wieder ins Heim. Seit 30 Jahren haben sie keinen Kontakt mehr. So wollen sie es beide.
Schräger Vogel
Der Zug neun nach neun ist ein sogenannter Vierer. Das heißt, er fährt mit vier Waggons – andere fahren nur mit drei. Also muss OKW in diesem hier erst nach vier Stationen wieder raus und auf den Zug zurück warten – das ist effektiv. Stets beginnt er am »Kopf«, im ersten Wagen. Um sich dann von Station zu Station in den nächsten vorzuarbeiten. 15 Zeitungen trägt er bei sich, mehr nicht. Mehr wird er sowieso nicht los. Für 40 Cent pro Exemplar hat er sie der Redaktion abgekauft, für 1,20 Euro darf er sie wieder verkaufen. Zwölf Euro kann er Gewinn machen, wenn er es schafft, alle Zeitungen loszuwerden.
Nachdem sich der Bahnsteig geleert hat, schließen sich die S-Bahntüren. OKW wartet dann, bis sich alle neu zugestiegenen Fahrgäste gesetzt haben. Sobald der Zug angefahren ist und der Fahrer seine Ansage beendet hat, tritt er in die Mitte und macht seine eigene Ansage. Es ist immer derselbe Spruch, den er in leicht schleppendem Tempo vorträgt, damit man ihn gut versteht: »Guten Tag. Bitte entschuldigen Sie die Störung. Ich verkaufe das Straßenmagazin ›motz‹. Wir wären dankbar, wenn Sie uns mit einer Spende helfen würden, weitere Unterkünfte für Obdachlose einzurichten.« Noch während er spricht, nimmt er die vertraute Szenerie wahr: Leute, die zur Arbeit fahren, in eine Bank oder eine Arztpraxis, die unterwegs zur Uni sind, zum Einkaufen oder zu einer Freundin. Die in Büchern oder in Zeitungen lesen, Laptops auf den Knien halten, die Ohren zugestöpstelt haben, sich schlafend stellen, aus den Fenstern starren. Die bemüht sind, nicht aufzuschauen, seinem Blick nicht zu begegnen.
Zeit, sich in Bewegung zu setzen. Er geht den Mittelgang entlang, beugt sich mal nach rechts, mal nach links, hält Abstand, fragt leise: »Hier vielleicht?« Auch andere haben ihre Sprüche; OKW kennt sie auswendig: »Kann nicht lesen« oder »Kein Kleingeld«. Die meisten tun so, als sei er Luft. OKW weiß: Das ist er nicht. Sie fürchten, dass er, der »schräge Vogel«, sie persönlich ansprechen könnte. Weil er sie stört oder gar aufstört. Weil er sie emotional erpresst. Weil sie mit ihrem Gewissen ringen. Weil es ihnen peinlich ist, wenn sie nicht in die Tasche greifen. Weil er ihnen peinlich ist. Das tut ihm leid, das will er nicht.
S-Bahnhof Friedenau. Er ist am Ende des ersten Waggons angelangt. Herrscht Gedränge am Ausstieg, muss er sich sputen, den zweiten Wagen zu erreichen und noch schnell hineinzuspringen. Wieder sagt er seinen Spruch auf. OKW ist es nicht peinlich, dass er stört. Er ist sich auch selbst nicht peinlich. Warum auch? Er belästigt niemandem mit einem unangenehmen Geruch, ist sauber gewaschen und angezogen. Darauf hält er sich etwas zugute: Nicht jeder in seiner Situation schafft das. Und anders als manche seiner »Kollegen« glaubt er nicht, jemand sei ihm etwas schuldig. Vor 30 Jahren hatte auch er seine Chance: Er hätte Einzelhandelskaufmann werden können. Die Lehre bei »Bolle« schmiss er – aus »Doofheit«.
Sternstunden
Kurz vor dem Bahnhof winkt ihn eine Frau heran und möchte eine Zeitung. Die erste des Tages, na bitte. Das mit den Zeitungen, sagt die Frau, finde sie achtbar, das wolle sie anerkennen. Leuten dagegen, die auf dem Ku’damm rumlungern und behaupten, sie hätten Hunger, traue sie nicht übern Weg. Ein Gespräch bahnt sich an, ganz nach seinem Geschmack: Solche Gespräche sind Sternstunden, auch wenn sie nur Sekunden dauern. Er kann mit Insiderwissen glänzen, auch mal derjenige sein, der gibt. Klar, pflichtet OKW ihr bei, hungern müsse wirklich niemand. In Berlin gäbe es hundert Umsonst-Stellen, wo sich Arme sattessen, waschen und Klamotten holen könnten.
