Mein Handicap, ein ziemlich schlechtes Gedächtnis. Zu sehr bin ich in aktuellen Aktivitäten verstrickt, vergangenes taucht unter und versinkt im Bodensatz der Bedeutungslosigkeit. Und dennoch bleiben Spuren, emotionale Spuren, die sich eingefressen haben in mir, Wunden, die noch immer weh tun und letztlich nicht verheilt sind.
Das erste, woran ich mich erinnere, ist meine Angst. Die Angst, in heftigen Auseinandersetzungen der Sache wegen und Punkten angegriffen zu werden, die nichts damit zu tun haben. Was tut es dazu, wenn es um Profile einer Zeitung geht oder um Konzeptionen eines Projekts, daß ich ein Trinker bin? Nichts, rein gar nicht. Ideen sind unabhängig von Mensch und deren Problemen. Aber Du hast damit gearbeitet, hast versucht, konkurrierende, Dir nicht genehme Ideen dadurch zu zerstören, indem Du Personen, die die Ideen vorgetragen hast, denunziert hast oder denunzieren wolltest. Nach dem Motto, ist erst der Redner unglaubwürdig, ist auch seine Rede nichts wert. Um ein Haar hätten wir Dich rausgeschmissen deswegen, und mein Votum war mit ausschlaggebend dafür, es denn doch nicht zu tun. Ich bekenne, ich habe lange geschwankt, sehr lange. Entscheidend war die Hoffnung, Dir vermitteln zu kšnnen: Abgründe sind meine, sind unsere Gründe, vielleicht auch: unsere gemeinsame Basis, und in der Sache entscheiden Argumente, die besseren Argumente in demokratischer Abstimmung, Prozesse in den Köpfen aller Beteiligten, selbst um der Gefahr willen, Fehler zu machen.
Die Konsequenz, und die Kraft war nicht da - und das ist die zweite Erinnerung - die Dinge so zu gestalten, wie sie hätten sein sollen, nach bestem Wissen und Gewissen. Der Wille war da, und zugleich der Skrupel, es irgendwie doch allen recht machen zu wollen. Das war ein Fehler, wie ich heute weiß. Aber Du, Du warst nicht nicht warm und Du warst auch nicht kalt, Du warst einfach lau. Bei allem dabei und doch immer schön außen vor.
Ich bin gegangen, weil die persönliche Bilanz nicht mehr stimmte, wie bei vielen anderen auch, und Du bist geblieben, weil bei Dir die Kasse stimmte, und bei so vielen andere auch.
Ich habe gehofft, und das ist die dritte Erinnerung, daß da noch ein Rest von da sei von dieser Idee, mit Obdachlosen gemeinsam etwas aufzubauen, und daß diese Vision sich eingegraben hätte in die Strukturen dieses Projekts und daß ein Weg vielleicht deutlicher sichtbar werden würde ohne uns, denn: Was gelten Propheten im eigenen Land?
Du aber hast weiter gespielt mit unserem Vertrauen, hast es benutzt um Deines Vorteils willen, hast es mißbraucht ein ums andere Mal. Wir wissen davon ein Lied zu singen, aber Du willst es nicht hören, Du bist feige, Du gehst uns aus dem Weg, und wir wissen warum.
Die Familie aber - und das ist die vierte Erinnerung - sie hat sich zusammengefunden in diesem Jahr. Du hast sie stark gemacht, weil alle sagten und sagen konnten: Wir sind nicht lau wie der da, und wir wollen einander vertrauen und nicht mißbrauchen wie der da, und wir fangen, weil es denn Not tut, nochmals von vorne an. Und wir machen das nochmal, was wir schon immer tun wollten, ein Projekt, eine Zeitung aufbauen mit denen von der Straße gemeinsam.
Es kamen Leute, und wir reden über Deine Kumpanen, die warfen mit Jauche und gaben uns nichtmal ein halbes Jahr.
