La Rochelle Hafen 2007 - Quelle: WikiCommons, Foto: Jochen Jahnke[Alltagsdialog] Ich stand an der Wursttheke und fixierte die Verkäuferin. Sie wünschen bitte? - Guten Tag, lächelte ich. Geben Sie mir bitte von der Kabanossi-Wurst etwa 200 Gramm. - Gerne, sagte sie und die Waage zeigte 216 Gramm an, darf es auch ein wenig mehr sein?,. - Das ist gut so!, sagte ich. - Soll ich die Wurst in Scheiben schneiden? - Nein, danke, ich möchte die Wurst im Stück. - Wollen Sie sonst noch etwas? Nein, danke, das ist alles! - Dann macht das 15,56! - Hier bitte sind 20! - Ihr Rückgeld, danke, auf Wiedersehen. - Ja, vielen Dank und auf Wiedersehen!

[Begegnungen] Was sich anhört wie ein simpler Alltagsdialog war für mich ein Schlüsselerlebnis. Mehr als die Hälfte meines Sprachaufenthalts war schon vergangen, und nun stand ich in diesem Krakauer Lebensmittelgeschäft und bestellte polnische Wurst und zwar ohne (!) mit dem Finger auf die Wurst zu deuten, die ich haben wollte. Die Verkäuferin gab mir genau die Wurst in der Menge, wie ich das haben wollte. Und das allein aufgrund meiner Worte. Kein Gestikulieren, kein Radebrechen, kein Stottern. Einfache, klare Sätze. Nach dieser Situation war mir schlagartig klar, dass die Sprache mich jetzt tragen würde. Ich konnte mich frei bewegen in der Stadt. In den nächsten Tagen hatte ich zahlreiche Begegnungen: Mit den korrupten Kontrolleuren in der Straßenbahn, mit den lärmenden Angestellten des Museums, der lieblosen Bedienung in Restaurant, mit dem gastfreundlichen Abt des Klosters, dem schlitzohrigen Türsteher vom Konzertclub und der charmanten Sprachlehrerin in der Sprachenschule ... Sprache und Kultur, selten habe ich mich beim Lernen so gut gefühlt wie in jenen Wintertagen in Krakau.

[Optionen] Würde ich heute noch eine neue Sprache lernen wollen, ich würde es nicht anders machen. Französisch in Frankreich, beispielsweise. In der Sprachschule von Eurocentres bieten sie das gleich an drei Standorten an. In Paris, unweit der Notre Dame, in der Hafenstadt La Rochelle am Atlantik und in einer kleinen Ortschaft namens Amboise. Wahrscheinlich würde ich den ganzen Winter in Frankreich verbringen und jeweils ein paar Wochen an einem der Standorte leben. Und von La Rochelle dann weiter segeln, wenn der Frühling kommt. Mit dem Gefühl, mich jetzt halbwegs in französisch andrücken zu können.

Berlin, 24.06.2013

Stefan Schneider

[PS] Ich habe dann später noch weitere Sprachkurse belegt, zuletzt in Warschau. Und mein letzter Eindruck dort war, dass ich es schaffe, auf ein abstraktes Niveau zu kommen: reden zu können über Soziales und Gesellschaftliches, Stimmungen, Erlebnisse, Gefühle, Gedanken, Ideen, Konzepte. Also alles, was gebraucht wird, um sich in einer Sprache zu Hause zu fühlen.

[Abbildung] La Rochelle, Vieux Port, Richtung Ausfahrt 2007 – Quelle: WikiComons, Foto: Jochen Jahnke

http://commons.wikimedia.org/wiki/File:F07.LaRochelle.0019.JPG

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