Feuerbachstraße, dritter Waggon. Für OKW ein verlorener: Eine Gruppe Schüler sitzt drin. Seinen Spruch kann er sich schenken: Kinder sind laut und toben rum, er würde zu niemandem durchdringen. Dafür entdeckt er zwei alte Bekannte, die ihm öfter mal eine Zeitung abkaufen. Auf der S1 hat er viele alte Bekannte, er nennt sie »Stammkunden«. Manche fragen schon mal, »Wie geht’s?« Diese beiden werden ihm heute allerdings keine Zeitung abnehmen. Er hat ihnen schon letzte Woche ein Exemplar verkauft – die »motz« erscheint nur vierzehntägig.
Rathaus Steglitz: Spurt zum letzten Wagen. Jäh hält OKW inne, bremst. Jemand von der Sicherheitsfirma, die für die BVG arbeitet, ist eingestiegen. Da ist es besser, er bleibt draußen. Der Sicherheitsmann müsste einschreiten, wenn OKW versuchen würde, in seiner Gegenwart tätig zu werden. OKW ist überzeugt, dass es eine stille Übereinkunft zwischen den »Sicherheitsnadeln« und ihnen, den Verkäufern der Straßenzeitungen, gibt: Solange sie ihren Job nicht unmittelbar unter deren wachsamen Augen ausüben, drücken sie diese einfach zu. Dafür müssen OKW und seine »Kollegen« ihre Augen umso offener halten.
Mit dem »Vierer« nach Wannsee hat OKW Pech gehabt. Eigentlich hatte er bis Botanischer Garten mitfahren wollen, nun muss er schon in Steglitz umsteigen. Der Zug zurück Richtung Oranienburg ist ein »Dreier«. Er wird bis Bahnhof Schöneberg weitere zwei Zeitungen verkaufen. 3,60 Euro hat er verdient, als er sich wieder bei »Kings« einfindet. Kaffee leistet er sich nicht mehr, doch eine Zigarette raucht er. Nein, teilt er der Verkäuferin mit, »das Geschäft« laufe heute nicht. Manchmal, wenn Messen in der Stadt sind, wird er alle Exemplare in nur zwanzig Minuten los. In der Regel ist er aber zwei bis drei Stunden unterwegs. Heute, weiß er, ist so ein Tag. Immerhin hat er schon Kost und Logis verdient, für die er in der Weserstraße 3,50 Euro zu zahlen hat. Dann tritt OKW seine Kippe aus. Der Zug Richtung Wannsee fährt ein.
Zugvögel
Sie ziehen zur Sonne, dorthin, wo es warm ist. Wir stellen Menschen vor, die es wie sie halten, oder irgendwie mit ihnen verwandt sind.
Quelle: Neues Deutschland, 05.12.2007
http://www.neues-deutschland.de/artikel/120413.html
»... bis ich alles auf die Reihe bekommen habe«
Durch den Verkauf eines Straßenmagazins verdienen sich Obdachlose einige Euro hinzu. Ein Gespräch mit Marcus Zywietz und Olli
Interview: Frank BrunnerHerr Zywietz, wie viele Exemplare des Strassenfeger haben die Verkäufer heute schon bei Ihnen abgeholt?
Ich sitze hier seit neun Uhr morgens, also insgesamt sieben Stunden, und bisher waren es etwa 550 Zeitungen, die ich für 40 Cent pro Stück an die Straßenverkäufer abgegeben habe. Eigentlich sind das relativ wenig. Gestern beispielsweise waren wir ausverkauft.
Olli, wie viele Zeitungen werden Sie pro Tag los?
Ich verkaufe nur zehn bis zwölf Stück für jeweils 1,20 Euro – das heißt, ich verdiene pro Zeitung 80 Cent.
Warum können Sie nicht mehr Zeitungen loswerden?
In den U- oder S-Bahnen könnte ich sicher mehr verkaufen, Aber es liegt mir nicht so, da reinzugehen und einen flotten Spruch aufzusagen. Ich verkaufe lieber auf der Straße.
Haben Sie einen festen Platz?
Früher stand ich hier am Bahnhof Zoo. Doch seit da die Fernzüge nicht mehr halten, kommen kaum noch Touristen, und daher lohnt es sich in dieser Gegend nicht mehr. Jetzt bin ich immer am Bahnhof Friedrichstraße.
Und wo bleiben Sie nachts?
Mal hier, mal dort. Früher war ich manchmal in der Notunterkunft der Stadtmission in der Lehrter Straße. Da ist es mir allerdings oft unheimlich gewesen, weil dort sehr viele Menschen in einem Raum übernachten. Einmal hat mich ein Typ die ganze Nacht angestarrt. Wie soll man da schlafen? Etwas besser ist es in der Franklinstraße. Dort gibt es Drei- und Vierbettzimmer. Manchmal bleibe ich auch bei Freunden.
