"Wer schreibt, der bleibt!" - Ich bin gewiß nun kein Schnellmerker, aber die Tatsache, daß ich geschlagene drei Jahre brauchte, um jetzt - ansatzweise! - diesen Satz einer guten Freundin zu verstehen, oder, vorsichtiger formuliert: in die Reichweite eines Verständnisses dieser Aussage zu kommen, will schon etwas heißen. Es ist ja nicht so, daß es hier so profane Dinge wie Tagebuchschreiben geht und gemeint ist auch nicht die Aufgabe des Schriftführers oder Protokollanten eines Vereins wie etwa der, der diese noble Zeitung herausgibt.

Schreiben meint hier, und das wäre auf der anderen Seite der theologische Zugang, den Vorgang des Sich-Einschreibens in bestehende Wirklichkeiten. Nicht umsonst, schaue ich in die Augen der Menschen, die als obdachlose zu uns kommen, blicke ich in gezeichnete Gesichter, vom Leben gezeichnet, was immer auch das Leben sein mag. Es tut weh, bisweilen, soviel Leid erfahren zu müssen.

Auf der kalten, sachlichen Ebene sind es Zahlen, die letztlich jenseits aller Notizen stehen bleiben und zum Bleiben veranlassen. Der Verein mob - obdachlose machen mobil e.V. hat Räumlichkeiten in der Schliemannstr. 18 angemietet, um diese unter dem Namen "Kaffe Bankrott" als Treffpunkt und als Notübernachtung zu nutzen. Vor ein paar Nächten diente dieser Ort 12 Menschen als Übernachtungsplatz, 12 Menschen, die sich 104 qm Fläche teilten. Das sind keine 9 qm pro Person, zieht man die Gemeinschafts- und Nutzflächen wie Flur, Küche und Klo ab, ist es im Endeffekt noch weniger. Allein diese Zahl beschreibt eine Not, denn, wer würde schon mit 9 qm in seinem Leben zurechtkommen, und auf der anderen Seite eine Hoffnung, denn 12 Leute sind davor bewahrt, auf offener Straße im Schlaf von den Unbilden des Wetters oder rechter Schläger überrascht zu werden.

Entsprechend beengt sind die Verhältnisse. Um Platz zu sparen, haben wir - nach langen Mühen  und mit viel Glück,  Doppelstockbetten aufgetrieben. Damit erinnert der Zustand der Schlafräume - der größere für die Männer, der kleinere, der zugleich als Büro mit genutzt wird, für die Frauen, an die Atmosphäre einer Jugendherberge, nur eben, daß der abenteuerliche Charakter einer solchen Unternehmung in ganz anderen Dimensionen zu finden ist. Neulich zum Beispiel hat der "Diensthabende", also der Mensch, den man üblicherweise in anderen Einrichtungen Kellner nennt, beinahe vergessen, den Süßkram wegzuräumen: Raider, Mars, Bounty und dieses ganze Zeugs, die übliche Nervennahrung. Einfach so, um zu sehen, was passiert, ließen wir ein Mars im Ständer auf der Theke stehen, und siehe da, dieser Süßstoffriegel war am nächsten Morgen verschwunden. Da hat wohl einer der Schläfer eine schlaflose Nacht gehabt und sich zu später Stunde nachts um halb drei noch im Aufenthaltsraum rumgetrieben und was Brauchbares gefunden. Wie muß das sein, nachts nicht schlafen zu können, aber Du kannst auch nicht einfach Licht und Musik anmachen, weil da sind noch 9 andere im Raum, und willst Du nachts noch was Kochen in der Küche mußt Du höllisch aufpassen, daß Du nicht zu laut mit den Pfannen klapperst. Und alles dazu noch in zwangsgemeinschaftlicher Unterkunft, das heißt, Du hast Dir gar nicht ausgesucht, mit wem Du die Nacht in einem Zimmer verbringst.

Fünf Leute, wenn ich richtig gezählt habe, haben in den letzten Wochen den Sprung in die eigene Wohnung geschafft. Fünf Gründe, wieso es richtig ist, eine solche Einrichtung aus eigener Kraft und ohne staatliche Förderung zu betreiben, fünf Gründe, wieso es Sinn macht, sich immer wieder den internen Streitig- und Nickeligkeiten auszusetzen, immer wieder zu erzählen, daß jeder reihum für das Klo putzen, die Sauberkeit und die Ordnung zuständig ist und daß jeder seinen Beitrag leisten mag und soll, auch wenn der oder die einzelne keine Lust hat und auch den Männern immer wieder neu einzubleuen, verdammt noch mal im Sitzen zu pinkeln, weil das weniger spritzt und anschließend stinkt. Ich frage mich, wann die Jungs das schaffen, endlich ein Pissoir anzubringen. Daß das getan werden soll, steht schon seit langem im Dienstbuch - ob sich daran überhaupt noch jemand erinnert. Na klar, wer mit seinen Gedanken schon am Einrichten der eigenen Wohnung ist, hat da keinen Kopf für.

Oder wie oft ist das Kleiderlager aufzuräumen, weil da einer eine Hose rauszottelt, dessen Farbe ihm gefällt, und die sich anschließend doch als zu groß oder zu klein erweist und die dann wieder zurückgestopft wird. Machen dies zwei oder drei Leute hintereinander, lohnt es sich eigentlich schon wieder, ganz von vorne zu sortieren. Und dann noch die ganzen Spenden: Bücher, Kleidung, Geschirr, Computer, anderes. Alles engt den ohnehin schon knappen Platz ein. Alles soll auch verwendet werden, sei es als Einrichtung für die Wohnungen der Schläfer, sei es zum Trödel, um die Einrichtung zu finanzieren und die Schlafplätze auf Dauer zu halten. Das gibt Ärger, selbstverständlich: Warum hast Du das hier liegengelassen oder da achtlos in die Ecke geschmissen? Einfach in den Keller geräumt, Dich einfach daraus bedient?

Da kann einem der Kragen platzen, wenn man das sieht, da möchte man auf den Tisch hauen, einen Schuldigen suchen, jemanden zusammenscheißen, warum hast Du Dich darum nicht gekümmert, Du faule Sau! - Was soll ich dazu sagen? Ich habe mich in den letzten Tagen viel mit dem alten Wort Demut auseinander setzen müssen. Ich habe gehofft, mich daran vorbeischummeln, mich davor drücken zu können. Ich habe die vage Ahnung, daß es keine Strafe, keine Lästigkeit, kein Ärgernis, sondern vielmehr ein Privileg sein kann, auf Knien rutschend anderer Leute Dreck wegzuwischen. Hätte mir das vor drei Jahren jemand so gesagt, ich hätte ihn für verrückt erklärt. Aber so ist das eben: Wer schreibt, der bleibt.

Hajo T.

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