Notübernachtung im Kaffee Bankrott, um 2002 - Foto: Peter WoelckVorbemerkung 2014: Im Zuge der Entwicklung von mob e.V. / strassenfeger fand irgendwannmal im Jahr 1998 die Anmietung von Räumen in der Schliemannstr. 18 statt, dort sollte ein Treffpunkt mit Notübernachtung entwickelt werden. Dann war irgendwo Geld in Aussicht, und die Anforderung war, in einem Konzept aufzuschreiben, wofür das Geld verwendet werden sollte. Diese Förderung hat es nie gegeben, aber aus Gründen ist der Text des damaligen Konzeptes aus dem Jahr 1999 auf meinem Rechner verblieben. Ich dokumentiere ihn hier.

Berlin 06.09.2014

Stefan Schneider

1. Grundlagen/ Voraussetzungen/Kontext

Der gemeinnützige Verein „mob - obdachlose machen mobil e.V.“ versteht sich als Selbsthilfeprojekt. Seine Arbeit ist definiert in der Satzung des Vereins:

  1.  Ziel des Vereins ist die Verbesserung der Lebensumstönde von gesellschaftlich Benach­tei­ligten und Ausgegrenzten, insbesondere Obdachlose bzw. von Ob­dachlosigkeit be­drohte Menschen. Ihnen soll ermöglicht werden, sich für ihre eigenen Belange und Interes­sen ein­zusetzen, eigenverant­wortlich Initiativen und Projekte auf­zubauen und durch­zuführen und so selbst eine Verönderung und Verbesserung ihrer Lebenslage herbeizu­füh­ren. (...)  (Auszug)

Der Verein „mob - obdachlose ma­chen mobil e.V.“, sein Zeitungsprojekt „strassenzeitung“ und weitere Sozialprojekte werden begriffen als selbst er­arbei­tet. Im Rahmen des Selbsthilfean­satzes geht es darum, Menschen zur Teilnahme am gesellschaftlichen Leben nachhaltig  zu unterstützen und zu fördern. Damit setzt der Verein darauf, unterschiedliche Interessenlagen Einzelner - nicht selten sogar gegen­sätzliche - mit dem breiten Spektrum ideeller Ziele und pragmatischer Ansich­ten in einem na­türlichen permanenten Spannungsfeld zu verbinden und produktiv zu verarbeiten im Sinne einer allgemeinen Verbesserung der Lebensumstände.

Handlungsfähigkeit muß selbst probiert werden kön­nen. Eine ganze Reihe von ob­dachlosen Menschen konnte durch die Arbeit des Vereins mob e.V.  ihre Lebenslage nachhaltig verbessern, indem sie Kontakte aufnahmen zu uns und anderen Selbsthil­feprojekten und dort aktiv teilnahmen. Ein wichtiger Baustein der Strassensozi­alarbeit war auch der im Winter 1997/98 und im Winter 1998/99 von uns heraus­gegebene "Wegweiser der Kältehilfe", der in Zusammenarbeit mit der "AG Leben mit Obdachlosen" erarbeitet wurde.

Mit anderen Worten: Durch die Arbeit des Vereins und vor allem auch seines Zei­tungsprojekts Strassenzeitung wird eine große Anzahl von Menschen erreicht, die sich in problematischen Lebenssituationen befinden und zugleich aber auch bereit sind, in Selbstinitiative etwas daran ändern zu wollen. Allein durch unsere Zeitungsarbeit kommen im Verlauf eines Jahres mehr als 1000 Menschen zu uns, die von uns Hilfe und Unterstützung erhoffen. Nicht allen ist damit geholfen, daß sie unsere Zeitung verkaufen können.
An dieser Stelle setzt unser Konzept vom Treffpunkt Schliemannstraße an, indem wir einen Treffpunkt einrichten für die Leute, die wir erreichen und aber auch für alle diejenigen, die das Angebot im Stadtteil bzw. im Wohnumfeld nutzen wollen. Wir wollen die Menschen dabei unterstützen, den von uns eingerichteten Treffpunkt Schliemannstr. adäquat zu nutzen und Perspektiven für das eigene Leben zu finden.
Zur systematischen Unterstützung dieser Menschen in diesem Treffpunkt wollen wir drei (zum Winter hin 5 Stellen) einrichten, um hier Treffpunkt- und Sozialarbeit,  Beratung und Begleitung zur Selbsthilfe anbieten zu können. (siehe weiter unten).

2. kurze Projektbeschreibung: Treffpunkt Schliemannstr.

In den Räumlichkeiten in der Schliemannstr. 18 (Ladenwohnung, 102 qm) nähe Helmholtzplatz (sozialer Brennpunkt) in Berlin Prenzlauer Berg wird ein ganztägig geöffneter Treffpunkt von obdachlosen und armen Menschen entstehen.