Herr Zywietz, was sind das für Menschen, die den Strassenfeger verkaufen?
Die meisten Verkäufer sind zwischen 20 und 40 Jahre alt. Für einige ist das schon ein richtiger Job. Einer kommt zum Beispiel regelmäßig Montag bis Samstag immer morgens Punkt halb neun, nimmt jedes Mal 15 Zeitungen mit und verkauft die auch. Leider ist es jedoch auch so, daß sehr viele unserer Verkäufer Suchtprobleme haben. Die sagen sich oft: »Wenn ich zehn Zeitungen verkaufe, kann ich damit meine Drogen finanzieren, die mir helfen, die Nacht vernünftig zu überstehen«. Es sind auch Leute dabei, die buchstäblich ohne Obdach sind und draußen pennen, unter freiem Himmel.
Woran erkennen Sie, ob jemand wohnungslos ist?
Man sieht, ob jemand keine Bleibe hat. An den Klamotten beispielsweise. Aber auch wenn jemand mit einer riesigen Tasche und einem Schlafsack auftaucht, kann man eins und eins zusammenzählen.
Olli, wie begegnen Ihnen die Leute beim Zeitungsverkauf?
Sehr unterschiedlich. Manche geben etwas Trinkgeld, andere übersehen mich und gehen einfach weiter.
Herr Zywietz, welche Erfahrungen haben Sie mit den Käufern des Strassenfeger gemacht?
Ich kann Ollis Eindruck nur bestätigen. Bei manchen Straßenverkäufern läuft es ganz gut. Die haben ihre Stammplätze vor Einkaufszentren und holen bei mir täglich 30 Zeitungen ab. Andererseits reagieren viele Leute auch genervt und schauen schon gar nicht mehr hoch, wenn ein Obdachloser das Blatt anbietet. Viele Verkäufer müssen auch erst mal zwei, drei Bier trinken, damit sie locker werden und sich trauen, andere Menschen anzusprechen.
Olli, was glauben Sie, wie lange Sie noch auf der Straße Zeitungen verkaufen?
Das kann ich nicht sagen. Jedenfalls so lange, bis ich alles auf die Reihe bekommen habe.
Was heißt »auf die Reihe bekommen«?
Na ja, bis ich eine eigene Wohnung und vielleicht irgendwann eine richtige Arbeit habe.
Marcus Zywietz sitzt zwei – bis dreimal pro Woche in einem kleinen Wohnanhänger hinter dem Berliner Bahnhof Zoo. Der 37jährige verteilt dort das Obdachlosenmagazin Strassenfeger an die Straßenverkäufer. Olli lebt seit sieben Jahren vom Verkauf des Blattes.
Willy King, Aktenzeichen K18/07/41
Ein Obdachloser erfror in Berlin-Mitte. Seit Wochen versuchen Freunde zu erfahren, wie er starb und wo er beerdigt ist - sein Grab haben sie gefunden
BERLIN, im April. Willy King wurde begraben, wie er gestorben ist - allein und unbemerkt. In der Statistik wird er geführt als der dritte "Kältetote" des vergangenen Winters in Berlin. Willy King erfror vor dem Eingang zum Bahnhof Friedrichstraße mitten im Zentrum der Stadt. Ob jemand dem Todkranken in jener Nacht die Hilfe verweigerte, konnten Polizei und Staatsanwaltschaft nicht mehr klären. Das Sozialamt bezahlte seine Einäscherung und sorgte dafür, dass keiner seiner Freunde von der Beisetzung erfuhr. Willy King wurde im März auf einem anonymen Urnenfeld am Rande der Stadt bestattet - "normaler Auftrag ohne Trauerfeier", die kostengünstigste Variante.
Eine "unbekannte Passantin", vermerkt das Polizeiprotokoll, fand den erfrorenen Mann in den frühen Morgenstunden des 24. Januar auf der Treppe zur U-Bahn, direkt neben dem Bahnhof Friedrichstraße. In der Nacht war das Thermometer auf zehn Grad unter null gesunken. Die Frau benachrichtigte den Wachschutz. Der alarmierte Polizei und Rettungswagen. Der Tote wurde in die Gerichtsmedizin gebracht.
Er hatte einen Verkäuferausweis der Initiative "mob - Obdachlose machen mobil" in der Tasche, der ihn berechtigte, die "strassenzeitung" auf den Bahnhöfen der Stadt zu vertreiben. Die letzte Nummer, die Willy King noch in der Nacht, in der er erfror, verkaufte, trug den Titel "Schöner frieren".
