FREIE Universität Berlin
FACHBEREICH POLITISCHE WISSENSCHAFT
(Otto-Suhr-Institut)
Sommersemester 1996
Hauptseminar Obdachlosigkeit in Nordamerika und Deutschland
Dozentin/Dozent Margit Mayer/Stefan Schneider

Peter Gebauer 

Der Strassenfeger*

Einleitung
Die Anfänge der Straßenzeitungen in Berlin
Der Strassenfeger
Die Gründung des Strassenfegers
Organisation/Leitung
Intentionen für den Strassenfeger zu arbeiten
Die Zeitung der Strassenfeger
Käufer und Verkäufer
Strassenzeitungverkäufer


Einleitung

Im folgenden sollen die in Berlin zuletzt herausgekommene Obdachlosenzeitungen der Strassenfeger dargestellt werden. Es wurde nach den Intentionen, Beweggründe struktureller Ablauf, Probleme nachgefragt. Es kann keine Garantie für die Glaubwürdigkeit der Aussagen der Interviewpartner übernommen werden.


Die Anfänge der Straßenzeitungen in Berlin

Die Idee eine Straßenzeitung zu gründen kam aus Frankreich. Der Initiator brachte dann die Idee mit nach Berlin. In Frankreich wurden auch die ersten Zeitungsausgaben gedruckt. So entstand die Hass und Mop. Die motz entstand aus der ehemaligen Mop und Hass, diese wurden wegen finanzieller Schwierigkeiten aufgelöst. Gründung der Platte von ehemaligen Mob- und Hatzmitarbeitern.


Der Strassenfeger - Die Gründung des Strassenfegers

Den Straßenfeger gibt es seit Oktober 1995. Es ist die jüngste der drei Straßenzeitungen die in Berliner existieren. Der Strassenfeger befindet sich, in einem kleiner Laden, (in der nähe der motz) in Friedrichshain in der Kupernikusstraße 2. Es ist ein sehr kleiner Laden. Zwei von drei Mitarbeiterinnen des Strassenfegers kommen von der Platte und zwar Angelika Standring-Auer, unsere Interviewpartnerin, und Britta. Beide verließen die Platte wegen der Mißwirtschaft.


Angelika Standring-Auer erzählte uns, daß bei der Platte mit Geld nicht seriös umgegangen wurde. Keiner wußte was mit dem Geldern geschieht. Nach Auskunft von Angelika Standring-Auer existieren auch die Projekte (Druckwerkstatt, Bau- u. Planungsbüro, Katja's Haarmobil, Transporte & Co, Wohnheim, Schmiede) der Platte nicht. Diese (Pseudo) -projekte sollen nur dazu dienen um an Spenden heranzukommen.


Es gab aber auch unterschiedliche Vorstellungen bzw. interne Differenzen über Inhalt und äußeres Erscheinungsbild einer Straßenzeitung, was die beiden schließlich veranlaßte die Platte zuverlassen und den Strassenfeger zu gründen. Einige Verkäufer der Platte sind ebenfalls, wegen der finanziellen Probleme weggegangen, für sie gab es keine Motivation mehr bei der Platte zu bleiben.


Organisation/Leitung

Beim Strassenfeger gibt es drei Redakteure. A. Standring-Auer, Britta und ein männliches Mitglied.
Angelika Standring-Auer, unsere Interviewpartnerin ist die Presseverantwortliche beim Strassenfeger. Alle drei Redakteure schreiben Artikel für den Strassenfeger. Da sie sich mit dem Layout nicht so gut auskönnen haben sie ein männlichen Mitarbeiter für die Gestaltung von Texten angestellt. Neben seiner Tätigkeit als Layouter veröffentlicht er auch Artikel im Strassenfeger.


Den Strassenfeger lassen sie ebenfalls wie die motzzeitung in der Uniondruckerei drucken, denn für eine eigene Druckerei ist kein Geld vorhanden. Geschrieben wird zu hause am Computer denn es gibt kein eigene Redaktion. Der Strassenfegerladen als Redaktion wäre auch zu klein.