Das halbe Jahr ist längst vergangen, wir sind heute ohne Dich viel weiter als damals mit Dir, und wenn Du morgens früh in den Spiegel schaust, kannst Du erkennen, Du bist am Ende. Du weißt es, ich weiß es, die ganze Stadt kann es alle 14 Tage in Deiner Zeitung immer wieder neu feststellen. Schlechter, immer schlechter geht es Dir von Tag zu Tag.
Das Spiel ist aus, und einen letzten Gefallen könntest Du uns tun: Gib auf! Erkläre, daß Du verloren hast, daß Dein Spiel nicht aufgegangen ist. Aber nein, diese Größe fehlt Dir, das wirst Du uns nicht tun. Du wirst andere mitreißen in das Verderben, aber nicht Du zahlst die Zeche, sondern die, die nicht mehr wissen, wie sie ihre Notübernachtung finanzieren sollen.
Und weil wir das alle wissen, können wir heute mit Entschiedenheit sagen: Du bist nicht Teil der Lösung, Du bist Teil des Problems. Du stehst uns im Weg, und wir sind mitten dabei, Dich aus dem Weg zu räumen! Scher Dir zum Teufel!
Eine Zeitung herauszugeben - und nichts anderes tut der gemeinnützige Verein "mob - obdachlose machen mobil e.V." - bedeutet zunächst erstmal nicht mehr und nicht weniger, als dafür zu sorgen, daß bedrucktes Papier, eben eine Zeitung, unter die Leute kommt. Was die Inhalte, oder, vornehmer ausgedrückt, das redaktionelle Profil der Zeitung anbetrifft, so wird dies bei uns auf den öffentlichen Redaktionssitzungen jeden Donnerstag ab 20:00 Uhr in den Projekträumen in der Kopernikusstraße verhandelt. Natürlich hat, wie in jeder Zeitung, die Auffassung des Herausgebers, also der Vereinsmitglieder, besonderes Gewicht, aber eine Zeitung ist wie jedes andere demokratische Forum eben auch eine Plattform für Positionen, mit denen wir nicht konform gehen, was nicht heißt, daß wir alles und jedes drucken. So weit, so selbstverständlich. Als Zeitung von der Straße kommt hinzu, daß die Stimme obdachloser, armer und ausgegrenzter Menschen bei uns besonderes Gewicht hat: Jeder Verkäufer ist bei uns potentieller Redakteur und kann somit über alle Zeitungsdinge und darüber hinaus gleichberechtigt mitbestimmen.
Wiederholt werden wir gefragt, warum muß es denn in Berlin zwei, drei oder vier Straßenmagazine geben, die letztlich alle dasselbe, nämlich eine grundlegende Veränderung der Situation und Lebenslage obdachloser und armer Menschen wollen? Häufig erleben wir sogar, daß Mitbürger auf diese Konkurrenzsituation genervt reagieren und sagen: Laßt uns doch mit diesem Kram in Ruhe, wenn Ihr nicht in der Lage seid, mit einer Stimme zu sprechen. "Mit einer Stimme sprechen!", das ist auch die zentrale Empfehlung vieler Außenstehender, die uns glaubhaft machen, daß nur über eine Bündelung der Kräfte eine effektive Lobbyarbeit erreicht werden kann.
Der Strassenfeger hat von Anfang an den anderen Zeitungsprojekten konkrete Angebote einer Zusammenarbeit unterbreitet und damit auch eine ganze Menge konkreter Erfolge erzielt:
Die Misere bei den Berliner Straßenzeitungen hat Namen: Sie heißen Christian Linde und Wolfgang Terner. Christian Linde kann eines, er kann alle 14 Tage eine Zeitung zusammenstellen, die den Namen motz trägt. Er kann ein Produkt erstellen, mit dem Verkäufer sich Tag für Tag auf die Straße stellen, um diese Zeitung für ihren Lebensunterhalt zu verkaufen. Dies ist per se erstmal keine Misere, kein Problem.
[Hier bricht das Manuskript ab]