Keine Auskunft für die Freunde
Die Pathologen stellten eine schwere Lungenentzündung fest, die der geschwächte, fiebernde Mann im Freien nicht hatte überleben können. Damit war das Todesermittlungsverfahren der Polizei abgeschlossen, der Fall für die Behörden erledigt. Der Rest war Routine: Das Sozialamt Tempelhof wurde für zuständig erklärt, das alle nicht aktenkundigen Sozialfälle mit Geburtsdaten zwischen dem 10. und 26. Juli bearbeitet.
Unter dem Aktenzeichen K18/07/41 ist dort mit der Rechnung des beauftragten Bestatters das Ende der Existenz des Wilhelm König, wie er mit bürgerlichem Namen hieß, dokumentiert. Sein Leben passt auf ein paar Formblätter zwischen einen Aktendeckel. Willy King wurde 58 Jahre alt. Verwandte, denen man die Bestattungskosten hätte in Rechnung stellen können, ließen sich nicht finden.
Willy Kings Familie waren die Mitglieder der Obdachloseninitiative "mob". Sie liefen nach seinem Tod Polizeidienststellen und Sozialämter ab, um etwas über die Todesumstände ihres Zeitungsverkäufers zu erfahren und Auskunft über Ort und Tag der Beisetzung zu erfahren. Doch die Behörden wiesen ihr Anliegen mit einem einzigen Satz immer wieder zurück: Sie sind mit dem Verstorbenen nicht verwandt. Auskünfte erteilen wir nur nahen Angehörigen. Dabei hatte sich die Polizei am 24. Januar, als man Willy King fand, zuerst an Gerald Denkler gewandt, den Vorsitzenden der Initiative. Er sollte die Personalien des Verstorbenen bestätigen, baten ihn die Beamten.
"Plötzlich aber sollte uns Willy nichts mehr angehen. Wir fühlten uns ohnmächtig", sagt Karsten Krampitz, Redakteur der "strassenzeitung". Willy Kings Freunde begannen, eigene Nachforschungen anzustellen über die Todesumstände, Kings letzten Lebenstag und den Verbleib der Leiche.
Willys Begleiter Toni berichtete ihnen, wie er zusammen mit Willy an jenem eiskalten Januarsonntag unterwegs war. Am Abend hatten sie versucht, am Brandenburger Tor und Unter den Linden ihre Zeitungen zu verkaufen. Willy hatte sich am Vertriebsbus der Initiative in der Jebensstraße nahe dem Bahnhof Zoo am Nachmittag noch einige Zeitungsexemplare abgeholt. Er verkaufte die "strassenzeitung" meist vor dem "Forum Steglitz" in der Schlossstraße. Davon lebte er, King bekam keine Sozialhilfe. Und darauf, sagt Gerald Denkler von der Obdachloseninitiative, war Willy King sehr stolz.
"Willy ging es nicht gut an diesem Sonntag", sagt Karsten Krampitz, der am 24. Januar im Verkaufsbus saß. "Er sah fiebrig aus, krank, schien ein bisschen verwirrt, war irgendwie durch den Wind". Im Nachhinein, sagt Krampitz, "mache ich mir Vorwürfe, dass wir ihn so haben gehen lassen."
Toni und Willy, die beiden Zeitungsverkäufer, wurden noch ein paar Exemplare los an jenem Abend, und Willy lief mit ein paar Mark in der Tasche in Richtung Bahnhof Friedrichstraße. Er wollte sich, sagt Toni, eine Buttermilch kaufen. Er fühlte sich krank, schlug die Einladung auf eine Dose Bier aus. Er trank immer Buttermilch, wenn er krank war, sagt Karsten.
Willys Freunde vermuten, dass Willy, der stets auf Bahnhöfen übernachtete, von den Wachleuten des Bahnhofs Friedrichstraße vertrieben wurde und zu schwach war, um sich noch einen anderen Schlafplatz zu suchen. Sie meinen, die Beamten hätten angesichts Willys Gesundheitszustandes einen Notarzt, zumindest aber den "Kältebus" der Stadtmission rufen müssen, der jede Nacht Obdachlose in Notunterkünfte fährt. Gerald Denkler und Karsten Krampitz erstatteten Strafanzeige gegen Unbekannt wegen unterlassener Hilfeleistung.