Auch die Auswahl der Themen werden zu hause bei den Mitarbeiten besprochen und ausgewählt. Wenn jemand ein Thema für interessant hält so darf er auch darüber schreiben. Es kann aber vorkommen das ein Artikel aufgrund seiner Aktualität für die kommende Ausgabe vorgezogen wird, wenn kein Platz für den ursprünglichen geplanten Text mehr vorhanden ist. Eine Bevormundung wer was zu machen hat, gibt es nach Auskunft von Angelika Standring-Auer nicht, es wird alles gemeinsam besprochen und abgestimmt. Obdachlose sollen (nach Möglichkeit) zum schreiben animiert werden. Wer nicht schreiben will kann seine (Lebens) geschichte(n) auch erzählen.


Angelika hat uns berichtet das Obdachlose oft nicht die Wahrheit erzählen, da sie Anerkennung suchen. Das hängt damit zusammen das sie am Rande unserer Gesellschaft leben und daher keine Zuneigung erfahren. Kritik wird geübt wenn man der Auffassung ist das nur die halbe Wahrheit geschrieben wurde. Das kann daß zum Beispiel vorkommen, so sagte es uns A. Standring-Auer, wenn nur halbherzig recherchiert wurde.


Intentionen für den Strassenfeger zu arbeiten

Angelika Standring-Auer macht diese unbezahlte Tätigkeit Ehrenamtlich aus sozialen Engagement wie sie sagt und sie schreibt gerne Artikel. Für den Straßenfeger arbeitet sie etwa 25 Stunden in der Woche Die anderen beiden Redakteure und der Layouter werden für ihre Tätigkeit geringfügig bezahlt. Mit dem Strassenfeger möchte man den Leser durch gut recherchierte Artikel über soziale Mißstände informieren. Es ist also keine Zeitung von Obdachlose für Obdachlose, sonder für den (sozial) interessierten Bürger.


Zum anderen hat man sich zum Ziel gesetzt keine Parteiwerbung (im Gegensatz zur Platte) im Straßenfeger aufzunehmen Sie wollen wie A. Standring-Auer sagt Unabhängig und Neutral bleiben. Im Gegensatz zu ihrer Kollegen Britta hat sie nicht den Anspruch allen Obdachlosen zu helfen, der Wille von der Straße weg zukommen, muß nach ihrer Auffassung von den einzelnen selbst kommen.


Die Zeitung der Strassenfeger

Der Straßenfeger hat eine Auflage 20.000. Obwohl es die jüngste der drei Zeitungen ist, hat der Strassenfeger bereits eine größere Akzeptanz als die Platte.


Die Zeitung kostet zwei DM. Von den zwei DM erhält der Verkäufer eine DM die andere Mark fließt in den Betrieb um die Unkosten zu decken. Gewinne macht der Betrieb aufgrund der geringen Einnahmen nicht, das Geld reicht so gerade aus wie uns A. Standring-Auer erzählte. Spenden erhält der Strassenfeger nur in Form von Sachspenden, wie zum Beispiel Kleider, Schuhe ect. Die Sachspenden werden den Obdachlosen zur verfügung gestellt. Es werden auch Aufrufe im Strassenfeger annonciert um passende Kleidung für Obdachlose als Spenden zu bekommen.


Um ein Anreiz für die Verkäufer zu schaffen und um die Verkäufer an sich zu binden aber auch um neue Verkäufer dazu zugewinnen gibt es beim Strassenfeger ein Bonussystem: Wer 30 Zeitungen kauft bekommt 5 Zeitungen Gratis dazu. Alle drei Wochen gibt es eine Neuausgabe, im Gegensatz zur motz und zur Platte die alle 14 Tage erscheinen .