Der Treffpunkt dient der Selbsthilfe und ist Anlaufstelle, Kommunikationsort, Tageswohnung und Notübernachtung. Eingerichtet wird ein Angebot an Mahlzeiten (Frühstück, Mittag) und alkoholfreien Getränken zum Selbstkostenpreis.

Hinzu kommt eine Kleiderkammer und die Möglichkeit zu selbständiger und angeleiteter Büroarbeit zur Verbesserung der Lebensumstände (vor allem: Wohnungs- und Arbeitssuche, Qualifizierung, gegenseitige Selbsthilfe).

Ziele der konkreten Treffpunktarbeit könnten sein:

  • Erfahrungsaustausch zwischen den einzelnen Obdachlosen fördern (Selbsthilfeprozesse aktivieren)
  • Unterstützung und Beratung bei einer Veränderung/ Verbesserung der persönlichen Lebenssituation
  • Unterstützung und Beratung bei der Selbstfindung
  • Anschieben von gegenseitiger Unterstützung und Beratung bei der Entwicklung von Aktivitäten (Aufbau von Wohngemeinschaften, Arbeitsprojekte, Selbsthilfegruppen)
  • Entwicklung von gemeinsamen Projekten
  • Erarbeitung von Forderungen und Aktionen von und mit Obdachlosen (Lobbyarbeit)
  • gegenseitige Unterstützung bei der Suche nach Wohnraum und Arbeit bzw. Ausbildung etc.

Weiterhin ist die Organisation von gruppenbezogenen Tätigkeiten vorgesehen:

  • ggf. Kontakt zur Familie, zum Freundeskreis, zur Nachbarschaft bzw. soziales Umfeld allgemein wieder aufbauen und stabilisieren helfen,
  • Kontakte vermitteln zu bestehenden Selbsthilfe­gruppen oder -projekten, auch Kulturprojekte, z.B. Bundesbetroffeneninitiative wohnungsloser Menschen e.V., Arbeitsgruppe Berlin, oder Strassenzeitung
  • Darauf aufbauend sind folgende einzelfallbezogene Aktivitäten gegebenenfalls zu organisieren:
  • Sicherstellung einer Grundversorgung an Essen, Bekleidung und Unterkunft
  • Hilfestellung gegenüber Einrichtungen und Behörden:
  • Beratung (welche Einrichtung ist zuständig, wo ist sie, welches sind die Öffnungszeiten, wie komme ich dort hin, was erwartet mich dort, wer ist zuständig, was ist zu tun, was ist mitzubringen, müssen Anträge gestellt werden, wo gibt es Antragsformulare, was ist zu beachten, welche Rechte und Pflichten habe ich?)
  • ggf. Begleitung bei Ämter- Behörden und Einrichtungsbesuchen:     
  • Zweck: Überwindung von Ängsten, Motivation, Hilfestellung geben, Aufbau von Selbstwertgefühl und Selbstbewußtsein, Anfang der Förderung zur Eigenständigkeit
  • Vermittlung zu Kontakten zu relevanten Einrichtungen: Notübernachtungen, Tagestreffpunkte, Wohnprojekte, betreutes Wohnen, Meldestelle, Arbeitsamt, Sozialamt, Wohnungsamt, Bewährungshilfe, Suchtberatungsstellen, Einrichtungen zur medizinischen Versorgung Wohnungsloser, Einrichtungen der Jugendhilfe, Schuldnerberatungsstellen, Besondere Soziale Wohnhilfe, Geschützes Marktsegment, caritative Einrichtungen,
  • Unterstützung von inhaftierten Obdachlosen, die durch den Kontakt zu unserem Projekt Hilfe suchen (Besuche in Justizvollzugsanstalten, Besuchsscheine beantragen, Sprecherpakete organisieren, Jahres- Oster- und Weihnachtspakete zusammenstellen und zusenden, brieflichen Kontakt organisieren und halten, Helfen bei der Sicherung von Wohnraum, Begleitung zu Beratungsstelle für Straffällige während Hafturlaub oder Ausgang, Hilfe nach Haftentlassung zur Vermeidung von Obdachlosigkeit, Kontakt mit Bewährungshelfern; ggf. Zielsetzung: Anerkennung als „Vollzugshelfer“)

Unterstützung von kranken Obdachlosen, (z.B. Krankenhausbesuche, Vermittlung zu Ärzten und medizinischen Angeboten)
Unterstützung funktionalen Analphabeten oder Obdachlosen mit Lese-Rechtschreibschwäche (kurzfristig: Erstellen und Texten, mittelfristig: Vermittlung zu geeigneten Bildungsträgern)

3. Personelle Voraussetzungen:

Zur Entwicklung dieses Angebots ist eine Gruppe von 3 Mitarbeitern (zum Winter hin 5) erforderlich, die die Öffnungszeiten, die Organisation und Verwaltung und den Aufbau der einzelnen Teilelemente (Büro, Küche, Kleiderkammer, Gruppenarbeit) mit Unterstützung der Nutzer (Selbstorganisation) gewährleisten können.

Berlin, 02.06.1999
Stefan Schneider

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