Eine "tragische Geschichte" nennt Bahnsprecher Achim Stauß den Tod Willy Kings. Dann sagt er, dass der Tote "in einem Bereich gefunden wurde, der nicht zur Bahn gehört" - nämlich wenige Meter neben den Bahnhofseingang. Die Deutsche Bahn gehe davon aus, sagt Stauß, dass der Obdachlose den Bahnhof "von sich aus verlassen hat". Zwar gebe es im Dienstbuch des zuständigen Wachdienstes, der Bahnschutzgesellschaft (BGS), einen Eintrag, dass "eine Person, die sich vor den Schließfächern zum Schlafen niederlegen wollte, zwischen 2.30 Uhr und 2.40 Uhr des Bahnhofs verwiesen wurde", räumt Stauß ein. Aber in der Erinnerung der Wachmänner sei jener Mann "deutlich jünger gewesen" und also "nicht identisch" mit dem Toten. Die Personalien des Mannes, den man wegschickte, seien nicht dokumentiert worden.
Die Entscheidung der Wachleute
Der Umgang mit Obdachlosen auf den Bahnhöfen sei immer eine Gratwanderung, sagt einer der Wachleute. Eigentlich gelte Toleranz, sagt die Sicherheitsbeauftragte der Deutschen Bahn, Ellen Karau. Die Obdachlosen seien ein "ausgeprägtes menschliches und soziales Problem" und deshalb dürften sie sich, besonders im Winter, auf den Bahnhöfen aufhalten, "so lange sie sich unauffällig verhalten". Wer aber "zu einer Belästigung der Fahrgäste" werde oder die Bahnhofsordnung störe, werde des Bahnhofs verwiesen. Die Wachmänner entscheiden.
Mancher empfinde allein "den gewissen Eigengeruch, den Obdachlose so haben", als störend, sagt Frau Karau, für einen anderen sei erst bei "Betteln, Pöbeln oder Trinken" die Schmerzgrenze erreicht. Der Wachmann sagt, dass sich Fahrgäste allein vom Anblick Obdachloser belästigt fühlten.
Die Wohnungslosen werfen den Wachdiensten vor, weniger der Sicherheit auf den Bahnhöfen als einem besonderen Verständnis von "Sauberkeit" zu dienen, das "sichtbare Armut lediglich als ästhetisches Problem betrachtet", wie es Karsten Krampitz von der "strassenzeitung" erklärt.
Was in jener Nacht, in der Willy King starb, wirklich geschah, kann niemand mehr eindeutig beantworten. Das Ermittlungsverfahren wegen unterlassener Hilfeleistung wurde eingestellt, weil "der Beweis, dass Personen die hilflose Lage des Obdachlosen erkannt haben, nicht erbracht werden konnte", formuliert ein Polizeisprecher. Wie viele Passanten an jenem Abend den hilflosen Mann sahen und wegschauten, weiß ohnehin niemand.
Am 10. Februar, nachdem Willy Kings Freunde wochenlang erfolglos versucht hatten, bei den Behörden etwas über die Todesumstände und einen Bestattungstermin in Erfahrung zu bringen, organisierten die Mitglieder von "mob e.V." auf dem Bahnhof Friedrichstraße eine Protestveranstaltung. Etwa 50 Menschen kamen zu der "öffentlichen Trauerfeier" für Willy King, umringt von beinahe ebenso vielen Beamten von Polizei und Wachschutz. Die Liedermacherin Bettina Wegner sang einen traurigen Song, Pfarrer Frank Grützmann aus der nahen Sophiengemeinde hielt eine kurze Andacht. Zwei Stunden später waren das Transparent und die Blumensträuße, die die Trauergemeinde zurückgelassen hatte, bereits abgeräumt.
Die Obachlosen wussten nicht nicht, dass die Leiche Willy Kings längst freigegeben und ein Bestattungsunternehmen in Berlin-Friedrichshagen beauftragt worden war - vom Sozialamt Tempelhof, bei dem die Freunde Kings unter anderem nachgefragt hatten.
"Wir geben generell keine Auskünfte über Sozialleistungsempfänger", sagt die Amtsleiterin Brigitte Weidner. "Diese Daten sind geschützt." Die Regelung sei auch im Interesse des Toten, sagt sie, "es könnte dem Verstorbenen ja durchaus unangenehm sein, wenn andere erfahren, dass er auf Sozialamtskosten bestattet wird". Wenn der Wunsch des Toten nach einer Beisetzung etwa mit Trauerfeier, Musik und Redner "erkennbar gewesen wäre", sagt Frau Weidner, hätte man das berücksichtigt und auch bezahlt. Aber leider habe man in der Hosentasche des Toten "kein Testament gefunden, in dem stand: Ich möchte im Beisein meiner Kumpel aus dem Obdachlosenheim beigesetzt werden".