Käufer und Verkäufer

Nach Angaben A. Standring-Auer gibt es etwa 60 feste Verkäufer davon sind 1/4 obdachlose Frauen die den Straßenfeger verkaufen. Nicht jeder verkauft den Strassenfeger gleich gut. So gibt es Verkäufer die den Strassenfeger besser verkaufen als andere. Das hängt nach der Ansicht von A. Standring-Auer (auch) mit der Attraktivität bzw. (erotische) Ausstrahlung der Verkäufer zusammen. Das auftreten eines Verkäufers spielt eine entscheidende Rolle. Ob er mit (halbwegs) sauberer Kleidung verkauft ob er nüchtern ist und nicht nach Alkohol riecht hat Einfluß auf den Verkauf.


Das Geschlechterverhältnis spielt sicherlich auch eine Rolle. Männer kaufen öfter bei Frauen und Frauen öfter bei Männer. Es kaufen aber auch Männer bei Männer. Frauen verkaufen (aufgrund ihres Auftretens) den Strassenfeger wiederum besser als Männer.


Manche verkaufen sowohl den Straßenfeger als auch motz. Die Verantwortlichen des Straßenfegers haben nichts dagegen das Strassenfegerverkäufer auch für die Konkurrenz arbeiten. Ein Fall ist der A. Standring-Auer bekannt, das ein Obdachloser beim Straßenfeger nicht mehr arbeiten kann, da er ein Notunterkunft bei der motz bekommen hat, Bedingung er darf nicht mehr für den Straßenfeger arbeiten. Auf die Frage wie sie zur Konkurrenz steht, antwortet A. Standring-Auer das Konkurrenz das Geschäft belebt. A. Standring-Auer betrachtet die anderen beiden Obdachlosenzeitungen eher kritisch wegen der Mißwirtschaft und wie mit den Straßenverkäufer umgegangen wird. A. Standring-Auer findet es eine Zumutung, daß die Straßenverkäufer der motz in der motzzeitung beschimpft werden.


Strassenzeitungverkäufer

Verteilt wird der Strassenfeger am Bahnhof Zoo. Dort steht ein Bus bereit der die Zeitungen an die Verkäufer und Verkäuferinnen verteilt. Die Redakteurinnen und der Redakteur wechseln sich mit dem Verkauf im ab. Das verteilen der Zeitung ist nicht nur ein formaler Vorgang, sondern man unterhält sich auch mit den Verkäufern des Strassenfegers. Die Verantwortlichen des Strassenfegers, so erzählte uns A. Standring-Auer, wollen Ansprechpartner für die Obdachlosen sein.
Es soll nach Möglichkeit ein familiäres Verhältnis vorherrschen, Obdachlose können im Straßenfegerladen zum Kaffeetrinken kommen. Der Laden soll aber zur Begegnungsstädte für alle Bürger werden. Der Strassenfegerladen soll im Winter als Notunterkunft dienen. Sanitäranlagen werden zu diesem Zweck instandgesetzt. Duschmöglichkeit soll dann auch vorhanden sein.

Obdachlose die keine Adresse angeben können wohin die Post geschickt werden kann, sollen die Möglichkeit bekommen den Straßenfegerladen als Adresse anzugeben. Das hätte auch den Vorteil, das Obdachlose wenn sie sich bei einen Arbeitgeber vorstellen eine (Schein)adresse angeben können.
A. Standring-Auer kritisiert den leerstand von Häuser. Nach ihrer Meinung sollte eine Zwangsmeldestelle eingerichtet werden, wo Hausbesitzer, wenn sie freien Wohnraum haben, sich melden müßten .

Aufgrund des lockeren Verhältnis untereinander können starke Zuneigungen entstehen. So erzählte uns A. Standring-Auer das ein Strassenfegerverkäufer nur gewillt ist mehr Zeitungen zu kaufen, wenn die (Redakteurin) Britta am Wagen steht und die Zeitungen herausgibt. Das Vertrauen zueinander ist nach Aussage von A. Standring-Auer sehr wichtig, denn man braucht auch jemanden der die Kasse verwaltet. Die Kasse verwalten kann aber nur jemand der nicht zu stark Drogenabhängig ist. Denn ein Drogenabhängiger, egal ob Alkoholiker oder Junkie, ist immer in Versuchung weil er regelmäßig seinen "Stoff" braucht, mit der Kasse durchzubrennen.

