Wohnungspolitische Selbsthilfe -

Als im Dezember des Jahres 1998 die Eigentümerin des Hauses in der Oderberger Straße in Berlin - Prenzlauer Berg auf uns zukam und für ihr leerstehendes Quergebäude einen Partner suchte, der dort ein soziales Projekt realisieren würde, konnte der Verein mob - obdachlose machen mobil e.V. nach einigen Wochen der Prüfung beherzt ja sagen und damit den Startschuß geben für ein Vorhaben, das jetzt mitten in der Bauphase ist.

Grundlage für diese Entscheidung war ein Förderprogramm des Senats, welches seit 1982 exisitiert: "Wohnungspolitische Selbsthilfe". Dieses Programm wurde 1982 eingerichtet auf dem Höhepunkt der Hausbesetzerzeiten im damaligen Westberlin. Die Idee war, daß jede Gruppe, die es schafft, mit dem Eigentümer eine Regelung zu treffen, die Chance hat, "ihr" Haus - und das waren in der Regel stark sanierungsbedürftige Altbauten - instandzusetzen und zu modernisieren, entsprechend den Standards des sozialen Wohnungsbaus. Das grundlegende Problem, daß die jungen Leute - Auszubildende, Studenten, Wehrdienstflüchtige usw. -, in der Regel nicht über die entsprechende finanzielle Kraft verfügen, um solche Millionenvorhaben durchzuführen, wurde ebenso einfach wie elegant gelöst: Was an Geld fehlt, kann an Arbeitsleistung eingebracht werden.

Dies war die Geburtsstunde einer baulichen Selbsthilfebewegung, die in den knapp 20 Jahren ihres Bestehens beachtliche Erfolge vorweisen konnte: Insgesamt konnten bis zum Jahr 2000 in Berlin dreihundertsiebenundsechzig Vorhaben verwirklicht werden, verteilt über alle Bezirke, seit dem Fall der Mauer auch im Ostteil der Stadt, hier insgesamt einhundertundelf Projekte, davon allein 44 im Bezirk Prenzlauer Berg. Daß sich dabei ein besonderer Schwerpunkt in den Innenstadtbezirken wie Mitte, Kreuzberg, Prenzlauer Berg und Wedding entwickelte, erklärt sich aus dem erhöhten Altbaubeständen. Damit konnte vieles erreicht werden: Sicherung von städtischen Wohnungsbeständen zu einem sozialverträglichen Preis, die Aufwertung von Stadtteilen, die Integration von Bürgern und eine hohe Identifikation der Bewohner mit ihrem Haus und ihrem Wohnumfeld, und vor allem ein erhebliches Stück an sozialer und künstlerischer Bereicherung des Stadtlebens. Projekte von Punks wurden ebenso gefördert wie Künstlergruppen, junge Familien, Ausbildungsprojekte, nachbarschaftliche Initiativen, Vereine, Genossenschaften und vieles mehr.

Von den insgesamt 367 Projekten wurden 41% von gemeinnützigen Trägern, in der Regel Vereinen, 39% von Mietergemeinschaften und 20% von Genossenschaften durchgeführt. Entsprechend der vermuteten Finanzkraft hatten Vereine 15%, Mietergemeinschaften in Form von GbRs 25% und Genossenschaften 20% des Bauvolumens an Selbsthilfe durchzuführen. Für die Restfinanzierung wurde vom Senat von Berlin in den letzten Jahren in der Regel ein Finanzvolumen von 35 Millionen DM zur Verfügung gestellt - im Vergleich zum gesamten Haushalt der Stadt eine vergleichsweite geringe Summe mit großer Wirkung, sowohl für die mittelständische Bauwirtschaft als auch die beteiligten Bewohner.

Der Verein mob - obdachlose machen mobil e.V. wird aus Mitteln des Programms "Wohnungspolitische Selbsthilfe" in der Oderberger Str. insgesamt 18 Wohneinheiten herstellen. Arme und gesellschaftlich benachteiligte Menschen haben die Möglichkeit, ihre Arbeitskraft sinnvoll in ein Bauvorhaben einzubringen und so  für ihren eigenen, preisgünstigen und dauerhaft sicheren Wohnraum zu arbeiten. Aus Sicht des Vereins mob - obdachlose machen mobil e.V. ist dieses Vorhaben ein wichtiges soziales Experiment und ein Beitrag zur Vermeidung und Verhinderung von Obdachlosigkeit. Zwar wird allenortes von der gegenwärtig großen Zahl leerstehender Wohnungen in Berlin gesprochen, aber damit ist nicht gesagt, daß dieser Wohnraum auch preiswert ist und zum anderen wissen wir aus den Erfahrungen der letzen Jahre, daß sich dies sehr schnell wieder ändern kann. Der Verein mob - obdachlose machen mobil e.V. wird aufgrund vertraglicher Bindungen sein Vorhaben in der Oderberger Str. zu Ende bringen können, aber aufgrund der Entscheidung des Rot-roten Senates ist mit dem Förderprogramm Soziale Stadt und damit auch mit dem Fördersegment Wohnungspolitische Selbsthilfe Schluß. Damit bekommt unser Vorhaben eine traurige Note: Wir werden in zirka 6 Wochen unser erstes Richtfest feiern, wenn das Dachgeschoß im Vorderhaus fertiggestellt wird. Auf der anderen Seite werden wir wissen: Modelle und Vorhaben dieser Art wird es in absehbarer Zeit in Berlin nicht mehr geben. Der Arbeitskreis berliner Selbsthilfegruppen im Altbau hat dazu eine Reihe von Protestmaßnahmen angekündet. Wir werden an dieser Stelle fortlaufend darüber berichten.

Stefan Schneider

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