Der Hinweis einer Beamtin
Als die Bestattungsfirma Feige in Friedrichshagen den Auftrag zur anonymen Urnenbestattung im Rahmen des gesetzlichen Sterbegeldes von 2 100 Mark erhielt, setzte Mitarbeiterin Sieglinde Adam sich ans Telefon und versuchte, Bekannte des Verstorbenen ausfindig zu machen. "Ein Mensch sollte nicht so ohne jede Anteilnahme unter die Erde gebracht werden", sagt sie. Doch wo beginnen in der Berliner Szene? Auch die Obdachlosen-Ärztin Jenny de la Torre konnte ihr nicht weiterhelfen. Schließlich wurde Willy King an einem Märzmorgen auf dem evangelischen Friedhof in Rahnsdorf beigesetzt. Sieglinde Adam fotografierte die Urne mit dem bunten Blumenschmuck, den sie für Willy King ausgewählt hatte.
Eine Woche lang war Willy Kings Beisetzung sogar namentlich im Schaukasten der Kirchengemeinde in Rahnsdorf angekündigt worden - in der Hoffnung, dass sich Bekannte fänden. "Es ist so traurig, wenn bei einer Bestattung kein Wort gesprochen wird und kein Mensch der Urne folgt", sagt Friedhofsverwalterin Christina Neuse. Aber leider kam zufällig niemand von Willy Kings Bekannten in dieser Woche in dem Dorf am Stadtrand vorbei.
Und wahrscheinlich hätten Willys Bekannte niemals erfahren, wo er begraben wurde, hätte nicht doch noch eine Mitarbeiterin einer Behörde einfach menschlich gehandelt und ihnen eine Auskunft gegeben. Jetzt, Wochen nach Willy Kings Tod, wissen sie endlich, wo sie sein Grab finden können. Im Friedhofsbuch ist sein Name eingetragen, in der Spalte, die dem 30 mal 30 Zentimeter großen Rasenstück für seine Urne zugeordnet ist: sie liegt in Reihe vier, Grab neun auf dem Feld für anonyme Bestattungen.
Willy Kings Freunde liefen Polizeidienststellen und Sozialämter ab, um zu erfahren, was geschehen war. Sie wurden überall abgewiesen.
Quelle: Berliner Zeitung, 14.04.2000, Blickpunkt, Seite 3
WAS MACHT EIGENTLICH ... die Obdachlosenzeitschrift "Motz?"
Mit Plakaten motzen
Das Motzen lieben die Berliner. Zieht man als zivilisierte Hamburgerin nach Berlin und will sich freundlich den neuen Nachbarn vorstellen, bellt die Frau von oben drüber: "Wenn ihr Party macht, fliegt ihr raus." Und auch der Urberliner aus dem Vorderhaus lässt sich nicht lumpen: "Wat, Erdjeschoss und Hinterhaus. Ick jeb euch ein Jahr, denn seid ihr depressiv!" Ja, herzlich willkommen!
Selbst die hiesige Obdachlosenzeitung ist nach der Lieblingsbeschäftigung der Hauptstädter benannt: Motz. Und Motz motzt. Heute ab 12 Uhr spielen die Motzis am Gendarmenmarkt Guerilla. Nein, keine Angst: Papier statt Waffen! Kommerzielle Plakatwände werden mit Suppenschüssel, Betten und Mänteln überklebt. Die sind aus Motz-Zeitungsseiten ausgeschnitten und sollen Berlinern zeigen, was Obdachlose brauchen. Ein Plakatwagen stoppt überall dort, wo der Berliner gewöhnlich nicht von den Heimatlosen gestört werden will: vor dem Reichstag, dem Brandenburger Tor und den Weihnachtsmärkten.
Sosehr die Berliner das Motzen lieben und laut einer US-amerikanischen Studie 5 Prozent ihrer Zeit damit verbringen, so knauserig sind sie bei den 40 Cent für das Obdachlosenheft. 1995 euphorisch mit 20.000 Exemplaren gestartet, werden die Straßenverkäufer jetzt gerade mal die Hälfte davon los.
Mit ihrer Aktion sucht die Motz nicht nur Käufer, auch Schreiberlinge werden gebraucht. Also los, Berliner: Auch schreibend kann man motzen! Bei den Nachbarn der Neuberlinerin liegt der Aufruf schon im Briefkasten.
KAF FOTO: MOTZ
»Auch Scheitern will gelernt sein«
Ein Gespräch mit dem Schriftsteller Karsten Krampitz über Obdachlosigkeit, Weihnachten und die soziale Lage in der Stadt
ND: Herr Krampitz, wie sind Sie als Schriftsteller und Journalist in die Berliner Obdachlosenszene geraten?
Karsten Krampitz: Als das grün-ökologische Netzwerk Arche in der Treptower Bekenntniskirche das Zeitliche segnete. Am Leben geblieben ist allein die Projektgruppe Obdachlosigkeit.