Der Drogenkonsum (vorwiegend Alkohol und Heroin) unter den Strassenverkäufern ist schon ein Problem sagte uns A. Standring-Auer. Zum einen schaden sich die Verkäufer durch ihren exzessiven Drogenkonsum selber, wenn sie alkoholisiert oder durch andere Drogen im Rausch versetzt den Strassenfeger feilbieten, weil sie dann von potentiellen Käufer als Säufer bzw. Junkies und Arbeitsscheues Gesindel abgestempelt werden. Zum anderen wirft es aber auch ein schlechtes Image auf den "Strassenfeger" (als Produkt bzw. Unternehmen), wenn Strassenfegerverkäufer im Rausch die Zeitung verkaufen. Daher müssen sich alle Strassenfegerverkäufer mit ihrer Unterschrift verpflichten kein Alkohol und oder andere Drogen vor und während des Verkaufs zu sich zu nehmen.

Nach Auskunft von A. Standring-Auer sind manche Obdachlose, aufgrund ihrer schlechten physischen und psychischen Verfassung nicht in der Lage den Strassenfeger zu verkaufen, für sie zählt nur wie sie den nächsten Tag überstehen können. Nach Beurteilung von A. Standring-Auer sind etwa 98 % der Obdachlosen für ihr Schicksal selbst verantwortlich.

Die Sozialhilfe die Obdachlosen erhalten wird meisten für Alkohol ausgegeben. Da das Geld oftmals bis zum Monatsende nicht reicht wird den Rest des Monats geklaut. A. Standring-Auer sagte uns, daß viele Obdachlose, da sie sich so an die Straße gewöhnt haben, überhaupt gar keine eigene Wohnung mehr haben wollen. Dann gibt es wieder andere Obdachlose die gehen lieber betteln, denn betteln bringt (oftmals) mehr ein als Zeitungen zu verkaufen.

Manche Obdachlose verkaufen pro Tag 10-15 Zeitungen. Nach Angabe von A. Standring-Auer ist das ungefähr das Verkaufslimit was Strassenfegerverkäufer pro Tag an Zeitungen absetzen.

Es wird den Verkäufern und Verkäuferinnen freigestellt wo sie den Strassenfeger verkaufen. Bevorzugter Platz den die Verkäufer aufsuchen um den Strassenfeger feilzubieten ist die S-Bahn, weil dort nach Auskunft A. Standring-Auer zum einen die Atmosphäre angenehmer ist, wie zum Beispiel in der U-Bahn und zum anderen günstigere Bedingungen für die Verkäufer, was den Verkauf anbelang, vorherrschen als an anderen Orten.

Das besondere bei der S-Bahn ist die aktive Fahrgastbetreuung, ein Essen und Trinkservice der S-Bahn. Die Verkäufer vom Essen- und Trinkservice und die Verkäufer des Strassenfegers ergänzen sich zu gegenseitigen Nutzen, indem der Strassenfegerverkäufer mit den Serviceverkäufer mitläuft.
Kaufen Fahrgäste Getränke und oder etwas zu Essen so sind die Fahrgäste dann oft geneigt sich noch etwas zum Lesen zu kaufen.

Demnächst will man im Umland, eventuell Magdeburg als erstes Ziel mit dem Straßenfeger gehen, mit dem Ziel Obdachlosigkeit zu dezentralisieren. Obdachlose sollen ins Umland gehen, da sie dort eher eine Chance haben eine Wohnung zu finden, denn dort gibt es weniger Obdachlose als in Berlin.

 


*Dieser Beitrag wurde so als Seminararbeit eingereicht. Für den Inhalt, die Qualität und die Rechtschreibung zeichnet jedoch allein der oben genannte Autor verantwortlich. Hier wird nur dokumentiert!]

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