Vorbemerkung 2014: Das war schon eine Aufregung mit den Strassenzeitungen in Berlin. Erst gründeten die Sozialarbeiter um den BIN e.V. das mob-magazin, parallel dazu andere Leute die HAZ (Hunnis Allgemeine Zeitung). Da gab es Stress beim mob-magazin, und ein Kreis unzufriedener entriss den Sozialarbeitern das Projekt ünd ein eigener Verein mob e.V. wurde gegründet. Bald waren beide Zeitungen am Ende und retteten sich durch eine Fusion: Die motz war geboren. Auch da gab es bald knatsch, und schon wurde der Verein mob e.V. reaktiviert und sollte nun den Herausgeber für den inzwischen gegründeten Strassenfeger abgeben. Das passierte innerhalb von 2 Jahren, alle Beteiligten nahmen das ungeheuer wichtig, aber die Details wollte bald kein Externer mehr genau wissen, so kompliziert war das. Wie auch immer: Die Konstruktion mob e.V. und strassenfeger existiert bis heute, seit 2007 auch ohne mich. Für das erste Jahr der Zusammenarbeit hatte ich im Jahr 1997 eine Art Bilanz zu schreiben, und ich war der Meinung, dass Wygotsky gut zum Motto: 1 Jahr Aufruhr passen würde.
Auf jeden Fall hat dieser Text auf meinem Computer überlebt, und deshalb veröffentliche ich ihn heute hier.
Berlin, 06.09.2014
Stefan Schneider
Edito (strassenfeger, um 1997)
Der große Wygotskij prägte einmal den Begriff von der "Tätigkeit in der Zone der nächsten Entwicklung". Er meinte damit den engumgrenzten Bereich zwischen den endlosen Variationen des gegenwärtig Gekonnten und Erreichten einerseits und der vollzogenen (Selbst)Überschätzung mit den Resultaten Überforderung, Überlastung, Resignation und letztendlichem Stillstand oder gar Rückzug andererseits. Allein in diesem Raum, der wohl nie genau beschrieben werden kann, weil er so relativ ist, sei, so die darin enthaltene Aussage, ein relevantes, beständiges und stabiles individuelles als auch gesellschaftliches Vorwärtskommen möglich. Alles andere ist vorübergehend, schöner Schein und letztendlich Selbstbetrug.
Ein Jahr Aufruhr ist ein Anlaß, einmal kritisch zu bilanzieren: Was war denn konkret an Tätigkeit und an neuer Qualität... Präziser gefragt: Beweg(t)en wir uns denn - das gilt sowohl für Einzelne als auch für das Projekt selbst - in dieser "Zone der nächsten Entwicklung"?
Dies zu bewerten, ist nicht in erster Linie unsere Aufgabe - aber trotzdem wird sich an dieser Frage entscheiden, ob wir als Selbsthilfeprojekt dauerhaft erfolgreich sein können. Und ergänzend dazu thematisieren wir denn auch rückblickend in dieser Ausgabe: Was tut not, um herauszutreten aus dem Zustand entwürdigender Obdachlosigkeit? Welche Voraussetzungen müssen erfüllt sein, damit jemand von sich sagen kann: Ich bin nicht mehr auf der Straße, ich bin nicht mehr obdachlos?
Ich meine, wir haben einiges bewegt und werden weiter bewegen. Aber lesen und urteilen Sie bitte selbst.
Wie auch immer: Obdachlosenprojekte wie mob e.V. und strassenfeger sind (gesellschaftliche) Tätigkeit und noch immer in (der Zone der nächsten) Entwicklung - auch wenn einer motzt!
In diesem Sinne
Stefan Schneider