Das war vor 1990?
Nein, ’91 war das. Das alte Netzwerk war damals schon hirntot. Zu den Treffen kamen nur noch die, die nicht bei den Grünen oder der Grünen Liga untergekommen waren. Und ein paar Jüngere, die sich von den Veteranen immer die Frage gefallen lassen mussten: Wo seid ihr ’89 gewesen? Heute würde ich die Frage gerne an die Herrschaften zurückgeben, die Stasi-Akten sind ja inzwischen bekannt. Jedenfalls haben wir damals unser eigenes Projekt gegründet. Das Netzwerk Arche war so etwas wie der Organspender. Wir waren alle sehr erschrocken über diese neue Armut, und irgendwie lag unsere Idee auf der ursprünglichen Arche-Linie, den Menschen zu helfen, die die DDR verlassen wollten. Da war es nur recht und billig, im wiedervereinten Deutschland denen zu helfen, die im Westen nicht Fuß fassen konnten.
Was habt ihr gemacht?
Wir haben eine Wärmestube für Obdachlose aufgemacht – womit wir dann richtig auf die Schnauze gefallen sind.
Wieso das?
Sozialschwache sind per se keine besseren Menschen. Der erste Sprecher unserer Projektgruppe war ein Obdachloser, der dann mit über 1000 Mark durchgebrannt ist.
Die Leute haben das Projekt missbraucht?
Nein, sie haben unsere Dummheit nur ausgenutzt. Wir haben unser Lehrgeld gezahlt.
Trotzdem gibt es immer noch das Nachtcafé »Landowsky«, die ehemalige »Arche«. Heute ist Weihnachten, was heißt das für Wohnungslose?
Die Ursachen der Obdachlosigkeit haben hierzulande eine sehr starke seelische Komponente. Oft genug sind Ehen zerstört und Karrieren gescheitert, der Suff tut dann das Übrige. Auch Scheitern will gelernt sein. Menschen, die bei uns auf der Straße leben, haben ihr Zuhause verloren, nicht nur ihre Wohnung. Zuhause heißt Familie. Von den Gästen im »Landowsky« hat jeder seine Steine am Hals, jeder seine eigene Tragödie erlebt und sich dabei oftmals nicht mit Ruhm bekleckert. Und Weihnachten ist ein Fest der Familie. Für viele ist Familie eben nur eine Erinnerung, und zwar keine schöne. Weihnachten steht für Depression.
Fangen die karitativen Angebote, ich denke da etwa an das Essen, das Frank Zander jedes Jahr schmeißt, diesen Missstand nicht ein bisschen auf?
Das ist okay, wenn die Leute sich bei dem Festessen im Estrel amüsieren. Ich mache aber Unterschiede: Bei Zander ist das eine korrekte Sache. Der blutet jedes Jahr mit so viel Geld, was er zubuttert, und niemand kauft eine CD mehr von ihm. Der freut sich, der begrüßt jeden mit Handschlag und muss dann auch noch singen. Was anderes ist es, wenn Obdachlose als Werbeträger für ...
... die Not missbraucht werden?
Sagen wir benutzt. Bei der Stadtmission habe ich diesen Eindruck: An den Zuständen wird nichts geändert – den Anspruch haben die auch gar nicht. Sie missionieren unter Obdachlosen und können eben in der Öffentlichkeit zeigen, was für gute Menschen sie doch sind im Auftrage des Herrn. Aber die würden den Teufel tun, irgendwelche politischen Forderungen zu stellen. Die Kirche muss sich einmischen, wie zu DDR-Zeiten.
Ist nicht die gesamte Gesellschaft gegenüber Obdachlosen abgestumpft?
Es ist wie mit der Arbeitslosigkeit. Die Gesellschaft der Bundesrepublik hat sich genauso an einen Sockel Obdachlosigkeit gewöhnt. Die Leute denken, so wie es immer Arbeitslose geben wird, wird es auch immer Obdachlose geben. Es gibt eine Übersättigung, für die man auch die Schuld in den eigenen Reihen suchen muss.
Was für eine Schuld?
In den 90er Jahren, als es noch eine bestimmte Sensibilität für dieses Thema gab, hätten die Obdachlosenzeitungen dazu beitragen können, dass ein gesellschaftlicher Diskurs in Gang gesetzt wird: Warum werden Menschen obdachlos? So etwas muss normalerweise nicht passieren. Stattdessen wurde nur auf die Betroffenheitsschiene gesetzt, als wären bei uns Obdachlose vom Hungertod bedroht. Man kann es doch nicht mehr ertragen...
Aber Sie waren doch selbst jahrelang Redakteur bei diversen Straßenzeitungen.
Nee, nee, ich habe versucht, etwas anderes zu machen. Eine traurige Wahrheit noch trauriger zu verkünden, und das bis zum Erbrechen, ist keine Kunst. Die Straßenzeitungen – aber das glaubt mir heute keiner mehr – waren ursprünglich als emanzipatorische und politische Projekte gedacht. Das Gegenteil ist eingetreten: Letzten Endes sind es Drückerkolonnen, so funktionieren die. Es gibt keine innerbetriebliche Demokratie, keine Transparenz. Jeder Arbeiter bei Siemens hat mehr demokratische Rechte als ein Verkäufer beim »Straßenfeger« oder bei der »Motz«.
Sie meinen, die Leute sollten in der U-Bahn, auf den Plätzen und vor den Supermärkten keine Zeitungen mehr kaufen, weil sie damit Drückerkolonnen finanzieren?
Die Verkäufer sind arme Kerle – aber sie sind auch Subunternehmer, da sie die Zeitungen vorher selber kaufen müssen. Besser man gibt ihnen das Geld so. In den Zeitungen steht ohnehin selten was Neues.
Was wäre denn früher die Alternative gewesen, um die Menschen dauerhaft für das Thema Wohnungs- und Obdachlosigkeit zu sensibilisieren?
Wir haben Ende der 90er probiert, fantasievolle Aktionen zu machen – das Adlon zu besetzen oder gegen die Vertreibung aus der Stadtmitte zu protestieren. Ich erinnere auch an die Bettelakademie, wo wir Betteldiplome für Politiker und Journalisten ausgestellt haben. Das war nicht nur lustig, sondern half auch, die Leute zu erreichen. Wenn du die Gedanken veränderst, veränderst du die Welt.
Die Welt ist klein. In der Stadt leben auch immer mehr Obdachlose aus Osteuropa.
Ich habe ein Problem mit solchen Gegenüberstellungen. Es gibt Obdachlose mit deutschem Pass, die können nicht ein Wort Deutsch sprechen, etwa Russlanddeutsche. Dann gibt es welche, die können perfekt Deutsch sprechen und sind aus Polen. Auf jeden Fall suchen immer mehr Menschen aus Osteuropa die Notübernachtungen in Berlin auf. Oft genug kommt es zu Schlägereien mit den Einheimischen. Auf diesen Konflikt müssen wir reagieren, allein schon, weil das erst der Anfang ist.
2008 steht vor der Tür. Was wäre Ihrer Meinung nach erforderlich, damit die Nöte der 10 000 Wohnungslosen ernsthaft angepackt werden könnten?
Vielleicht wäre es gar nicht so schlecht, wenn die Zahl der Wohnungslosen steigt. Die Wohnungslosen sind die Menschen, die bei den Sozialämtern gemeldet sind, zu deren Unterbringung die Kommune verpflichtet ist. Wir im »Landowsky« kümmern uns dagegen um die Obdachlosen, also um jene, die auf der Straße leben, die nicht registriert sind. Die Politik sollte sich fragen, warum holen die armen Schweine ihre Stütze nicht ab? Warum wollen die in kein Wohnheim oder in keine betreute Wohngemeinschaft? Offenbar gibt es für die Betroffenen zu viele Barrieren.
Was denn für Hindernisse, kann nicht jeder einfach aufs Amt gehen?
Es müsste in den Sozialämtern eine Extra-Anlaufstelle, einen speziellen Sachbearbeiter für Obdachlose geben, mit dem Ziel, diese in das soziale Netz zurückzubringen. Jemand, der drei Jahre Platte gemacht hat, der so lange in der S-Bahn schwarzgefahren ist, dass er ein halbes Jahr in den Knast muss, der körperlich und seelisch am Ende ist, auf diesen Menschen muss man anders eingehen als etwa auf eine alleinstehende Mutter oder einen verarmten Rentner.
Kommt Klaus-Rüdiger Landowsky, der Namensgeber Ihres Nachtcafés, Sie hin und wieder mal besuchen?
Er ist uns immer willkommen. Aber der liebe Gott geht ja auch nicht in die Kirche.
Interview: Martin Kröger
- 2007.05.25. - Tagesspiegel - Thomas Loy: Miriam Mittler "Ich geh' mir jetzt eine Schwalbe kaufen"
- 2007.04.15 - Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung - Kristina Vogt: Der Obdachlose als tragische Figur
- 2007.04.10. - Tagesspiegel - Christian van Lessen: Doppelte Freude
- 2007.04.03. - Gransee Zeitung - Mit dem Straßenfeger auf Tour